Debatte bei "Zur Sache Baden-Württemberg"

Sind die Innenstädte in Baden-Württemberg noch zu retten?

Stand
Autor/in
Markus Pfalzgraf

Der Online-Handel, Mieten und große Ketten bedrohen die einst funktionierenden Fußgängerzonen in Baden-Württemberg. Ist die Zeit der Innenstädte vorbei?

Überall grelle Werbung: Black Friday, Black Week, Black Deals - Schnäppchenjagd in den Fußgängerzonen. Nützt das den Innenstädten, die mit Leerstand zu kämpfen haben? Denn auch online gibt es den Wettbewerb um die besten Angebote.

Eine Familie aus Karlsruhe bestellt alles online - aber auch wirklich alles: Der Esstisch, das Sofa, der Fernseher, eigentlich die komplette Inneneinrichtung ist bestellt und geliefert, zeigte Familie Schiavano in der Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg". Aber auch alles für den täglichen Bedarf wird online bestellt: Von der Marmelade bis zum Reinigungsöl für Elektrogeräte, selbst Mülltüten kommen mit der Post – jeden Tag Pakete. Rund 700 Bestellungen waren es in diesem Jahr schon, und rechnen sie die geschäftlichen Bestellungen hinzu, sind es an die tausend.

Online-Shopping statt Einkaufsbummel: Ist die Zeit der Innenstädte in Baden-Württemberg vorbei?

Die Vorteile des Online-Handels sind offensichtlich: Bequeme Bestellung, oft kostenlose Rückgabemöglichkeit, schnelle Lieferung. Wobei etwa der Buchhandel oft schneller sein kann als die Online-Konkurrenz: Viele Buchhandlungen haben ein bestelltes Buch am nächsten Morgen im Geschäft - und die Beratung noch dazu.

Was passieren kann, wenn der Online-Handel boomt und der stationäre Handel Probleme bekommt, ist beispielsweise in Vaihingen an der Enz (Kreis Ludwigsburg) sichtbar. Eine schöne Altstadt mit historischem Rathaus, Marktplatz mit Brunnen, die Straßen gepflastert. Hier gäbe es Möglichkeiten für Gastronomie in bester Lage, doch die Stadt findet niemanden, der oder die das übernehmen will.

Viele Fachgeschäfte wie beispielsweise das letzte für Sportartikel sind weg - stattdessen stehen Läden leer, kleinere Shops mit Billigware kommen und gehen. Kein Wunder: Etwas außerhalb gibt es große Drogerie- und Supermärkte, in denen es das meiste für den täglichen Bedarf gibt.

In Reutlingen hat das riesige Warenhaus von Galeria-Kaufhof geschlossen, und jetzt kommt auch noch das Modekaufhaus Breuninger dazu. "Das ist ein Zeichen für den Niedergang des Einzelhandels insgesamt. Die Nachricht ist eingeschlagen wie eine Granate," sagte Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD). Die Stadt will mit verschiedenen Maßnahmen gegensteuern: Samstags ist der Busverkehr in Reutlingen gratis, ebenso die zweite Stunde Parken in den städtischen Tiefgaragen. Mehr Dekoration, mehr Sicherheit, mehr Sauberkeit - und bald soll es kostenloses WLAN geben.

Mehr Aufenthaltsqualität in den Innenstädten durch Pop-Up-Stores

Außerdem wurde ein Förderprogramm des Bundes angezapft: "Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren" heißt es. Damit können anteilig Projekte von Kommunen finanziert werden. Im Fall von Reutlingen war das etwa ein Pop-Up-Store. Für solche Projekte gibt es auch Landesmittel. Baden-Württemberg hat dafür das "Sofortprogramm Einzelhandel/Innenstadt", mit dem unter anderem  Stadtmarketing, Veranstaltungen, Pop-up-Malls und -Stores gefördert werden können.

Diese temporären Läden scheinen eine Lösung zu sein. In Nagold (Kreis Calw) hat die Stadt sogar die Möglichkeit, selbst solche Flächen zu kaufen und in vorübergehende Geschäfte umzuwandeln. Einzelne können bei Erfolg auch dauerhaft bleiben. In Vaihingen an der Enz nutzt die Stadt einen Buchladen dafür, immer wieder für ein paar Wochen neue Geschäfte auszuprobieren und Leerstand vorzubeugen. Ein weiterer Laden wird von Ehrenamtlichen mit Kunstausstellungen bespielt. Außerdem will Vaihingens Bürgermeister Uwe Skrzypek (Freie Wähler) Wohnraum schaffen, um die Innenstadt zu beleben.  

Ingesamt komme es auf eine gute Mischung an, sagte die Stadtplanerin Sophie Büchner in der Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg". Die Menschen bräuchten kulturelle Angebote, um in die Innenstädte zu kommen - aber auch Erlebnisse, fügte die frühere Kaufhausmitarbeiterin Sabine Jakoby hinzu. Der Handel brauche ein gutes Umfeld mit verschiedenen, bestenfalls inhabergeführten Geschäften, sagte der Schuhhändler Ingo Hänel. Uneins war sich die Runde darüber, ob die Innenstädte dafür autofrei sein müssten. Laut Stadtplanerin Büchner könne das vielleicht nicht in kleineren, aber in größeren Städten helfen, die Zentren zu beleben und die Aufenthaltsqualität zu verbessern.

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