Nach der erneuten Flucht eines Häftlings aus Baden-Württemberg und deutlicher Kritik der Opposition hat Landesjustizministerin Marion Gentges (CDU) angekündigt, die Regelungen für sogenannte Ausführungen zu verschärfen. Sie habe am Freitag eine striktere Handhabung bei Ausführungen per Erlass angeordnet, sagte Gentges am Abend dem SWR.
"Bei Ausführungen zum Gericht oder zum Arzt, die zwingend erfolgen müssen, darf der Gefangene grundsätzlich erst unmittelbar vor dem Verlassen der Anstalt darüber informiert werden, um entsprechende Absprachen auszuschließen", sagte die Ministerin. Von Ausführungen spricht man, wenn ein Strafgefangener für einige Stunden in Begleitung die Haftanstalt verlassen darf. Was die von Gentges angekündigte "striktere Handhabung" bei Ausführungen in der Praxis bewirkt und wie gut diese von den Justizvollzugsanstalten im Land tatsächlich umgesetzt werden können, muss sich erst noch zeigen.
Gentges: Begleitende Beamte waren unbewaffnet
Gentges bestätigte außerdem, dass nach den bisherigen Erkenntnissen die Beamten unbewaffnet gewesen seien. Die Vollzugsanstalten entschieden eigenständig im Einzelfall über die Ausstattung bei einer Ausführung, so Gentges. Der entflohene Häftling sei an den Händen sowie an einen der Beamten gefesselt gewesen.
Der 25-jährige Strafgefangene der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim war am Donnerstag, begleitet von Vollzugsbeamten, bei einem Arzttermin in einem Krankenhaus im pfälzischen Ludwigshafen. Laut Polizei wartete vor der Klinik offenbar ein vermummter Komplize oder eine Komplizin auf einem Roller, bedrohte die Justizbeamten mit einer Waffe und schoss in die Luft. Der Flüchtige sei auf den Roller aufgesprungen und beide seien entkommen.
Nach der Flucht des Häftlings hatte die Opposition im Landtag am Donnerstag eine Überprüfung der Ausführungspraxis in BW gefordert. Gentges verteidigte im SWR die Vollzugsbeamten. Anders als im Fall des entflohenen Häftlings der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal Ende Oktober seien die Beamten, die den Häftling in Ludwigshafen begleiteten, mit einer Waffe bedroht worden.
Um so etwas zu verhindern, sollen auch bei anderen Ausführungen laut der Justizministerin die Planungen dem Gefangenen erst möglichst spät und nur grob mitgeteilt werden. Ende Oktober war ein 43-jähriger Häftling der JVA Bruchsal den Beamten bei einem bewachten Ausflug an einem Baggersee in der Nähe von Germersheim (Rheinland-Pfalz) entkommen. Dort sollte er seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder treffen. Von einer elektronischen Fußfessel, die er bei dem Ausflug trug, konnte er sich offenbar mithilfe eines Werkzeugs befreien. Von beiden entflohenen Strafgefangenen fehlt bislang jede Spur.
FDP sieht "große Sicherheitslücken" bei Ausführungen
Der SPD-Abgeordnete Jonas Weber forderte am Donnerstag, das gesamte System auf den Prüfstand zu stellen. "Wir erleben zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen, dass bei einer Ausführung eine Flucht gelingt. Dies wirft viele Fragen auf, die die Justizministerin beantworten muss", so Weber. Offenbar gebe es erhebliche Schwachstellen bei Ausführungen. Die Strafvollzugsbeauftragte der FDP, Julia Goll, spricht sogar von "großen Sicherheitslücken" bei Ausführungen im Strafvollzug. Sie habe bereits nach der ersten Flucht Sofortmaßnahmen gefordert, um die Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern und die Bevölkerung zu schützen.
Eine Sprecherin des CDU-geführten baden-württembergischen Justizministeriums teilte am Donnerstag auf SWR-Anfrage mit, dass bereits umfassende Sicherheitsüberprüfungen eingeleitet worden seien. Dabei gehe es um zusätzliche organisatorische Maßnahmen, auch technische Verbesserungen würden geprüft.
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