Sie wollten mehr Geflüchtete aufnehmen als nötig, sie besser integrieren, kurz: ein "Sicherer Hafen" für Menschen auf der Flucht sein. 44 Städte in Baden-Württemberg haben sich an der 2018 ins Leben gerufenen Aktion "Sicherer Hafen" der Flüchtlingsinitiative Seebrücke seither beteiligt und eine oder mehrere der Forderungen umgesetzt.
Doch nun mehren sich kritische Stimmen aus den Kommunen. Der baden-württembergische Städtetag sieht eine Grenze erreicht. Ähnlich äußern sich der Gemeinde- und der Landkreistag. Die CDU nahm das zum Anlass, ein Thesenpapier zu verfassen, in dem die Partei unter anderem schnellere Abschiebungen fordert.
Der SWR hat bei acht Städten nachgefragt, fünf haben - Stand Freitag, 22. September, um 18 Uhr - geantwortet. Heraus kristallisiert sich ein Bild von überforderten Städten, die Geflüchteten gerne helfen, aber laut eigener Aussage inzwischen schlicht an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Sie fordern Reformen im EU-Recht wie auch mehr Geld von Bund und Ländern.
Tübingen überfordert "wie alle anderen Gemeinden und Kreise im Land"
So teilt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) mit, dass der Beitritt zum Bündnis "ein Beschluss des Gemeinderates" gewesen sei, "dem der Oberbürgermeister nicht beigetreten ist". Die Anzahl der unterzubringenden und zu versorgenden Geflüchteten überfordere Stadt und Kreis Tübingen genauso wie alle anderen Gemeinden und Kreise im Land. "Freie Kapazitäten, die für einen sicheren Hafen genutzt werden könnten, gibt es nicht", wird Palmer deutlich.
Es sei darüber hinaus "bisher auch noch nie ein Migrant wegen des Beitritts zum Bündnis 'Sicherer Hafen' nach Tübingen gekommen". Das Bündnis sei "eine symbolische Handlung" und dessen Anspruch aus Palmers Sicht "nicht mit der Wirklichkeit in den Kommunen in Einklang zu bringen", heißt es weiter.
Der Oberbürgermeister von Rottenburg, Stephan Neher (CDU), widerspricht dieser Aussage. "Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet werden", sagte er im Gespräch mit dem SWR. Mit Blick auf die weltweit problematische Menschenrechtslage betonte Neher, Europa müsse die Flagge hochhalten und das bedeute, dass wir hier unsere Anstrengungen bringen müssten und in Rottenburg klappe das bis zum heutigen Tag hervorragend.
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Stuttgarter Oberbürgermeister sieht Forderungen kritisch
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) ist der festen Überzeugung, dass Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, unsere volle Unterstützung verdient haben, teilt seine Sprecherin mit. Den Forderungen des Aktionsbündnisses Seebrücke steht er aber kritisch gegenüber.
"Auf der einen Seite hat die Stadt als 'Sicherer Hafen' ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, mehr Geflüchtete aufzunehmen, als sie müsste", heißt es. Auf der anderen Seite habe Stuttgart "aktuell nicht genügend Kapazitäten, um nur diejenigen aufzunehmen, die sie eigentlich jetzt schon aufgenommen haben müssten".
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Die Landeshauptstadt unterschreite zahlenmäßig seit letztem Jahr markant ihr Kontingent, so die Sprecherin weiter. Nopper sei deshalb der festen Überzeugung, dass es sinnvoller ist, Hilfe in den Herkunftsländern zu leisten, als möglichst viele Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen.
Karlsruhe sieht keinen Handlungsspielraum mehr
Uneingeschränkt hinter der Selbstverpflichtung steht dagegen die Stadt Karlsruhe - wenngleich dort ebenfalls "kein Handlungsspielraum mehr" besteht, wie ein Sprecher mitteilt. Die Stadt profitiere demnach von der Regelung, dass aufgrund der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in der Stadt abgesehen von Flüchtlingen aus der Ukraine keine weiteren Geflüchteten mehr aufgenommen werden müssen.
"Karlsruhe hat sich zum Sicheren Hafen erklärt und die Aufnahmebereitschaft signalisiert. Sollten Anfragen kommen, würden diese im Hinblick auf die zum Zeitpunkt verfügbaren Kapazitäten geprüft und dann eine Entscheidung getroffen", heißt es in der Antwort auf die SWR-Anfrage.
Denn: "Auch wenn die Zeiten herausfordernd sind, kann nicht hingenommen werden", dass Menschen in Not nicht gerettet würden, "nur weil es sich um Migrantinnen handelt". Eine politische Lösung müsse her. Dabei gelte jedoch auch, dass nicht jeder Aufgenommene ein Bleiberecht erhalte. "Dies muss aber in einem rechtstaatlichen Verfahren geklärt werden und nicht durch die Verweigerung der Nothilfe."
Heidelberg steht weiter hinter der Initiative
Auch die Stadt Heidelberg teilt mit, dass die Zahlen der Geflüchteten in der Stadt 2023 deutlich über denen von 2022 liegen. Hinzu kämen noch die aus der Ukraine Geflüchteten. "Dies führt zu einer Verschärfung der ohnehin schon angespannten Situation in allen Versorgungseinrichtungen", teilt ein Sprecher mit. Gleiches gelte für den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt in Heidelberg.
Auch wenn Heidelberg ähnlich wie Karlsruhe aufgrund des Landesankunftszentrums von der Zuweisung von Flüchtlingen zur kommunalen Unterbringung befreit sei, habe die Stadt "in der Vergangenheit immer wieder freiwillig Flüchtlinge aufgenommen". Nach wie vor stünde Heidelberg so auch hinter der Erklärung als "Sicherer Hafen".
"Ungeachtet dessen hält es die Stadt Heidelberg für dringend erforderlich, dass eine europäische Gesamtlösung erreicht wird, um eine Überforderung zu verhindern und gleichzeitig Bund und Land für eine geordnete Aufnahme, Registrierung und Versorgung Sorge tragen sowie die Kommunen, die die Hauptlast tragen, finanziell entlasten."
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In Freiburg sind ebenfalls die "in Frage kommende Räumlichkeiten in der Stadt weitestgehend ausgeschöpft, sodass weitere Unterbringungsmöglichkeiten kaum generierbar sind". Auch Kindertagesstätten- und Schulplätze seien am Limit.
"Wir benötigen dringend belastbare finanzielle Zusagen von Bund und Land", sagt eine Sprecherin. Außerdem sei eine Entbürokratisierung und Beschleunigung der Asylverfahren ebenso notwendig wie "eine deutlich intensivere Beteiligung der Kommunen im Vorfeld der Gesetzgebungsverfahren".
Dennoch stehe man "hinter der Erklärung der Stadt als 'Sicherer Hafen' entsprechend der Resolution zur Seenotrettung Geflüchteter, wie sie am 26. März 2019 vom Gemeinderat bestätigt wurde", erklärt die Sprecherin. Dennoch sieht man auch im Breisgau den Bedarf nach einer Reform in der Flüchtlings- und Asylpolitik, möglichst auf europäischer Ebene.