Die Kommunen in Baden-Württemberg fordern Änderungen am Konzept der Landesregierung, das den Mangel an Betreuungskräften entschärfen soll.
Der Gesetzentwurf wurde am Dienstag im grün-schwarzen Kabinett beschlossen. Das hat ein Regierungssprecher dem SWR bestätigt. Er sieht zum Beispiel vor, dass die Einrichtungen auf Antrag künftig von den gesetzlichen Personalvorgaben abweichen können.
Mit Minijobs und Freiwilligen Öffnungsklausel für Kitas soll Personalmangel in BW lindern
Es fehlen an allen Ecken und Kanten Erzieherinnen und Erzieher. Mancherorts wurden schon die Öffnungszeiten der Kitas gekürzt. Nun will das Ministerium weiter gegensteuern.
Der Städtetag ist in diesem Zusammenhang dagegen, dass die Erprobung neuer konzeptioneller Ansätze in den Kitas zeitlich befristet sein soll. "Wer von Beginn an nur für einen Drei-Jahres-Zeitraum planen darf, denkt vielleicht nicht weit genug. Es braucht kreative Lösungen, die für die nächsten zehn Jahre tragen", sagte Benjamin Lachat, Sozialdezernent beim Städtetag, dem SWR.
Städtetag: Gemeinderäte müssen eingebunden werden
Das Kultusministerium kommt mit seinem Konzept für einen sogenannten Zukunftsparagrafen grundsätzlich einer Forderung der Kommunalverbände nach. Konkret geht es zum Beispiel um die Vorgabe, wie viele ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher pro Gruppe eingesetzt werden müssen.
Kultusministerium: Kommunen können individuelle Lösungen beantragen
Die Fachkräfte könnten demnach bald noch stärker als bisher von Freiwilligendienstleistenden oder Mini-Jobberinnen und -Jobbern verstärkt werden. Der Städtetag pocht aber darauf, dass die Kita-Träger sich bei solchen Anträgen mit den Gemeinderäten ins Einvernehmen setzen müssen. Denn Städte und Gemeinden seien am Ende verantwortlich dafür, dass es vor Ort ausreichend Kita-Plätze in bestmöglicher Qualität gebe, betonte Lachat.
Das Konzept des Kultusministeriums sieht vor, dass die Einrichtungen künftig individuelle, für sie passende Regelungen für die Betreuung der Kinder beantragen können. Der Antrag muss dann vom Landesjugendamt geprüft werden.
Kommunen fordern mehr Geld für Entwicklung von Kita-Konzepten
Auch hier dringen die Kommunen auf eine Korrektur. Es dürfe höchstens noch eine formale Prüfung geben, aber keine inhaltliche. Im Beteiligungsprozess für das neue Konzept würden vor Ort Eltern, Kita-Personal, Einrichtungsträger, Unternehmen, Behörden und Verwaltung sowie Gemeinderat mitarbeiten. "Neue Lösungen werden von den Experten in eigener Sache und in eigener Verantwortung gefunden", so Lachat.
Die Kommunen dringen zudem auf mehr Geld vom Land für die Entwicklung der Kitas im Land. Die Umsetzung neuer Konzepte gebe es nicht zum "Nulltarif". Aus ihrer Sicht wäre die Einführung der Öffnungsklausel "der richtige Zeitpunkt, um die Kita-Finanzierung im Land grundsätzlich auf neue Beine zu stellen".
Kritik von Erzieherinnen und Gewerkschaft
Die Gewerkschaft ver.di kritisierte das neue Kita-Gesetz. Damit stünde die Tür zu dauerhaft gesenkten Standards sperrangelweit offen. "Jahrzehnte lang haben wir gemeinsam dafür gekämpft, dass aus Kindergärten Bildungseinrichtungen werden. Diese gesellschaftlich enorm wichtige Errungenschaft wird jetzt in kürzester Zeit aufs Spiel gesetzt", so Hanna Binder, stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiterin.
Sabine Leber-Hoischen, Erzieherin in Mannheim und ehrenamtliche Vorsitzende der ver.di-Landesfachgruppe Erziehung, Bildung und soziale Arbeit kritisierte die Forderung der Kommunen. Der Druck vor Ort aufgrund fehlender Kitaplätze sei so enorm, dass ohne das Korrektiv Landesjugendamt - welches die Absenkung des Betreuungsschlüssels genehmigen muss - eine komplette Aufweichung der Qualitätsstandards drohe. "Gesetze sind dazu da, Mindeststandards im ganzen Land in jeder Kita zu garantieren. Wenn sich diese Stimmen aus den Kommunen durchsetzen, werden wir einen Flickenteppich an Regelungen erhalten. Die knappen und gesuchten Fachkräfte werden sich dann noch genauer überlegen, wo und ob sie ihren eigentlich schönen und sinnstiftenden Beruf künftig ausüben werden", so die Erzieherin.
Studie: In BW fehlen 57.600 Kitaplätze
Trotz massiven Ausbaus in den vergangenen Jahren kann Baden-Württemberg den Bedarf an Kitaplätzen bei Weitem nicht decken und unterläuft damit in vielen Teilen des Landes den Rechtsanspruch der Eltern auf eine Betreuung.
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hatte ergeben, dass in diesem Jahr 57.600 Kitaplätze fehlen. Um diese Plätze zu schaffen, müssten die Kommunen als Kita-Träger zusätzlich 16.800 Fachkräfte einstellen. An vielen Orten im Land schränken Kitas ihre Öffnungszeiten ein. Das Land bemüht sich mit einer Kampagne und will Quereinsteiger für den Job der Erzieherin oder Erziehers gewinnen.
Noch kein Beschluss über Kita-Öffnungszeiten Palmer bietet Gespräche an: Eltern in Tübingen protestieren vor Rathaus
Die Stadt Tübingen will die Öffnungszeiten in vielen Kitas kürzen. Dagegen haben am Donnerstag rund 500 Eltern protestiert. Einen Beschluss im Gemeinderat gab es noch nicht.
Umsetzung wohl erst im übernächsten Kindergartenjahr
Das Kultusministerium rechnet damit, dass das Gesetz im Spätherbst im Landtag verabschiedet werden kann. Das heißt, dass die Öffnungsklausel wahrscheinlich erst ab dem übernächsten Kindergartenjahr 2024/2025 greifen kann.