Deportations-Fantasien der AfD und Rechtsruck in der Wählergunst

Gefahr durch Rechtsextremismus für unsere Demokratie - Wiederholt sich die deutsche Geschichte?

Stand
Autor/in
Matthias Roman Schneider
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Der Aufwind der AfD erinnert viele an Deutschlands dunkle Vergangenheit. Ein Historiker der Uni Stuttgart erklärt, warum das Schicksal der Weimarer Republik sich nicht wiederholen muss.

Die Alternative für Deutschland (AfD) wird in den Umfragen immer stärker. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird sie jüngsten Prognosen zufolge ziemlich sicher als stärkste Kraft die Landtagswahlen gewinnen. Auch bei der Europawahl gilt sie demnach für jeden vierten Wähler als attraktiv. Diese findet am 9. Juni 2024 in Baden-Württemberg zeitgleich mit den Kommunalwahlen statt. Der rechte Flügel der Gesellschaft wird dabei zur maßgeblichen Kraft und möglicherweise auch zur Gefahr für die Demokratie. Die bislang etablierten Parteien scheinen da nur noch hinterher zu laufen.

Viele Menschen fürchten mittlerweile, dass sich die Vergangenheit wiederholen könnte. Dass Deutschland, wie Ende der 1920er Jahre, in eine Diktatur rutschen, schlimmer noch: sich gewaltsame Deportationen wie während des Holocaust wiederholen könnten. Der Bericht der Journalistinnen und Journalisten des Recherchenetzwerks Correctiv zu einem Geheimtreffen von Neo-Nazis mit Politikerinnen und Politikern der AfD und der Werteunion befeuern diese Ängste und sorgen aber auch für eine Welle an Protesten.

Aus der Geschichte nichts gelernt?

"Wer AfD wählt, hat aus der Geschichte nichts gelernt" und ähnliche Parolen sind auf den unzähligen Massendemonstrationen für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus derzeit häufig zu lesen. Lässt sich die heutige Zeit - der aktuelle Zustand unserer Demokratie - mit dem Verfall der Demokratie der Weimarer Republik vergleichen?

Der Historiker Wolfram Pyta von der Universität Stuttgart findet den Vergleich legitim.

Prof. Dr. Wolfram Pyta - Leiter der Abteilung Neuere Geschichte Universität Stuttgart
Der Historiker Wolfram Pyta ist Leiter der Abteilung Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart. Unter anderem hat er mehrere Werke über die Weimarer Republik und den Verfall der damaligen Demokratie verfasst und veröffentlicht.

Blick in die Geschichtsbücher: Weimarer Republik versus BRD

Vergleichen könne man die Weimarer Republik um 1926 und Deutschland um 2024 natürlich, so Pyta. Die Geschichtswissenschaft lebe vom Vergleich. "Der Vergleich macht Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede deutlich", erklärt der Leiter der Abteilung Neuere Geschichte der Universität Stuttgart dem SWR. Selbstverständlich seien die Menschen heute andere als vor etwa 100 Jahren. Insofern komme es darauf an, die strukturellen Ähnlichkeiten wie die strukturellen Unterschiede zu betonen. Wichtig sei dabei zu beachten: Geschichte wiederhole sich nicht. Aber es gebe Konstellationen, warum eine Demokratie untergehen könne, ohne dass sie von außen erobert werde. Dass sie sozusagen an "innerlicher Schwäche zugrunde geht", so Pyta gegenüber dem SWR.

"Und wichtig: Geschichte wiederholt sich nicht"

Die Weimarer Republik war nicht krisenfest, was aber laut Pyta auch daran liegt, dass die Wucht dieser Krisen wie der Weltwirtschaftskrise damals so gewaltig war, dass auch etablierte, gefestigtere Systeme sie nur schwerlich überwunden hätten. Die Weimarer Republik litt nicht nur unter einer ganz schweren Wirtschaftskrise, die letztlich dazu führte, dass sechs Millionen Menschen am Hungertuch nagten. "Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik bedeutete etwas ganz anderes als Arbeitslosigkeit heute, weil es nicht den Sozialstaat gab, der für die wichtigsten Bedürfnisse des alltäglichen Lebens Sorge trägt", so Pyta.

Hinzu kam, dass die Weimarer Republik in einer denkbar ungünstigen außenpolitischen Lage entstanden war. "Die Folgen des von der Republik nicht verantworteten Krieges wurden allein auf die Republik abgewälzt, was für erhebliche finanzielle Belastungen durch die Reparationen sorgte. Zum anderen wurde diese Republik von ihren Eliten nicht nur geliebt. Es gab gerade unter den Eliten eine gewisse Distanz zu diesem Staat", erläutert der Historiker. Das mache deutlich, wie groß die Unterschiede der Weimarer Republik zum heutigen Zustand seien.

Lupenreine Demokraten der Bundesrepublik versus Hindenburg

"Heute stehen die Eliten fest auf dem Boden des liberalen Rechtsstaates", so Pyta. "Die führenden Vertreter, die Vorstandsvorsitzenden großer in Deutschland tätiger Unternehmen, beziehen klar Stellung. Die Institutionen unseres Staates sind allesamt besetzt mit - jetzt darf man den Begriff nun wirklich verwenden - lupenreinen Demokraten."

In der Weimarer Republik besetzte mit Reichspräsident Paul von Hindenburg ein Politiker die Institution mit der stärksten politischen Gestaltungsmacht, der "nicht mit beiden Beinen fest auf den Füßen der demokratischen Grundordnung stand", so Pyta. Die Weimarer Republik habe ein politisches System etabliert, in dem der Reichspräsident letztlich darüber entschied, wer Reichskanzler wurde. Reichspräsident Paul von Hindenburg habe Adolf Hitler an die Macht gebracht, weil er ihn zum Reichskanzler ernannte. Die Institutionen der Republik hätten nicht funktioniert. Das heutige System habe bestimmte Vorkehrungen getroffen, damit sich so etwas nicht wiederhole.

Kanzler wird in der Bundesrepublik vom Bundestag gewählt

Heute gibt es keinen Präsidenten, der aus eigener Machtbefugnis einen Kandidaten seiner Wahl in das Amt des Bundeskanzlers befördern kann. Der Bundeskanzler und damit der Regierungschef wird vom Bundestag gewählt. Das hält Pyta im Falle eines möglichen rechtextremen Kandidaten wie zum Beispiel Björn Höcke (AfD) für ausgeschlossen.

Extremistische Parteien in der Wählergunst

Der Aufstieg der Rechtsextremisten in der Wählergunst ist laut Pyta beunruhigend. Aber das allein reiche nicht aus, um an die politische Herrschaft zu kommen, zumal sich allem Anschein nach die die liberale Demokratie tragenden politischen Kräfte darin einig seien, in solchen Stunden staatspolitisch zusammenzustehen. Und es gebe etwas ganz Wichtiges, was das politische System in Deutschland auszeichne: die Fähigkeit zum Kompromiss.

"Wir haben, so nennt man das in der Politikwissenschaft, eine Verhandlungsdemokratie", erklärt Pyta. Das bedeute, dass in den großen Fragen der Politik eine Vielzahl entscheidungsbefugter Organe wie der Bundesrat, die Bundesregierung und der Bundestag gemeinsame Lösungen finden. "Wir haben diese Verhandlungsdemokratie auch auf Ebene der Europäischen Union. Das heißt, Deutschland ist Teil einer großen Staatengemeinschaft."

Insofern, ist sich der Historiker sicher, gebe es viele Unterschiede, die allerdings nicht bedeuteten, dass wir die Problematik verharmlosen sollten. "Aber solange die politischen Eliten der liberalen demokratischen Kräfte zusammenarbeiten, sehe ich keine existentielle Gefahr für diese Demokratie."

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Aktueller Protest: Bekenntnis zur liberalen Demokratie

"In der Weimarer Republik kam der Protest gegen die Regierungspolitik ausschließlich den extremistischen Parteien zugute", so Pyta. Man dürfe dabei auch die Kommunisten nicht vergessen. "Die beiden extremistischen Kräfte, KPD und NSDAP, die eingeschworenen Feinde der Freiheit und der liberalen Demokratie, haben 1932 bei zwei freien und geheimen Wahlen die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht." Pyta sagt, so etwas sei heutzutage nicht zu befürchten.

Aktuell gehen in Baden-Württemberg und auch in der gesamten Bundesrepublik abertausende Menschen für die Demokratie auf die Straße und positionieren sich mit Demonstrationen klar gegen Rechtsextremismus. Pyta hat große Sympathien für diese "zivilgesellschaftliche Bewegung", denn das sei keine von den Parteien und den üblichen Organisationen ausgehende Bewegung.

Hier hat sich sehr spontan Protest artikuliert, der zugleich ein Bekenntnis zur liberalen Demokratie ist. Das zeugt auch von der zivilgesellschaftlichen Stärke.

In der Weimarer Republik habe es eine solche zivilgesellschaftliche "Aufstandsbewegung" nicht gegeben.

Vor 100 Jahren waren Demokraten in der Unterzahl

Zwar gab es laut Pyta auch in der Weimarer Republik Demokratinnen und Demokraten, die gegen die Nazis mobil gemacht haben. Aber eben nicht in dieser Masse. Außerdem sei damals die Überlast der Krisen das Problem gewesen. An diesen seien auch andere politische Systeme zugrunde gegangen.

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