In Baden-Württemberg haben die Fälle von Keuchhusten bei Kindern bis 14 Jahren in diesem Jahr deutlich zugenommen. Das teilte das Landesgesundheitsministerium dem SWR mit. Bereits seit Ende der Corona-Pandemie beobachtet das Gesundheitsministerium eine hohe Anzahl von Keuchhusten-Fällen und -Ausbrüchen. Doch während beispielsweise 2023 landesweit insgesamt 29 Keuchhusten-Erkrankungen bei den bis zu 14-Jährigen registriert wurden, sind es in diesem Jahr bereits 484 Fälle. Das sind knapp fünfmal so viele wie im Vor-Pandemiejahr 2019. Damals wurden 98 Fälle gemeldet.
- Keuchhusten: Höheres Risiko bei Kleinkindern
- Fälle von Windpocken gehen in BW zurück
- Masern: Zunahme bundesweit, aber nicht in BW
- Ringelröteln und Röteln sind nicht dasselbe
- Mehr RSV-Infektionen beobachtet
Keuchhusten: Hoch ansteckend und teils sehr hartnäckig
Keuchhusten (Pertussis) ist eine der weltweit häufigsten Infektionskrankheiten und extrem ansteckend. Auslöser sind Bakterien. Meist beginnt die Erkrankung mit leichten Erkältungssymptomen. Nach ein bis zwei Wochen beginnt dann die Phase, der die Krankheit ihren Namen verdankt - mit heftigen, krampfartigen Hustenanfällen, die teils Monate anhalten können. Insbesondere Kinder und Jugendliche stecken sich häufig an. Früher war Keuchhusten lebensbedrohlich, heute ist die Krankheit nur in seltenen Fällen tödlich.
Meldejahr | Keuchhusten | Masern | Windpocken | Röteln |
2018 | 136 | 28 | 1.475 | 0 |
2019 | 98 | 21 | 1.429 | 0 |
2020 | 97 | 7 | 1.112 | 0 |
2021 | 3 | 265 | 0 | |
2022 | 2 | 1 | 394 | 0 |
2023 | 29 | 1 | 1.080 | 0 |
2024 | 484 | 3 | 1.055 | 0 |
Höheres Risiko bei Kleinkindern
Kleine Kinder und ältere Menschen haben jedoch ein erhöhtes Risiko für Komplikationen, wenn sie an Keuchhusten erkranken. Das können beispielsweise Mittelohrentzündungen, Lungenentzündungen oder in seltenen Fällen eine Schädigung des Gehirns aufgrund von Sauerstoffmangel sein.
Grund dafür ist bei den Säuglingen, dass das Immunsystem noch nicht voll entwickelt ist. Außerdem braucht es drei Impfungen, um einen 90-prozentigen Schutz zu entwickeln, wie das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem Keuchhusten-Ratgeber schreibt. Die erste Impfung können Säuglinge mit zwei bis drei Monaten erhalten. Laut RKI liegt die Schutzwirkung nach der ersten Impfung bei 40 Prozent und nach der zweiten bei 80 Prozent. Weil der Schutz durch die Impfung laut RKI schnell nachlässt, bekommen auch ältere Kinder und Jugendliche oft Keuchhusten.
Wegen Corona-Beschränkungen wenig Kontakt mit Viren
Die aktuell hohen Zahlen von Keuchhusten-Fällen erklärt die SWR-Wissenschaftsredaktion auch mit der Corona-Pandemie: Aufgrund von Maskenpflicht und eingeschränkten Kontakten hätten Kleinkinder wenig Kontakt mit Viren gehabt. Das Immunsystem würde die Viren daher noch nicht kennen. So sind es aktuell mehr Menschen, die gleichzeitig auf das Virus treffen und sich anstecken.
Auch das Landesgesundheitsministerium geht davon aus, dass "eine geringere natürliche Immunisierung in der Bevölkerung während der Corona-Pandemie" zu den größeren Ausbrüchen beigetragen hat. Normalerweise sei das auf niedrige Impfquoten oder nachlassende Immunität in der Bevölkerung zurückzuführen. Allerdings, so das Gesundheitsministerium zum SWR, seien bei endemischen Krankheiten "Häufungen alle drei bis fünf Jahre zu erwarten, selbst bei einer hohen Impfquote".
Hohe Impfquote bei Keuchhusten
Die Impfquote bei Keuchhusten liegt in Deutschland bei 93 Prozent. Aber selbst bei einer 100-prozentigen Quote werde die Krankheit nicht ausgerottet, sagt SWR-Wissenschaftsredakteur Frank Wittig. Die Impfung bietet laut RKI jedoch Schutz vor Ansteckung und vor schweren Verläufen. Aufgrund des höheren Risikos für Kleinkinder, sich mit Keuchhusten anzustecken, empfiehlt die Ständige Impfkommission Schwangeren eine Impfung zu Beginn des dritten Schwangerschaftsdrittels. So können sie das Risiko für ihre Kinder senken.
In ganz Europa mehr Fälle von Keuchhusten
Europaweit werden aktuell vermehrt Fälle von Keuchhusten gemeldet, beispielsweise aus England. Laut der dortigen Gesundheitsbehörde UKHSA sind im Vereinigten Königreich allein zwischen Jahresbeginn und Ende März knapp 2.800 Menschen an Keuchhusten erkrankt. Das sind mehr als dreimal so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. Fünf Babys seien im ersten Quartal 2024 an der Krankheit gestorben.
Fälle von Windpocken gehen in BW zurück
Während die Zahl der Keuchhusten-Fälle ungewöhnlich hoch ist, ist die Situation bei anderen meldepflichtigen Kinderkrankheiten in Baden-Württemberg nach Angaben des Gesundheitsministeriums nicht außergewöhnlich. "Die Daten zu anderen meldepflichtigen Infektionskrankheiten bei Kindern verzeichnen keinen Anstieg bzw. einen vergleichbaren Trend wie in den vorpandemischen Jahren", heißt es. Die Zahl der Windpocken-Fälle beispielsweise erhöhte sich zwar nach einem starken Rückgang während Corona wieder auf mehr als 1.000.
Bußgelder bis zu 2.500 Euro Bodensee-Oberschwaben: Hunderte Schüler ohne Masernimpfung
Nicht alle Eltern lassen ihre Kinder gegen Masern impfen - trotz Pflicht. In der Region Bodensee-Oberschwaben laufen deswegen zurzeit mehrere hundert Bußgeldverfahren.
Masern: Zunahme bundesweit, aber nicht in BW
Bei Masern sieht das Landesgesundheitsministerium Kinder in Baden-Württemberg gut geschützt. "Trotz des aktuellen bundesweiten Anstiegs ist kein Anstieg dieser Erkrankung bei Kindern in Baden-Württemberg zu beobachten", so das Ministerium. Seit der Einführung des Masernschutzgesetzes im Jahr 2020 seien die Impfquoten gegen Masern, Mumps und Röteln bei Vorschulkindern in Baden-Württemberg auf jeweils über 96 Prozent angestiegen. Auch bei Mumps und Röteln geht das Ministerium von einer "guten Immunitätslage" aus und sieht die Impfquoten bei Einschulungsuntersuchungen als Beleg dafür.
Kitas und Schulen sind verpflichtet, Kinder ohne Masernimpfung an das jeweilige Gesundheitsamt melden. Die Behörde fordert dann die Eltern auf, die Impfung nachzuholen. Ansonsten droht ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro. Ende Februar teilte beispielsweise das Ravensburger Landratsamt dem SWR mit, im Kreis seien mehr als 200 Bußgeldverfahren deswegen im Gange.
Blutarmut bei Ungeborenen Mehr Fälle von Ringelröteln in der Region: Was Schwangere jetzt wissen sollten
Die Zahl der Menschen, die sich zurzeit mit Ringelröteln infizieren, ist laut Uniklinik Tübingen ungewöhnlich hoch. Für Schwangere stellt eine Infektion ein Risiko dar.
Ringelröteln und Röteln sind nicht dasselbe
Zuletzt machte eine Infektionswelle mit Ringelröteln Schlagzeilen. Anders als Röteln müssen Fälle von Ringelröteln nicht den Behörden gemeldet werden. Daher ist es kaum möglich, die genaue Zahl der Fälle zu ermitteln - zumal nicht alle Betroffenen Symptome entwickeln. Ringelröteln zählen auch zu den Kinderkrankheiten, werden aber durch einen anderen Erreger verursacht, das Parvovirus. Die aktuelle Infektionswelle ist ungewöhnlich stark, wie die Uniklinik Tübingen dem SWR mitteilte.
Auch Martin Enders, Chef-Virologe des Konsiliarlabors für Parvoviren in Stuttgart berichtet von deutlich mehr Fällen von Ringelröteln. Typisch sei, dass die Infektion bei 10 bis 20 Schwangeren in einem Sommermonat nachgewiesen wird. Während der Pandemie gab es lediglich einen Fall in zwei Jahren. Seitdem steigen die Zahlen wieder an - allein im März 2024 waren es 240 Fälle, so Enders. "Wir haben hier einen Nachholeffekt. Dieser Ausbruch entsteht nach unserer Meinung dadurch, dass viele empfängliche Wirte bereitstehen, in denen sich das Virus entsprechend ausbreitet."
Ringelröteln und auch Keuchhusten sind aktuell auf dem Vormarsch. Für den Virologen Martin Enders ist das eine Folge der Kontaktbeschränkungen und der Masken während der Corona-Zeit:
Schwangere sollten sich bei Verdacht testen lassen
Ringelröteln sind in der Regel harmlos. Für Schwangere kann eine Infektion jedoch ein Risiko darstellen, da sie das Virus an ihr ungeborenes Kind übertragen können und es dadurch in seltenen Fällen zu einer Fehlgeburt kommen kann. Es gibt zwar keine Impfung gegen Ringelröteln, Schwangere können sich jedoch bei einem Verdacht auf eine Infektion testen lassen.
Mehr RSV-Infektionen beobachtet
Bei Infektionen mit dem RS-Virus beobachten Arztpraxen und Kliniken ebenfalls einen starken Anstieg, so das Landesgesundheitsministerium Baden-Württemberg auf Nachfrage. Von Oktober 2023 bis April 2024 wurden insgesamt 5.533 RSV-Fälle gemeldet. Darunter sind laut Ministerium 2.864 Kleinkinder im Alter bis zu zwei Jahren und 1.213 Menschen ab 60 Jahren. Allerdings müssen RSV-Infektionen erst seit August vergangenen Jahres gemeldet werden, weshalb es keine Vergleichszahlen aus den Vorjahren gibt. Auch bei der Zunahme der RSV-Infektionen geht das Gesundheitsministerium davon aus, dass sie eine Folge der geringen Infektionsraten während der Corona-Pandemie ist.