Die Berufschullehrerinnen und Berufschullehrer in Baden-Württemberg warnen vor Einschränkungen des Unterrichts für Geflüchtete in Baden-Württemberg. "Schulleitungen und Lehrkräfte sind häufig am Limit. Wenn sich nicht schnell etwas ändert, muss vielerorts der Unterricht gekürzt werden", sagte Thomas Speck, Vorsitzender des Berufschullehrerverbands BLV am Freitag in Stuttgart. In Ballungsräumen gebe es bereits jetzt erhebliche Einschränkungen, es fehlten Lehrkräfte und Unterrichtsräume.
Einer nicht repräsentativen Umfrage des Verbands zufolge hält die Hälfte der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter die Situation für angespannt. Die Folgen seien immer längere Wartelisten für Flüchtlinge und mehr Schüler pro Klasse sowie Mehrarbeit für die Lehrer. "Gleichzeitig ist der Verwaltungsaufwand enorm: In immer kürzeren Abständen müssen Stundenpläne neu aufgesetzt und umorganisiert werden", teilte der BLV mit. Der Umfrage zufolge musste mehr als jede fünfte Schulleitung bereits mehrfach die Stundenpläne neu organisieren.
Ausmaß der Belastungen wie in Flüchtlingskrise 2015 möglich
"Ohne weitere, kurzfristige Unterstützung laufen die betroffenen Schulleitungen und Lehrkräfte in eine Überlastungssituation, die das Ausmaß der Belastungen in Folge der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 erheblich übersteigen könnte", fürchtet Speck. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den Vorbereitungsklassen an den Berufsschulen (VABO) seien von Oktober bis Juli von 2.845 auf 7.950 angestiegen, so der BLV. Auch im kommenden Schuljahr rechnen die Berufschullehrerinnen und Berufschullehrer mit einer starken Belastung. "Mehr als 80 Prozent dieser Schülerinnen und Schüler bleiben an den beruflichen Schulen", sagte Speck.
Zu Beginn des Schuljahres habe der Fokus noch auf ukrainischen Geflüchteten gelegen. "Inzwischen stammen die meisten Geflüchteten wieder aus den arabischen Ländern, zum Beispiel aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan", sagte Speck. Das mache es für die Schulen nochmals schwieriger. Manche hätten in ihrem Leben weniger als drei Jahre Schulbildung erhalten, andere, wie die ukrainischen Geflüchteten, kämen aus einem sehr ähnlichen Schulsystem und seien auf dem Weg zum Schulabschluss.
Helfen würde den Berufschulen mehr Flexibilität, so Speck: Um die Schüler besser nach ihrem Leistungsstand unterrichten zu können, brauche es dringend mehr unterjährige Klassen, die etwa zum Schulhalbjahr starteten. Dann könne deutlich besser auf unterschiedliche Sprachniveaus eingegangen werden. Aus Sicht der Berufschullehrerinnen und Berufschullehrer braucht es zudem mehr Vorbereitungsklassen an den allgemeinbildenden Schulen. Es könne nicht sein, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler mit 15 Jahren an die beruflichen Schulen geschickt würden, obwohl dies erst mit 16 Jahren passieren dürfe, kritisierte Speck. "Das Kultusministerium ist gefordert, auf eine solidarische Verteilung der geflüchteten Schülerinnen und Schüler zwischen allen Schularten zu achten", hieß es.
Kultusministerium reagiert auf aktuelle Lage
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sagte: "Wir können die geäußerten Wünsche sehr gut nachvollziehen." Man werde den beruflichen Schulen für das kommende Schuljahr mehr Flexibilisierungsmöglichkeiten wie etwa Halbjahresklassen ermöglichen. Zudem solle künftig kein Wechsel mehr von allgemeinbildenden auf berufliche Schulen während des Schuljahres möglich sein. Das sorge für mehr Ruhe und Planbarkeit, hieß es aus dem Kultusministerium.
Für sinnvoll halten die Berufschullehrerinnen und Berufsschullehrer auch zusätzliche Deutschkurse etwa an Volkshochschulen oder privaten Sprachschulen. Zudem sollte aus Sicht des Verbands der Sprachstand der Schülerinnen und Schüler vor dem Beginn des Unterrichts erhoben werden. "Wir könnten deutlich besser auf die Heterogenität eingehen, wenn diese Sprachstandserhebungen schon davor laufen würden", sagte Speck.
Unterstützung kommt vom Verband Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). Die Wirtschaft plädiere für eine faire Lastenverteilung zwischen allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, um nicht den Regelbetrieb und die Qualität unserer Berufsausbildung zu gefährden, so Stefan Küpper, Geschäftsführer für Politik, Bildung und Arbeitsmarkt des UBW.