Apotheken und Kliniken schlagen Alarm

Medikamente sind knapp: Woran liegt das eigentlich?

Stand
Autor/in
Tina Fuchs
Sven Marcinkowski
Onlinefassung
Christoph Schöneberger
Fotoshooting SWR Studio Heilbronn Mitarbeiter Dezember 2022

Rund 500 Medikamente sind aktuell in Deutschland nicht lieferbar - und das vor der Erkältungszeit. Um das Problem in den Griff zu bekommen, braucht es grundsätzliche Änderungen.

Apotheken und Krankenhäuser sind kurz vor dem Start in den Winter in Alarmstellung. Gerade Antibiotika und Herz-Kreislauf-Medikamente landen immer öfter auf der Nicht-Lieferbar-Liste des zuständigen Bundesinstituts.

Zwar heißen Lieferengpässe nicht, dass es keine Medikamente mehr gibt, aber die Beschaffung ist zeitaufwendig und vor allem teuer. Das stellt auch das Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) in Stuttgart fest.

Kurzfristige Käufe von Arzneimitteln in der Türkei notwendig

Für Kirstin Heinrich, die Chefapothekerin im Robert-Bosch-Krankenhaus, sind die Lieferengpässe ein leidiges Thema. Im Grunde sei eine Vollzeitkraft nur damit und mit den Ausfällen beschäftigt.

Zurzeit fehlt etwa Moviprep, ein Arzneimittel, das bei einer Darmspiegelung eingenommen wird. Außerdem ist Kochsalzlösung derzeit knapp. Eine vorrätige Palette reicht gerade noch für eine Woche, der Hersteller kann derzeit nicht mehr liefern. Heinrich konnte gerade noch rechtzeitig einen aufwendigen Import aus der Türkei einfädeln. Dass dieses Gut einmal rar werden würde, hätte sie nie gedacht.

Kochsalz wird etwa als Trägerlösung für intravenöse Medikamente oder zum Spülen von Wunden, Kathetern oder Ähnlichem verwendet. Sie ist deshalb immens wichtig im Alltag im Krankenhaus. Immerhin - dem RBK ist es bislang noch immer gelungen, die gesuchten Medikamente irgendwo auf dem Globus aufzutreiben.

Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob Kochsalzlösungen einmal Mangelware werden, hätte ich gesagt: nein!

Chefapothekerin Kirstin Heinrich erfasst eine dringend ankommende Medikamentenlieferung im System.
Chefapothekerin Kirstin Heinrich erfasst eine dringend ankommende Medikamentenlieferung im System.

Lieferengpässe bedeuten Mehrkosten für Kliniken und Apotheken

Aktuell bestehen bei rund 500 verschreibungs- und meldepflichtigen Medikamenten Lieferengpässe. Mark Dominik Alscher, der medizinische Geschäftsführer des Krankenhauses, muss feststellen, dass das Problem immer größer wird. Für ihn hat das auch finanzielle Konsequenzen. Denn Engpässe bedeuten Preissteigerungen. In diesem Jahr muss er deswegen bis zu eine Million Euro Mehrkosten einkalkulieren, sagt er.

Der Import von Medikamenten aus Nicht-EU-Ländern bringt auch deutlich mehr Bürokratie mit sich. Einzelanwendungen müssen dokumentiert werden. Der Aufwand sei gigantisch und nicht finanziert, so Alscher.

Wie kommt es zu den Medikamentenengpässen?

In Deutschland gibt es zwei Arten von Medikamenten. Neu entwickelte Medikamente und Nachahmer-Medikamente, sogenannte Generika. Erstere kommen nach Jahren der Forschung auf den Markt. Bis es so weit ist, haben die Hersteller sehr viel Geld investiert. Bevor diese auf den Markt gebracht werden dürfen, erfolgen etwa klinische Tests, die Arzneimittel durchlaufen mehrstufige und mehrjährige Zulassungsverfahren.

Die Hersteller lassen sich diese neuen Medikamente patentieren und können für ihre Neuentwicklung hohe Preise aufrufen. Wenn aber nach einigen Jahren das Patent ausläuft, können andere Hersteller diese Medikamente nachahmen und ihre Generika viel günstiger auf den Markt bringen.

Damit die Preise für die Generika günstig bleiben, schließen die Krankenkassen mit den Nachahmer-Herstellern Rabattverträge ab. Dadurch werden die Preise teilweise so weit nach unten gedrückt, dass die Hersteller kaum noch Geld damit verdienen. Der Erlös liegt im Schnitt bei gerade einmal 6 Cent pro Tagestherapiedosis (zum Vergleich: für neue Produkte liegt der noch bei durchschnittlich 4,60 Euro), sagen Pharmahersteller.

Die Hersteller verlagern ihre Produktion dann in Niedrig-Kosten-Länder. Wenn Lieferketten dann gestört werden oder die Medikamente die Qualitätsstandards hierzulande nicht erreichen, kommt es in Deutschland zu Engpässen.

Finanzieller Anreiz für hiesige Produktion von Medikamenten fehlt

Das im vorigen Jahr von der Ampelkoalition beschlossene Lieferengpassgesetz gehe zwar in die richtige Richtung, sagt etwa Professorin Ulrike Holzgrabe vom Institut für Pharmazie an der Universität Würzburg. Es bringt bislang aber keine spürbare Entlastung.

Professorin Ulrike Holzgrabe im SWR Interview
Für Professorin Ulrike Holzgrabe ist klar: wollen wir nicht mehr abhängig sein, müssen wir mehr Geld für Medikamente bezahlen.

Auch Holzgrabe bemängelt, dass die Margen, die man bei Arzneimitteln erzielt, durch Rabattbeträge, Festbeträge und Preismoratorien zu klein sind. Es brauche deutlich mehr finanzielle Anreize, Produktionen in die EU zu locken, um nicht mehr von Ländern etwa in Fernost abhängig zu sein. Auch wenn das bedeuten würde, dass viele Medikamente teurer werden müssten.

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