Im Kanzleramt in Berlin sprechen die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten an diesem Montagnachmittag mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über die Migrations- und Asylpolitik. Seit Monaten schlagen die Länder Alarm - vorne mit dabei Baden-Württemberg. Sie verweisen auf die gestiegenen Zahlen Geflüchteter in Deutschland und darauf, dass Städte und Kommunen überlastet sind. Ziel des Treffens ist daher, Wege im Kampf gegen irreguläre Migration zu finden und die Finanzierung der Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen zu klären.
- BW fordert Bezahlkarte statt Bargeld
- Kopf-Pauschale pro Flüchtling: BW ist dafür
- Debatte um Asylverfahren außerhalb Europas
- Zahl der Asylanträge in BW gestiegen
- Städtetag fordert schnellere Asylverfahren
- BW will Deutschlandticket beibehalten
- Land fordert vom Bund mehr Geld für Kliniken
BW fordert Bezahlkarte statt Bargeld
Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten fordern gemeinsam vom Bund, dass Asylsuchende statt Bargeld eine elektronische Bezahlkarte und Sachleistungen erhalten sollen. Die Karte soll bundesweit einheitlich sein. Alles andere wäre aus Sicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) "nicht sehr sinnvoll". Das würde zu Binnenmigration zwischen den Ländern führen, so der Regierungschef.
Kretschmann erwarte vom Treffen mit dem Kanzler, dass die Bezahlkarte, auf die sich alle Bundesländer geeinigt hätten, zügig auf den Weg gebracht werde, sagte eine Regierungssprecherin dem SWR im Vorfeld. Man müsse vom Ankündigen ins Umsetzen kommen.
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Zustimmung zu einer Bezahlkarte für Flüchtlinge kommt auch von den Landkreisen in Baden-Württemberg. Die Umstellung wäre ein wichtiger und überfälliger Schritt in die richtige Richtung, hieß es vom Landkreistag. Durch die Karte werde verhindert, dass Geld in Heimatländer überwiesen oder auch Schleuserbanden bezahlt würden. Die Fraktion der Grünen im Landtag hingegen lehnt eine solche Lösung als zu teurer und zu aufwendig ab. Flächendeckend Sachleistungen auszuhändigen würde zu bürokratischem Mehraufwand führen und die Kommunen zusätzlich belasten, hieß es von den Grünen.
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Kopf-Pauschale pro Flüchtling: BW ist dafür
Seit Monaten fordern die Länder einstimmig mehr Geld vom Bund für die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter. Der Bund hatte beim Flüchtlingsgipfel im Mai eine Milliarde Euro als zusätzliche Beteiligung für dieses Jahr zugesagt. Damit liegt der Anteil des Bundes bei insgesamt 3,75 Milliarden Euro für das Jahr 2023. Für 2024 will er nur noch maximal 1,7 Milliarden Euro beisteuern.
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Länder und auch Kommunen verlangen angesichts steigender Migrationszahlen aber eine deutlich höhere finanzielle Unterstützung. Sie wollen wieder zu einer Pro-Kopf-Pauschale für jeden einzelnen Flüchtling zurückkehren statt wie zuletzt eine fixe Summe zu erhalten. Der Beitrag des Bundes würde sich so an der jeweils aktuellen Zahl von Geflüchteten orientieren und wäre damit "auf Augenhöhe mit den Herausforderungen", hieß es aus der Regierungszentrale in Stuttgart. Die Länder verlangen eine Pro-Kopf-Pauschale von mindestens 10.500 Euro.
Obwohl die Zahl der Geflüchteten gestiegen ist, rechnet Baden-Württemberg in diesem Jahr bislang mit weniger Geld vom Bund für die Unterbringung und Versorgung als 2022. Nach SWR-Informationen gibt es für dieses Jahr bisher Zusagen von insgesamt 530 Millionen Euro - also 47 Millionen Euro weniger als 2022. Das teilte ein Sprecher des Finanzministeriums dem SWR mit.
Asylverfahren außerhalb Europas: BW und Unions-geführte Länder dafür
Die grün-schwarze Landesregierung hat sich laut Medienberichten im Vorfeld der Ministerpräsidentenkonferenz für Asylverfahren außerhalb Europas ausgesprochen. Die Forderung ist mit Unions-geführten Bundesländern abgestimmt. Unklar war allerdings, ob Asylbewerberinnen und -bewerber dafür aus Deutschland in diese Länder zurückgebracht werden sollen oder ob es künftig möglich sein soll, dass sie dort noch vor der Einreise nach Deutschland einen Antrag auf Schutz stellen.
Die von CDU und CSU geführten Länder und Baden-Württemberg wollen demnach außerdem das EU-Türkei-Abkommen zur Begrenzung der Migration neu beleben. Auch Asylverfahren für Menschen aus Ländern mit sehr geringen Aussichten auf Schutz sollen beschleunigt und der Nachzug von Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter vorübergehend ausgesetzt werden.
Zuvor war diese Forderung von dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gekommen, um die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland und Europa zu reduzieren. Ähnlich wie beim EU-Türkei-Abkommen könnten etwa in Nordafrika gegen finanzielle Zusagen Abkommen geschlossen werden, so Wüst. Sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) beispielsweise lehnt das ab.
Zahl der Asylanträge in BW nimmt zu
Der Zustrom von Menschen, die nach Baden-Württemberg kommen, ist ungebrochen. Seit Anfang des Jahres bis einschließlich September wurden im Land rund 26.000 Asylanträge gestellt. Das geht aus Zahlen des Migrationsministeriums hervor. Die drei häufigsten Herkunftsländer sind die Türkei, Syrien und Afghanistan. Hinzu kommen rund 32.000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die allerdings kein Asyl beantragen müssen.
Wie viele Geflüchtete sich derzeit insgesamt in Baden-Württemberg aufhalten, ist unklar. Bei der letzten Erhebung im Dezember 2022 waren es laut Statistischem Landesamt 362.000 Menschen, davon 131.000 aus der Ukraine.
"Es braucht jetzt dringend wirksame Entscheidungen, die Politik muss handeln", sagte der Präsident des baden-württembergischen Gemeindetags, Steffen Jäger. "Es darf keine weitere Bund-Länder-Runde brauchen, eine nochmalige Verschiebung wäre nicht vermittelbar." Sonst drohe eine Überforderung der Gesellschaft und ein Verlust der Akzeptanz.
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Städtetag: Asylverfahren müssen schneller gehen
Auch der Deutsche Städtetag ist für schnellere Asylverfahren. Er sieht Bund und Länder in der Pflicht: "Der Bund muss beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für mehr Personal sorgen, damit Anhörungsverfahren zeitnah und noch schneller durchgeführt werden können", sagte Städtetagspräsident Markus Lewe den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". "Die Länder wiederum müssen dafür sorgen, dass die Verfahren an den Verwaltungsgerichten schneller abgeschlossen werden." Denn schnellere Rückführungen von Menschen ohne Bleibeperspektive seien erst dann möglich, wenn es final abgeschlossene Asylverfahren gebe, so Lewe. Aktuell dauerten die Verfahren je nach Bundesland mehr als ein Jahr, teilweise sogar über zwei Jahre.
Laut einer Umfrage ist die Dauer der Asyl-Gerichtsverfahren bundesweit bereits gesunken. Die Laufzeit der erstinstanzlichen Asylklagen fiel im bundesweiten Durchschnitt von 20 Monaten im Jahr 2022 auf inzwischen rund 17 Monate. Das ergab eine Befragung des Deutschen Richterbundes unter allen deutschen Verwaltungsgerichten und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Finanzierung des Deutschlandtickets: BW will Ticket beibehalten
Neben der Flüchtlingspolitik stehen noch 15 weitere Themen auf der Tagesordnung. Eines davon ist die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr. Auch hier geht es um Geld und die Frage, wer mögliche Mehrkosten des Tickets ab 2024 übernimmt. Für dieses Jahr teilen sich Bund und Länder diese Kosten. Darauf pochen die Länder auch für das neue Jahr. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt das bislang allerdings ab.
Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte dem SWR, wenn dem Bund das Ticket wichtig sei, müsse er auch die Verantwortung für die Hälfte der Finanzierung mit allen Konsequenzen übernehmen. Die Fahrgäste erwarteten von der Politik zu Recht Verlässlichkeit und seien verärgert über das Hin und Her bei der Finanzierung. Es wäre ein Jammer, wenn das erfolgreiche Deutschlandticket scheitern würde, so Hermann.
Beratungen am 6. November BW-Verkehrsminister fordert Einigung bei Deutschlandticket-Finanzierung
Seit gut sechs Monaten gibt es das Deutschlandticket für Bus und Bahn im Nahverkehr. Hunderttausende Menschen in Baden-Württemberg nutzen das Angebot. Doch die zukünftige Finanzierung ist offen.
In Baden-Württemberg nutzten im Sommer mehr als 700.000 Menschen das Angebot. Davon hatten rund 500.000 Ticketkäufer bereits zuvor eine Zeitkarte. Das geht aus einer Umfrage des Verkehrsministeriums unter den Verkehrsverbünden im Land hervor.
Finanzielle Lage der Kliniken: BW fordert mehr Geld
Die finanzielle Lage der Krankenhäuser ist ebenfalls Thema beim Treffen mit dem Kanzler. Viele Kliniken, auch in Baden-Württemberg, sind finanziell stark angeschlagen. Sie haben teilweise noch immer mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Dazu kommen die gestiegenen Energiekosten und die Inflation. Die Bundesländer fordern deshalb vom Bund mehr Geld für die Kliniken, da der Bund für deren Betriebskosten zuständig ist.
Dabei wird vermutlich auch die geplante Krankenhausreform zur Sprache kommen. Mit der Reform, die im Frühjahr 2024 in Kraft treten soll, würde sich das Finanzierungssystem der Kliniken grundsätzlich ändern. Außerdem sollen sich Kliniken stärker spezialisieren. Die Krankenhausgesellschaft in Baden-Württemberg kritisiert die Reform scharf und befürchtet ein Krankenhausterben. Der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) verteidigte die Pläne dagegen.
Kritik an "politischen Eingriffen" BW-Kliniken: Krankenhäusern droht die Insolvenz
Die Kliniklandschaft in ganz Deutschland steht vor großen Reformen. Allerdings: Vielen Krankenhäusern in Baden-Württemberg droht schon jetzt die Insolvenz, so der Dachverband BWKG.
In Baden-Württemberg gab es im Jahr 2000 noch knapp 300 Krankenhäuser mit über 65.000 Betten. Anfang vergangenen Jahres waren noch gut 200 Kliniken mit knapp 57.600 Betten übrig. Die Betten-Dichte ist damit hierzulande im Bundesvergleich am niedrigsten. Laut Krankenhausgesellschaft kamen in Baden-Württemberg zuletzt 488 Klinikbetten auf 100.000 Menschen, während der bundesweite Schnitt bei 581 lag.