Ein Ort für "Zukunftstechnologien"?

Ehemaliges Atomkraftwerk Biblis: Was aus dem Gelände rund um das AKW werden soll

Stand
Autor/in
Wolfgang Kessel
Wolfgang Kessel, Redakteur beim SWR in Mannheim

Wie lässt sich das Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks in Biblis (Kreis Bergstraße) künftig am sinnvollsten nutzen? Denkbar: die Ansiedlung von Zukunftstechnologie.

Etwa ab Mitte der 2030er Jahre könnten sich am Standort des ehemaligen Atomkraftwerks (AKW) Biblis Unternehmen aus dem Bereich Zukunftstechnologien niedergelassen haben - zum Beispiel eine Fabrik für Batterien, ein Halbleiter-Produzent oder eine Firma im Bereich der erneuerbaren Energien. Das sagte Christian Engelhardt (CDU), Landrat des Kreises Bergstraße, am Montag im Bibliser Rathaus.

Dort unterzeichneten Engelhardt, der Bürgermeister von Biblis Volker Scheib (parteilos), ein Vertreter der kreiseigenen Wirtschaftsförderung sowie Ralf Stüwe, Leiter der Rückbauanlage Biblis von RWE nuclear GmbH, eine Kooperationsvereinbarung. Sie sieht eine enge Zusammenarbeit aller Akteure vor, was die ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung der Flächen des ehemaligen AKW angeht.

Bedingungen für neue Industrie-Ansiedlungen "perfekt"

Die Bedingungen am früheren AKW seien für industrielle Neuansiedlungen perfekt, sagte Engelhardt. Es gebe einen Zugang zum Rhein, eine nutzbare Bahnstrecke und eine Anbindung an die nahe gelegene Autobahn. Windkraft- oder Solaranlagen werde es perspektivisch an dem Standort wohl eher nicht geben, so Ralf Stüwe von der RWE nuclear GmbH. Dagegen sprächen unter anderem Naturschutz-Auflagen, die die Errichtung von Windrädern dort untersagen.

Landrat Christian Engelhardt unterschreibt Kooperationsvereinbarung
Der Landrat des Kreises Bergstraße, Christian Engelhardt (2. v.r.), beim Unterzeichnen der Kooperationsvereinbarung in Biblis

Bürgermeister von Biblis: "Riesenschritt für Gemeinde"

Für die Gemeinde sei die Kooperationsvereinbarung "ein Riesenschritt für die Zukunft", sagte der Bibliser Bürgermeister Volker Scheib. Nach dem Ende des Atomkraftwerks gehe es vor allem auch darum, neue Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen. Scheib sieht da "große Möglichkeiten für Biblis".

Rückbau des AKW Biblis "weit fortgeschritten"

Eigentümer der Flächen ist der Energiekonzern RWE, konkret die "RWE nuclear GmbH". RWE steht für "Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk" und hat seinen Hauptsitz in Essen in Nordrhein-Westfalen. Der Konzern kümmert sich seit einigen Jahren um den Rückbau des fast 50 Jahre alten Atommeilers in Biblis, der 2011 abgeschaltet wurde. Der Rückbau sei bereits "weit fortgeschritten", teilte Ralf Stüwe von RWE mit. Zwei Kühltürme seien bereits abgerissen worden. Anfang 2025 sind laut Stüwe die nächsten beiden Kühltürme an der Reihe. Doch bis das Atomkraftwerk komplett weg sei, werde es noch einige Zeit dauern.

Zwischenlager mit radioaktiven Teilen

Für die radioaktiv strahlenden Teile gibt es am AKW-Standort Biblis ein Zwischenlager. Einen Großteil der radioaktiven Teile habe RWE bereits der Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) übergeben, die BGZ betreibe das Zwischenlager. Wie lange dieses Zwischenlager in Biblis bleibe, könne er nicht sagen, sagte Stüwe dem SWR: "Das hängt davon ab, ob es ein Endlager (für Atommüll) gibt, dieses Endlager ist aber noch in weiter Ferne."

Kernkraftwerk Biblis von außen.
Kernkraftwerk Biblis (Archivbild)

RWE: Forschungsprojekt "Focused Energy" in Biblis

RWE als Eigentümer der Flächen des Ex-AKW möchte dort künftig auch selbst investieren, so Stüwe - im Rahmen der RWE-Kampagne "growing green". Es gehe für RWE in Biblis um die Suche nach Möglichkeiten, dort "möglichst CO2-freien Strom zu erzeugen".

Ein RWE-Forschungsprojekt gibt es am ehemaligen AKW Biblis bereits. Es nennt sich "Focused Energy". Die Mitarbeiter entwickeln Berichten zufolge die weltweit erste lasergetriebene Neutronenquelle für den Industrie-Einsatz. RWE stellt auf dem Gelände des ehemaligen Bibliser Kernkraftwerks ein Gebäude zur Verfügung, das von "Focused Energy" in ein Forschungslabor und die erste Pilotanlage zum Einsatz dieser Technologie umgebaut wird.

Was sagen die Umweltschützer?

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat kürzlich eine juristische Niederlage im Zusammenhang mit dem AKW Biblis einstecken müssen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat nämlich die Abrissgenehmigung für RWE für Teile des AKW Biblis gebilligt. Der Reaktordruckbehälter und andere hochbelastete Teile des Kraftwerks sind laut Gericht ausdrücklich nicht von der Genehmigung betroffen. Der BUND hatte geklagt, weil er fürchtete, dass radioaktiv belastetes Material ohne ausreichende Prüfung beispielsweise auf Mülldeponien landet. Die Kasseler Richter gaben aber zu erkennen, dass sie keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens haben, das der Strahlenschutzverordnung unterliegt. "Strahlenschutz und sorgfältige Prüfung gehen vor", sagte am Montag der BUND-Atomexperte Werner Neumann dem SWR. Der BUND plane nun, gegen die Entscheidung in Revision zu gehen. Nächste Instanz wäre dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Das Atomkraftwerk Biblis war fast 50 Jahre in Betrieb

Am 25. August 1974 lieferte das Atomkraftwerk in Biblis zum ersten Mal Strom. Im Dezember 1987 kam es in Biblis zu einem schweren Störfall. Dabei traten 150 Liter radioaktives Wasser innerhalb der Anlage aus. Bekannt wird der Vorfall erst ein Jahr später, nach den Recherchen eines US-amerikanischen Fachmagazins über Nukleartechnik ("Nucleonics Week"). Es kommt zu dem Schluss, dass durch den Störfall in letzter Konsequenz auch eine Kernschmelze hätte ausgelöst werden können können. 

Im Lauf der Jahre gab es in Biblis laut Bundesamt für Strahlenschutz über 800 Störfälle. Nach der Atomreaktor-Katastrophe von Fukushima (Japan) war im Jahr 2011 Schluss, das AKW wurde nach einer Entscheidung des Deutschen Bundestags abgeschaltet.

Biblis AKW Einsturz des Turmes
Im Jahr 2023 wurden zwei der vier Kühltürme des AKW Biblis kontrolliert zum Einsturz gebracht

Seit 2017 wird es durch RWE "zurückgebaut". Im vergangenen Jahr wurden zwei der vier Kühltürme kontrolliert zum Einsturz gebracht. Nach Informationen des Hessischen Rundfunks (hr) werden wohl insgesamt eine Million Tonnen Schutt anfallen. Bei einem Teil davon müssen Experten vor der Entsorgung die radioaktive Verunreinigung beseitigen. Wann der Rückbau abgeschlossen ist? Vielleicht Anfang oder Mitte der 2030er Jahre, hieß es zuletzt vom Energiekonzerns RWE.

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