Allein in Baden-Württemberg haben vor allem kleinere und mittlere Unternehmen in über 250.000 Fällen Corona-Hilfen des Bundes in Anspruch genommen. Doch jetzt sollen sie haarklein nachweisen, ob die Einnahmeausfälle auch wirklich so hoch waren, wie damals während der Lockdowns geschätzt. Viele Betriebe - und mit ihnen ihre Steuerberater - sind überfordert und fürchten wegen drohender Rückzahlungen um ihre Existenz.
Frist zur Prüfung der Corona-Hilfen verlängert
Immerhin: An diesem Donnerstag haben Bund und Länder die Frist für die Prüfung, ob Geld aus den Bundesprogrammen zurückgezahlt werden muss, um ein halbes Jahr bis Ende September verlängert.
Zudem sollen die Verfahren bei kleineren Firmen beschleunigt werden. Das bestätigte die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) dem SWR. Doch viele Betriebe bezweifeln, ob dieser Aufschub und diese Änderung ausreichen.
Immer neue Vorgaben zur Prüfung der Überbrückungshilfen
Wenn Steuerberater Eberhard Krämer aus Kirchheim an der Teck (Kreis Esslingen) auf die Stapel von Anträgen und Akten zu einem einzigen Fall auf seinem Schreibtisch schaut, ist er einfach nur verzweifelt: "Ich sage es Ihnen ganz ehrlich. Mir war es manchmal auch schon zum Heulen zumute." Dabei verdienen Steuerberater doch eigentlich ihr Geld damit, wenn ihre Mandanten nicht mehr weiterwissen.
Aber jetzt sei alles anders: Es habe ständig neuen Vorgaben für die Prüfung von Corona-Hilfsgelder gegeben, erzählt Krämer. Doch einen richtigen Ansprechpartner bei der zuständigen, landeseigenen L-Bank gebe es nicht. "Da habe ich ein gewaltiges Problem, einmal die Komplexität, dann aber auch diese formellen Dinge, die einfach ermüdend sind, dieses Bürokratische, dann diese Neuinterpretationen von Neuanforderungen im Rahmen der Schlussabrechnung. Das ist einfach belastend."
Krämer kommt nicht mehr hinterher. Sein Team im Steuerbüro sei zu klein, um das auszugleichen. Neues Personal sei nicht zu kriegen. "Das führt so weit, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann."
Herrenausstatter klagt gegen L-Bank
Für ihn hat Krämer zahllose Anträge für Corona-Hilfen gestellt: Ralf Gerber. Das Modehaus Fischer in der Kirchheimer Innenstadt führt Gerber in vierter Generation. Das will er sich nicht kaputt machen lassen. Der Herrenausstatter sieht sich vom Staat um mehrere Zehntausend Euro geprellt.
"Das treibt mir die Zornesröte ins Gesicht, weil die Versprechungen, die uns gemacht wurden, nicht eingehalten werden." Mietzahlungen innerhalb der Familie könnten auf einmal nicht mehr angerechnet werden. So würden Familienbetriebe "ausgehungert" und keiner tue etwas dagegen. Auch Umbauten im Modehaus wegen der Hygienevorschriften könnten nun doch nicht mehr angerechnet werden. Gerber: "Ich bin sauer und wir klagen gegen die L-Bank." Es geht um mehrere Zehntausend Euro, sagt Gerber.
Auch ein Friseur aus Tauberbischofsheim (Main-Tauber-Kreis) will klagen, nachdem sein Widerspruch gegen die Rückzahlung zurückgewiesen wurde:
Corona-Rückzahlungen und verändertes Kundenverhalten Friseur aus Tauberbischofsheim will Musterklage gegen BW führen
Die Corona-Rückzahlung bringt viele Friseurbetriebe auch im Main-Tauber-Kreis an ihre Grenzen. Weil ihr Widerspruch abgelehnt wurde, wollen einige Friseure jetzt klagen.
L-Bank setzt auf Prüfer einer Wirtschaftsberatung
Das Geldinstitut ist die Gegnerin von Einzelhändlern wie Gerber. Die L-Bank soll das zu viel gezahlte Geld wieder eintreiben und Betrug verhindern. An ihrer Seite hat sie private Prüfer, die dafür 220 Millionen Euro bekommen sollen.
Doch auch die Prüfer kommen angesichts der Komplexität der Aufgabe kaum hinterher. Das zeigen die vorläufigen Zahlen aus dem zuständigen baden-württembergischen Wirtschaftsministerium: In 255.000 Fällen ist eine Schlussabrechnung nötig. Bisher wurden demnach 110.000 Schlussabrechnungen abgegeben. Doch bislang wurde erst über 23.000 Fälle entschieden. In circa 5.000 Fällen gab es eine Rückforderung. Unter dem Strich wurden bisher 25 Millionen Euro zurückgezahlt. Das Ministerium weist aber auch darauf hin, dass es auch zu Nachzahlungen kommen kann. Bisher war das in 8.000 Fällen so. Es wurden im Nachgang rund 23 Millionen Euro ausgezahlt.
Handelsverband BW fordert "großzügige Regelungen"
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut setzt nun darauf, dass die Einigung von Bund und Ländern zur Fristverlängerung den Unternehmen hilft. "Ich begrüße es, dass wir diese Erleichterung erreichen konnten", sagte die CDU-Politikerin dem SWR. Es sei erfreulich, dass der Bund dem Drängen der Länder nachgegeben habe. Zuvor hatte es heftige Kritik an den vom Bund auferlegten Vorgaben für die Prüfung gegeben. Neben den Bundesländern hatten auch Wirtschaftsverbände und die Steuerberaterkammer die kleinteiligen Verfahren und kurzen Fristen gerügt.
Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin Handelsverband in Baden-Württemberg, warnt vor dramatischen Folgen: "Wenn manche Händler die ganzen Corona-Hilfen zurückzahlen müssen, aus irgendwelchen Gründen, aus formalen Gründen würde ich mal sagen, dann wird das eventuell ihre Existenz vernichten, wenn sie nicht genügend Rücklagen haben, um das durchzustehen", sagte sie dem SWR. Man brauche "großzügige Regelungen".
Laut Hoffmeister-Kraut reagieren Bund und Ländern nun auch auf diese Kritik. Künftig soll es beschleunigte Verfahren bei kleineren Fällen geben. Wenn die Fördersumme unter 25.000 Euro liegt und die erwartete Rückzahlung bei bis zu 2.000 Euro, soll die Bearbeitung weitgehend automatisch erfolgen. Das bedeute, dass 40 Prozent der Fälle künftig schneller abgeschlossen werden könnten.
Firmen in BW bekamen rund zehn Milliarden an Corona-Hilfen
Während der Pandemie waren staatliche Zuschüsse in Höhe von über zehn Milliarden Euro in die baden-württembergische Wirtschaft geflossen. Nur dadurch habe man eine Insolvenzwelle infolge der Corona-Lockdowns verhindern können, heißt es aus dem Stuttgarter Wirtschaftsministerium. Nun müsse aber geprüft werden, ob die Einbußen der Betriebe wirklich so hoch waren, wie damals vorausgesagt. Schließlich gehe es um Steuergeld.
Für Hoffmeister-Kraut war aber schon vorher klar: "Wenn ein Unternehmen nicht zurückzahlen kann, dann wird gestundet. Dann gibt es Ratenzahlungen. Es darf kein Unternehmen wegen der Rückzahlung der Corona-Hilfen in die Insolvenz gehen."
Steuerberater verzweifelt an Bürokratie
Steuerberater Krämer kämpft derweil weiter mit der Bürokratie. Sein Glaube an den Staat ist wegen des Chaos erschüttert. "Ein stückweit war ich immer der Meinung, wir in Deutschland kriegen das gebacken. So wird das niemals funktionieren. Niemals."