Erlass von 1972 hat noch heute Folgen

Radikalenerlass: Enttäuschung nach Treffen mit Ministerpräsident Kretschmann

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Ministerpräsident Kretschmann hat Betroffene des Radikalenerlasses in Stuttgart empfangen. Mit dem Erlass wurden vor 50 Jahren Menschen aus dem Öffentlichen Dienst ausgeschlossen.

Am Mittwochnachmittag hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Betroffene des Radikalenerlasses getroffen. Der Erlass aus dem Jahr 1972 betraf die Einstellung und Tätigkeit von links- oder rechtsradikalen Personen im Öffentlichen Dienst. In Baden-Württemberg wurde er auch "Schiess-Erlass" genannt - nach dem damaligen CDU-Innenminister Karl Schiess. Der Erlass hatte zum Beispiel Postboten, aber auch angehende Lehrerinnen und Lehrer aus dem Staatsdienst ausgeschlossen.

Kretschmann will nicht pauschal entschädigen

Nach dem Gespräch im Staatsministerium sagte Kretschmann, diesen Menschen sei Ungerechtigkeit widerfahren. Bereits im Januar hatte er in einem Brief an die zu Unrecht Betroffenen sein Bedauern geäußert. Trotzdem sind auch nach dem Gespräch keine Rehabilitierung oder Entschädigung geplant. Hintergrund ist, dass eine formelle und ausdrückliche Entschuldigung rechtliche Konsequenzen haben würde und im konkreten Fall auch Geld kosten würde: Entschädigungszahlungen. Für ihn und seine Mitstreiter sei das eine große Enttäuschung, sagte Andreas Salomon von der Initiative der Betroffenen. Kretschmann sei nicht bereit gewesen, auf die drei Forderungen nach einer Entschuldigung, einer Rehabilitierung oder nach der Einrichtung eines Fonds einzugehen.

Er könne nicht pauschal entschädigen, da müsse jeder Einzelfall geprüft werden, so Kretschmann. Dafür gebe es im Rechtsstaat Gerichte, da müsse man sich sein Recht erstreiten. Das sei ein Dilemma, denn im Rechtsstaat werde nur Recht gesprochen und nicht Gerechtigkeit. Deshalb könne er die Enttäuschung der Betroffenen verstehen. Laut Staatsministerium fehlen in vielen Fällen auch die Beweismittel, nicht alle Akten seien noch da. Ob sie für ihr Recht vor Gericht ziehen, ließen die Betroffenen noch offen, aber aufgeben wollen sie auch nicht so einfach.

Initiative: Betroffene leiden unter Altersarmut

In Baden-Württemberg wurden insgesamt 695.000 Menschen überprüft - dabei gab es 1.900 Mal sogenannte Erkenntnisfälle, also Hinweise auf Radikalisierungen. 222 Menschen wurden daraufhin nicht in den Öffentlichen Dienst aufgenommen. Sie konnten keine Lehrerinnen, Richter oder auch Postbotinnen werden. 66 Menschen wurden damals entlassen. Eine Studie im Auftrag der Landesregierung kommt zu dem Schluss, dass der Radikalenerlass eine ganze Generation unter Generalverdacht gestellt hat.

Die Betroffenen mussten damals nach ihrer Ausbildung unter anderem in Fabriken arbeiten. Viele litten heute unter Altersarmut und müssten von weniger als 700 Euro leben, so die Betroffeneninitiative. Sie fordern eine Entschuldigung und damit verbunden auch eine Entschädigung. Im vergangenen Frühjahr war die Studie im Auftrag der Landesregierung veröffentlicht worden.

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Opposition ist geteilter Meinung

Ein Teil der Opposition argumentiert in eine ähnliche Richtung wie die Landesregierung: FDP und AfD. Auch weil es schwierig sei, jeden Einzelfall differenziert zu betrachten und dafür einen pauschalen Rahmen zu ziehen, argumentiert zum Beispiel der rechtspolitische Sprecher der Liberalen, Nico Weinmann.

Anders sieht es die SPD. Sie positioniert sich immer wieder als Anwältin der Betroffenen. So heißt es aus der Landtagsfraktion: Eine Anerkennung des Leids brauche auch eine Entschuldigung und eine Entschädigung durch den Staat als Verursacher.

"Es ist enttäuschend und auch nicht nachvollziehbar, dass der Ministerpräsident bei der Aufarbeitung des Radikalenerlasses einen Rückzieher macht", so der SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch in einer Pressemitteilung. Kretschmann habe bei Betroffenen mit Worten des Bedauerns für einen Moment Hoffnung geweckt, um anschließend die Einrichtung eines Entschädigungsfonds abzulehnen. Das sei ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.

Weirauch, der rechtspolitische Sprecher der SPD, hatte mit seiner Fraktion im Dezember bereits einen Antrag auf einen Entschädigungsfonds in die Haushaltsberatungen eingebracht. Grüne und CDU lehnten den Antrag ab.

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