Wie konnte es sein, dass in Chatgruppen der baden-württembergischen Polizei jahrelang Nazi-Symbole kursierten, ohne dass das ans Tageslicht kam? Diese Frage treibt nicht nur Abgeordnete der Opposition im baden-württembergischen Landtag um. Dort beschäftigte sich am Donnerstag der Innenausschuss mit dem Thema.
Forderung: Diensteid soll Abgrenzung vom Nationalsozialismus beinhalten
Der Grünen-Innenexperte Oliver Hildenbrand zeigte sich erschüttert. Es sei ein großes Problem, dass solche Gruppen häufig nur durch Zufallsfunde aufgedeckt würden. "Solche Vorfälle beschädigen nicht nur das Ansehen der Polizei", sagte Hildenbrand dem SWR, "sondern sie erschüttern auch das Vertrauen in unseren Staat und seine Institutionen." Er forderte eine offene und positive Fehlerkultur bei der Polizei und disziplinarrechtliche Milde für Beamtinnen und Beamte, die solche Vorfälle meldeten. Zudem fordert der Grünen-Abgeordnete, in den Diensteid, den Polizistinnen und Polizisten schwören müssen, eine Abgrenzung zum Nationalsozialismus aufzunehmen.
SPD sieht Führungsversagen im BW-Innenministerium
Insgesamt 70 Polizeibeamtinnen und -beamte quer übers Land verteilt hatten an diesen rechtsextremistischen Chatgruppen teilgenommen. Dass sich keiner dieser 70 Menschen meldete und gegen die Inhalte aufbegehrte, hat nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Sascha Binder auch mit Führungsversagen und einem Autoritätsproblem von Innenminister Thomas Strobl (CDU) zu tun. Dessen Integrität sei beschädigt. Strobl spreche immer von einer Null-Toleranz-Politik, aber davon scheine bei der Polizei niemand zu wissen, kritisierte Binder.
Auch für die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Julia Goll, offenbart sich mit dem Skandal ein grundsätzliches Problem bei der Polizei. Es stimme bedenklich, dass sich in vier Jahren niemand gemeldet habe, um den Mund aufzumachen. Für Thomas Blenke von der CDU sind die Vorgänge inakzeptabel.
BW-Polizeipräsidentin angesichts der Chats "fassungslos"
Innenminister Thomas Strobl hat sich nach der Sondersitzung nicht zu dem Thema geäußert. Auch Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz nahm an der Sitzung des Innenausschusses teil und räumte ein, dass man angesichts dieser Dimension nicht von Einzelfällen sprechen kann. Dem SWR sagte sie: "Wo 35.000 Menschen arbeiten, da passieren auch Fehler." Es ginge darum, mit diesen 70 Fällen offen umzugehen. "70 Fälle sind 70 zu viel", so Hinz. Sie verwies auf vielfältige Maßnahmen zum Thema Feedback und Fehlerkultur. Was den Umgang mit den sozialen Medien angehe, würden die Beamtinnen und Beamte bei der Ausbildung besonders sensibilisiert. Insofern mache es "ein Stück weit fassungslos", dass sich trotzdem eine solche Zahl an Polizistinnen und Polzisten an sochen Chats beteiligt habe. Sie versprach umfassende Aufklärung. Gleichzeitig gab Hinz keine konkrete Antwort auf die Frage, ob es sich dabei aus ihrer Sicht um weitere Einzelfälle oder ein strukturelles Problem bei der Polizei handele.
600 Gigabyte von 6.000 Chatgruppen beschlagnahmt
Eine 22-köpfige Ermittlungsgruppe beim Landeskriminalamt hat inzwischen 600 Gigabyte Daten von fast 6.000 Chatgruppen auf den beschlagnahmten Handys ausgewertet. Bei 13 dieser Gruppen stellten sie strafrechtlich relevante Inhalte fest. Ermittelt wird unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Gegen fünf weitere Polizeibeamte wird ebenfalls strafrechtlich ermittelt. Gegen die anderen Beamtinnen und Beamte, die bislang in den Chatgruppen identifiziert wurden, sind disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet worden. Die 70 Beschuldigten gehören zu zehn Polizeipräsidien und Polizeieinrichtungen im Land.
Ein ähnlicher Fall mit einer Ausbildungsklasse sorgte 2020 in Baden-Württemberg für Aufsehen. An der Polizeihochschule in Lahr im Ortenaukreis sollen junge Leute rechtsextremes Gedankengut in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe ausgetauscht haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die sieben Polizeianwärter wurden eingestellt, da ihnen kein strafbares Verhalten nachgewiesen werden konnte.