Luftbild des Geländes des ehemaligen AKWs Kalkar mit Freizeitpark rund um den Kühlturm

Was bleibt von alten Meilern?

Kultur statt Atomkraft: Die neue Rolle stillgelegter Kernkraftwerke

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Autor/in
Christian Batzlen
Christian Batzlen, Moderator SWR Kultur

Seit 2023 sind die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz. Ihnen droht jetzt ein milliardenteurer Abriss, dem Atomzeitalter das Vergessen. Wieso eigentlich nicht alte AKWs als Denkmal oder Kulturort umnutzen?

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Spurenloser Rückbau von Atomkraftwerken geplant

Wenn es nach dem Atomgesetz geht, bleibt nicht mehr viel übrig von all den Turbinen, Kontrollräumen, Reaktoren und Kühltürmen. Der möglichst spurlose Rückbau der abgeschalteten Kraftwerkruinen in Deutschland ist gewollt.

Für jede einzelne fallen Kosten von etwa eine Milliarde Euro an. Viel Geld, das die Betreiber anderweitig einsetzen könnten, etwa in einer Nachnutzung als Veranstaltungsort oder Gedenkstätte.

Die Auseinandersetzung um Atomenergie hat die Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt. Insofern sind diese Bauten auch Symbole dafür.

In Ländern mit weniger angespanntem Verhältnis zur Atomkraft als bei uns dürfen Reaktorruinen bereits an das Ende des nuklearen Zeitalters erinnern. Die USA haben zentrale Anlagen des Oppenheimer Manhattan-Projektes zu einem National Historic Park umgebaut, in Frankreich ist der erste kommerzielle Reaktor in der Kleinstadt Chinon seit 1986 ein Atom-Museum und auch die Engländer erhalten zwar bislang keine Bauten dauerhaft, dokumentieren diese jedoch ausführlich.

Historische Reaktoranlage des Manhattan Project in Richland, Washington
Heute eine nationale Gedenkstätte: Der Nuklearkomplex Hanford Site im US-Bundesstaat Washington lieferte seit 1943 Plutonium – auch für die Atombombe auf Nagasaki.

Denkmal-historische Erfolgsgeschichte bereits im Braunkohleabbau

Dabei hat Deutschland bereits umfangreiche Erfahrung in der Umnutzung postindustrieller Orte. Nach dem Ende der Braunkohle wurde etwa der Tagebau Inden in Nordrhein-Westfalen in einen Naturpark mit Wanderwegen und naturnahen Lebensräumen umgebaut, aus dem Tagebau in Ferropolis entstand ein Veranstaltungsort und auch das ehemalige Eisenwerk Völklinger Hütte erinnert als Weltkulturerbe eindrücklich an eine vergangene Ära.

Luftbild der Völklinger Hütte als schwerindustrieller Ort
Das ehemalige Eisenwerk Völklinger Hütte ist mittlerweile ein Industriedenkmal, Weltkulturerbe und Veranstaltungsort. In diesem Jahr präsentieren Kunstschaffenden aus 21 Ländern auf der Urban Art Biennale ihre Werke.

AKW-Nachnutzungskonzepte bereits entworfen

Außerhalb der Politik bestehen bereits Zukunftsstrategien für das unbequeme Erbe des Atomzeitalters. Allen voran ist hier das Team von Prof. Stefan Rettich vom Institut für Städtebau der Universität Kassel.

In ihrer Publikation „Nach der Kernkraft – Konversionen des Atomzeitalters“ wird klar: Ein Atomkraftwerk übersetzt sich in rund 150.000 Tonnen Betonmasse. Davon repräsentiert der kontaminierte Teil nur 2,8 Prozent. Die restlichen 97,2 Prozent Beton und Anlageteile wären wiederverwertbar. Es gibt also Alternativen zum kompletten Rückbau.

Partykulisse mit Festivalbesucher auf dem 20. Melt! Festival 2017 auf der Halbinsel Ferropolis
Vor gigantischer Kulisse feiern jährlich Zehntausende bei Musikfestivals auf der Halbinsel Ferropolis in Sachsen-Anhalt. Der Veranstaltungsort östlich von Dessau ist ein ehemaliger Tagebau und mittlerweile ein Freilichtmuseum.

Fünf aktuell zurückzubauende Standorte haben die Studierenden hier unter die Lupe genommen. Neben den norddeutschen AKWs Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel sind auch zwei dabei, die für den Südwesten eine Rolle spielen.

Unmittelbar bei Worms steht das hessische AKW Biblis, das sich demnach als Naturraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten anbieten würde. Im 34 Kilometer von Ulm entfernten bayerischen AKW Gundremmingen böte die 160 Meter hohen Kühltürme einen riesigen Werkraum für Kunst und Großinstallationen.

Das abgeschaltete AKW Biblis in Südhessen  mit seinen 4 Türmen als Luftaufnahme aus einem Flugzeug
Mit 80 Meter Höhe waren die vier Kühltürme von Weitem zu sehen. Mittlerweile wurden bereits zwei gesprengt. Die 15.000 Tonnen Bauschutt werden wieder aufbereitet und können dann in der Beton-Produktion oder der Zementindustrie zum Einsatz kommen.

Ministerium: Keine Umnutzung für Kraftwerke in BW geplant

Auf Anfrage des SWR schreibt das baden-württembergische Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (UM), dass „die Standorte der Atomkraftwerke über eine sehr gute Stromnetzinfrastruktur verfügen und sich aus diesem Grund entsprechende Nachnutzungen anbieten.”

Doch offenbar nicht für den Erhalt als Kultur- oder Gedenkstätte, denn aktuell muss im Rahmen des Atomgesetzes abgerissen werden. Und das dauert teils Jahrzehnte. Kein Wunder also, dass bisher keine Nutzungspläne bekannt sind.

Der Kühlturm des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich stürzt kontrolliert zusammen, nachdem Bagger nacheinander die Stützen entfernt hatten.
Über 30 Jahre, nachdem der Meiler nach nur 13 Monaten Laufzeit vom Netz ging, ist das einst das Neuwieder Becken nördlich von Koblenz dominierende, über 160 und zuletzt noch rund 80 Meter hohe Betonkonstrukt Geschichte

AKW-Gelände Mülheim-Kärlich wird zum Businesscenter samt Hotel

Auch in Rheinland-Pfalz verweist die Behörde auf Anfrage des SWR auf den Eigentümer des AKW Mülheim-Kärlich, das 1986 für lediglich 30 Monate ans Netz gegangen ist.

Bestrebungen, an das Atomzeitalter erinnern zu wollen, sind weder von Politik noch von der RWE Power AG zu erkennen. Auf dem bereits plattgemachten Teil des Geländes entsteht nun eine Mischung aus Businesscenter und Oldtimerausstellung.

Bis vor kurzem hatte ich den Eindruck, dass der Konflikt um den Atomausstieg noch zu frisch und dort kein Interesse zum Austausch besteht!

Kein Erhalt von stillgelegten Atomkraftwerken als Denkmäler

Die anvisierte grüne Wiese könnte als bisherigen Versuch gedeutet werden, mit dem umstrittenen Thema Atomkraft künftig nicht mehr in Verbindung gebracht zu werden. Kein Platz für eine Erinnerungskultur an die zum Teil heftig geführten Auseinandersetzungen zwischen Zivilgesellschaft und Staat, die „Atomkraft-Nein-Danke”-Buttons, die Großdemonstrationen mit 100.000 Teilnehmern und massenhaftem zivilen Ungehorsam. 

Der Ausstieg aus dem nuklearen Zeitalter ist ein emotional aufgeladenes Thema. Zu groß ist die Angst der Atomkraftgegner, der Erhalt würde eine Wiederinbetriebnahme erleichtern.

Niemand stoppt daher die Abrissbirnen, um, wie dem Kohlezeitalter, auch der Atomära einen nachhaltigen Abschied zu bescheren. Umbau statt Abriss würde so viel mehr den Zeitgeist treffen und zudem Unsummen einsparen.

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SWR Aktuell Baden-Württemberg SWR BW

Plusminus. Mehr als nur Wirtschaft. Wann wird grüner Strom in Deutschland endlich billig?

Strom aus Wind und Sonne sollte umweltfreundlich und billig sein. So das Versprechen der Energiewende. Doch die Strompreise in Deutschland steigen weiter. Das liegt vor allem am teuren Netzausbau. Die Plusminus-Podcasts-Hosts Anna Planken und David Ahlf fragen: Wann kommen die günstigen Preise bei uns an?
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Links und Quellen:

Kostenvergleich zwischen erneuerbarer und konventioneller Energie (Studie des Fraunhofer-Instituts ISE)

https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/DE2021_ISE_Studie_Stromgestehungskosten_Erneuerbare_Energien.pdf

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Netzentgelte in Deutschland:
Verivox: "Verbraucher-Atlas Stromentgelte"
https://www.verivox.de/strom/verbraucheratlas/stromnetzentgelte/

Bundesnetzagentur: "Marktbeobachtung – Monitoringbericht 2023" (https://data.bundesnetzagentur.de/Bundesnetzagentur/SharedDocs/Mediathek/Monitoringberichte/MonitoringberichtEnergie2023.pdf) (S. 126)

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Weitere Links und Quellen:
Eckpunkte der Bundesnetzagentur zur Verteilung von Netzkosten https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Aktuelles_enwg/VerteilungNetzkosten/start.html

Bundesnetzagentur: Netzengpassmanagement im Jahr 2023 (https://www.smard.de/page/home/topic-article/444/213590)
Youtube-Video von Wirtschaftsminister Habeck zum beschleunigten Stromnetzausbau https://www.youtube.com/watch?v=iYbo_5PyY1Q

Bundesregierung: "Ausbau der Stromnetze gewinnt an Fahrt" (Fragen und Antworten)
https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/netzausbau-suedlink-2222762

Bundesregierung zum EEG 2023: "Ausbau erneuerbarer Energien massiv beschleunigen"
https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/novelle-eeg-gesetz-2023-2023972
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Plusminus-Beitrag im TV:
https://www.ardmediathek.de/video/plusminus/stromnetze-hohe-kosten-und-absurde-buerokratie/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3BsdXNtaW51cy9iODRlNWMxYy1hMzVkLTQ2ZTEtYWIzMS1lZTdkMTAxYzk2OTQ

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Instagram:
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https://www.instagram.com/anna.planken/
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Das Team:
Hosts: Anna Planken & David Ahlf
Autorin: Tamara Land mit Recherchen von Thomas Falkner, Niels Walker, Jörg Hommer
Redaktion: Christopher Jähnert
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Der Podcast "Plusminus. Mehr als nur Wirtschaft" ist eine Gemeinschaftsproduktion von BR, HR, SWR und WDR.
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Podcast-Tipp: "15 Minuten. Der Tagesschau-Podcast am Morgen"
Zwei Hosts schauen mit Euch darin auf das, was wirklich wichtig ist am Tag und sagen euch zum Beispiel, wenn es wieder einen Streik gibt, oder wenn neue Regelungen zum Kindergeld in Kraft treten. Gibt es größere Konflikte in der Welt, fragt 15 Minuten: Was bedeutet das für unsere Sicherheit in Deutschland? Und bei neuen Gesetzen dröselt der Podcast auf, was das für unseren Alltag heißt. 15 Minuten. Infos für den Tag. Hört doch mal rein – zum Beispiel in der ARD Audiothek:
https://1.ard.de/15Minuten