Das Landeskabinett hat am Dienstag beschlossen, Grundschulen mit Kindern aus sozial benachteiligten Familien mit zwei Modellprojekten stärker zu fördern. Hintergrund ist die aktuelle Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Danach erreichen 20 Prozent der Viertklässler nicht die Mindestanforderungen in Deutsch und Mathematik.
Mehr Mittel und multiprofessionelle Teams
Ein Modellprojekt der Landesregierung sieht vor, dass 30 Grundschulen mit Kindern aus sozial benachteiligten Familien in den Schulämtern Biberach, Lörrach und Tübingen mithilfe eines Sozialindex mehr Mittel bekommen. Für das Projekt sind laut Landesregierung 1,1 Millionen Euro vorgesehen.
Weitere 5,3 Millionen Euro investiert das Land in die Erprobung von multiprofessionellen Teams an 16 Grundschulen, wo Fachleute aus Logopädie, Sozialarbeit oder Ergotherapie ins Lernen mit einbezogen werden. Vor allem die zentralen Kompetenzen in Deutsch und Mathematik sollen dabei gestärkt werden.
Außerdem sollen Assistenzkräfte leichter gewonnen werden können. Die Landesregierung will niederschwellige und kurzfristige Personallösungen ausbauen. Dabei steht auch die Idee eines Freiwilligen Pädagogischen Jahres in Anlehnung an das Freiwillige Soziale Jahr im Raum.
Opposition bemängelt Tempo der Bildungsprojekte
Kritik am Vorhaben der Landesregierung kam von der Opposition. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch nannte die Reaktion auf die Bildungsstudien am Dienstagnachmittag 'unbefriedigend': "Wenn der Ministerpräsident heute sagt, die Modellprojekte sollen erprobt werden und dann vielleicht im Jahr 2027 erste Ergebnisse liefern, dann geht noch eine ganze Grundschulgeneration durch die Schule, ohne ein einziges Unterstützungsangebot zu erhalten."
FDP-Bildungsexperte Timm Kern sprach von "Augenwischerei". Er forderte eine Wende in der Bildungspolitik. Die AfD kritisierte die vorgeschlagenen Maßnahmen als "Symptombekämpfung".
GEW wünscht sich mehr Mut von der Landesregierung
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte, dass das Land Schulen in sozialen Brennpunkten jetzt unterstützen möchte. Die Landesvorsitzende Monika Stein forderte in einer Mitteilung, angesichts der alarmierenden Befunde wie zuletzt in der IQB-Studie müsse aber mehr getan werden, um Kinder und Jugendliche zu fördern. Die GEW erwarte einen Stufenplan, um die 1.900 im grün-schwarzen Koalitionsvertrag vereinbarten zusätzlichen Stellen zu erreichen. Benötigt werde weiterhin eine Enquetekommission Fachkräftemangel, ähnlich dem Strategiedialog für die Automobilindustrie.
Gewerkschaft bemängelt Konzeptlosigkeit
Kritisch sieht die GEW auch die Idee der Landesregierung, multiprofessionelle Teams an den Grundschulen einzusetzen. Es fehle ein Konzept, wie verschiedene Berufe strukturiert an den Grundschulen zusammenarbeiten könnten. Es lägen auch keine Informationen vor, wie die Arbeitsverträge dieser Personen fair und zu attraktiven Bedingungen gestartet werden sollten. Monika Stein erklärte, es sehe danach aus, dass der Mangel an Lehrkräften durch nicht oder nicht voll qualifizierte Kräfte mit befristeten Arbeitsverträgen versteckt werden solle.
VBE verlangt Transparenz bei Verteilung von Geldern
Für den Verband Bildung und Erziehung (VBE) haben die Ideen der Landesregierung "durchaus Charme", er fordert aber "glasklare" und transparente Kriterien für die Verteilung zusätzlicher Ressourcen. "Nahezu alle Schulen im Land tragen im Moment ein immenses Zusatzpäckchen in Form der Bewältigung der Corona-Folgen und auch bei der Integration der Flüchtlings- und Migrantenkinder", sagte der stellvertretende VBE-Landesvorsitzende Dirk Lederle. Wie der Grundschulverband forderte er zusätzliches Personal. In Anbetracht des akuten Personalmangels sei das allerdings eher eine philosophische Diskussion aus dem Bereich 'Wünsch dir was', gab Lederle zu Bedenken.
Kretschmann betont "evidenzbasiertes" Vorgehen
Die Projekte sollen von Beginn an "evidenzbasiert" sein, also wissenschaftlich begleitet werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erläuterte: "Man muss ja erst mal schauen, ob das, was man macht, auch wirkt." Zu lange seien "Schulversuche" unternommen worden, die sich später als Irrtümer oder nicht wirksam herausgestellt hätten. Kretschmann wünschte sich, "dass man die lange Phase des Herumexperimentierens mal bitte beendet".
"Bildungserfolg hängt stark von Herkunft und Status ab"
Bei der Vorstellung des Vorhabens am Dienstagmittag räumten Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (ebenfals Grüne) ein, der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Baden-Württemberg sei immer noch zu groß. Die IQB-Studie habe wieder einmal vor Augen geführt, dass der Bildungserfolg sehr stark von der Herkunft und dem sozialen Status der Kinder abhänge. Kretschmann erklärte, was jetzt gebraucht werde, seien neue Instrumente, um die "basalen", also grundlegenden Fähigkeiten der Kinder zu stärken.