Auf Befehl der Nationalsozialisten

Als in Seckach eine Rüstungsfabrik unter der Erde verschwand

Stand
Autor/in
Friederike Kroitzsch

Im ehemaligen Gipsstollen in Seckach (Neckar-Odenwald-Kreis), tief unter der Erde, versteckten die Nazis 1944 eine ganze Rüstungsfabrik. Ein Historiker hat die Geschichte jetzt erforscht.

Wie spannend Heimatforschung sein kann, zeigt ein aktuelles Projekt aus Seckach im heutigen Neckar-Odenwald-Kreis. Es geht um die ehemaligen Gipsstollen in der kleinen Gemeinde und um die Frage, was hier vor Ende des Zweiten Weltkriegs geschah.

Es ist das Jahr 1944: Die Alliierten rücken von Westen her vor, sie bombardieren inzwischen auch die Stadt Schweinfurt nördlich von Würzburg. Hier stellt die Firma Fichtel und Sachs Kugellager und Motoren her, die für den Krieg dringend gebraucht werden. Aber immer größer wird die Sorge, dass auch das Werk von Bomben getroffen werden könnte.

Das optimale Versteck: Tief im Hinterland

Rund 120 Kilometer entfernt liegt Seckach, ein kleines beschauliches Dorf irgendwo zwischen Heidelberg, Würzburg und Frankfurt, zwischen Wäldern, Wiesen und Äckern. Der einzige größere Betrieb im Dorf ist der Gipsstollen, in dem die "Heidelberger Gipsindustrie GmbH" seit 1905 Dünger und Baugips herstellt. Bis die Nationalsozialisten beschließen, im winzigen Seckach die Schweinfurter Rüstungsfirma zu verstecken, tief unter der Erde.

"Seckach war sicher, hier würden keine Bomben fallen. Und es gab den Bahnhof und die Bahnlinie, das war optimal."

Zwei Jahre lang hat der Historiker Simon Metz geforscht und die Seckacher Geschichte so gut es ging rekonstruiert. Nach dem Beschluss der Nationalsozialisten müssen die Heidelberger Gipshersteller die unterirdischen Stollen in Seckach räumen und Platz machen für die Schweinfurter Maschinen. Der Tarnname des Projektes: "Sachsen".

Vom beschaulichen Dorf zum Industriestandort

Seckacher Grundstücke werden beschlagnahmt, Güterzüge bringen das Material, die Stollen werden Stück für Stück vergrößert und ausgebaut. Seckach verwandelt sich vom beschaulichen Bauland-Dorf in einen Industriestandort, quasi über Nacht. 1.300 Menschen müssen unter schwierigsten Bedingungen die Stollen herrichten, sollen später in der Produktion schuften.

Auch Zwangsarbeiter werden eingesetzt, Männer und Frauen, die von den Deutschen aus ihren Heimatländern verschleppt worden sind, um sich in Deutschland im schlimmsten Fall zu Tode zu schuften.

"Die Zwangsarbeiter kamen aus allen Teilen Europas nach Seckach."

Das kleine Seckach ist plötzlich überfüllt mit Bauarbeitern und ausgemergelten Gestalten aus allen Teilen Deutschlands und Europas. In beschlagnahmten Scheunen und Hallen werden die Menschen eingepfercht, in Gasthäusern und Lagern untergebracht. Selbst im 20 Kilometer entfernten Walldürn entstehen Lager für die Seckacher Arbeiter.

"Einige durften mit dem Zug zur Arbeit fahren, andere mussten die Strecke jeden Tag laufen."

Viele bisher unbekannte Details konnte Simon Metz für sein neues Buch "Als Sachsen in Seckach lag" herausfinden. Das Buch ist Teil einer Serie zur Regionalgeschichte, die vom Kreisarchiv in Mosbach herausgegeben wird.

Monatelange Recherchen zu den Seckacher Gipsstollen

Die monatelangen Recherchen führten Metz in zahlreiche Archive quer durch Deutschland und per Internet sogar in amerikanische Archive. Aber die Arbeit sei mühsam gewesen, sagt der junge Historiker. Besonders zu den Zwangsarbeitern findet sich demnach kaum etwas. Und: Die wichtigsten Akten sind seit Kriegsende verschwunden bzw. verschollen.

Am Ende kamen die Alliierten auch nach Seckach, die Gipsstollen wurden geräumt und schließlich aus Sicherheitsgründen geflutet. Aus den ehemaligen Arbeiterbaracken in der Teufelsklinge bei Seckach wurde später das Kinder- und Jugenddorf. Eine der Spuren, die bis heute von der unterirdischen Rüstungsfabrik erzählen.

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