Muslim auf Gebetsteppich

Interview zum Tag der offenen Moschee

Frustration, Wut und Angst - das fühlen viele Muslime in Karlsruhe

Stand
Interview mit
Rüstü Aslandur
Das Interview führte
Mirka Tiede

Mit Muslimen reden, statt nur über sie. Das wünscht sich Rüstü Aslandur, Vorsitzender des Deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe im SWR-Interview.

Die Wahlerfolge der AfD bei den vergangenen Wahlen, die aktuelle Stimmung vor allem gegen muslimische Migranten und Asylbewerber sowie die Lage im Nahen Osten macht den Muslimen in Karlsruhe zu schaffen. Der Vorsitzende des Deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe, Rüstü Aslandur, spricht im SWR-Interview mit Mirka Tiede darüber, wie es den Karlsruher Muslimen in der aktuellen Situation geht.

Ein Ausschnitt aus dem Audio-Interview:

SWR Aktuell: Der Tag der offenen Moscheen ist dafür da, in den Austausch mit anderen Kulturen und anderen Religionen zu gehen. Warum ist das denn gerade jetzt so wichtig?

Rüstü Aslandur: Ich denke, es ist wichtig, weil wir in Deutschland eine Entwicklung haben, die besorgniserregend ist - für uns auf jeden Fall. Und weltweit tobt ein Konflikt, der Muslime sehr beschäftigt.

Blick hinter die Kulissen Tag der offenen Moschee am 3. Oktober auch in RLP

Der 3. Oktober ist nicht nur der Tag der Deutschen Einheit, sondern auch der Tag der offenen Moschee. Über 1.000 islamische Gotteshäuser laden Interessierte zu einem Besuch ein.

SWR Aktuell: Inwiefern beschäftigt Sie das jetzt als Gemeinde denn konkret?

Rüstü Aslandur: Wir haben Menschen, die aus diesem Kulturraum kommen. Das heißt, deren Verwandte zum Teil dort sind. Und natürlich auch uns, die seit langen Jahren diese Sachen im Nahen Osten verfolgen.

SWR Aktuell: Aber auch innerhalb von Deutschland gibt es diverse Vorkommnisse oder diverse Entwicklungen, die Muslime zu schaffen machen. Können Sie vielleicht darauf noch mal ein bisschen genauer eingehen?

Rüstü Aslandur: Ja, diese beiden Dinge sind zum Teil miteinander verwoben. Das heißt, das, was im Nahen Osten passiert, ist mit den Dingen, die sich in ihrer extremen Form auch darstellen, zum Teil verwoben. Und das wird dann für eine Politik, für eine Gesellschaftspolitik bezüglich der Muslime als Grundlage genommen, die sich sehr extrem und sehr einseitig darstellt.

Rüstü Aslandur ist der Vorsitzende des Deutschsprachigen Muslimkreises in Karlsruhe
Rüstü Aslandur ist der Vorsitzende des Deutschsprachigen Muslimkreises in Karlsruhe

SWR Aktuell: Wenn man sich jetzt die AfD-Wahlerfolge anschaut, wie geht es Ihnen denn damit?

Rüstü Aslandur: Also durchweg erschreckend. Wir haben gedacht, dass sich dieses völkische Denken in Deutschland nicht mehr so breitmachen wird. Aber scheinbar gibt es trotz der Generation, die den Krieg erlebt hat und die nicht mehr am Leben ist, trotzdem noch eine starke rechtsextreme völkische Gesinnung bei vielen Menschen - zu vielen Menschen.

SWR Aktuell: Jetzt wird natürlich nicht nur Stimmung von der AfD selber gemacht, sondern auch teilweise von anderen Parteien. Wie geht es Ihnen denn damit?

Rüstü Aslandur: Also das Phänomen AfD ist erschreckend. Aber dass sich die demokratisch aufgestellten oder eigentlich demokratisch aufgestellten Parteien sich da treiben lassen, das ist natürlich für uns sehr besorgniserregend. Wir haben diese Parteien als Bollwerk, als standhafte demokratische Einheit gedacht. Aber die bröckelt dann. Und das macht uns natürlich auch noch mehr Sorgen.

SWR Aktuell: Haben Sie das Gefühl, dass in dem öffentlichen Diskurs Ihre Stimme explizit als Muslim einfach zu kurz kommt?

Rüstü Aslandur: Sehr zu kurz. Also das heißt, man redet über die Muslime. Man beurteilt, verurteilt sie. Aber gerade im Kontext, wenn wir hier zum Beispiel in Karlsruhe muslimische Kulturtage machen, dann gibt es starke demokratische Parteien, die nicht mal antworten, wenn wir sie einladen. Und das ist für uns natürlich kein Weg des Austausches, kein Weg des Dialogs, einfach nur Gedanken und Positionen über eine Gruppe, die betroffen ist, zu äußern.

SWR Aktuell: Wie soll die Politik mit dieser Thematik umgehen?

Rüstü Aslandur: Ich denke, es ist wichtig, die Muslime mit einzubeziehen. Die sind ja selber erst mal davon betroffen und möchten, dass solche Extremisten und Fanatiker dann auch nicht in ihren Reihen irgendwo einen Stand haben. Und da, denke ich, ist es wichtig, die Muslime in der Strategie, wie man diese Sachen dann auch vermeiden kann oder abwehren kann, einzubeziehen.

SWR Aktuell: Und was würden Sie sich gesamtgesellschaftlich wünschen?

Rüstü Aslandur: Also mehr Differenzierung, also dass man nicht von ein, zwei Fällen auf eine Gruppe von sechs Millionen schließen kann. Und einfach mal die Normalität und den Alltag der Muslime sehen, die mit ihren Nachbarn, mit ihren Freunden, mit ihren Arbeitskollegen ganz normal tagtäglich, jahrzehntelang normal leben und dass die Normalität im Vordergrund sein muss und nicht irgendwelche Einzelfälle, die sich extrem darstellen. Sonst könnten wir auch natürlich als Minderheit die extremen Fälle aus der deutschen Autochthonengesellschaft als Bezugspunkte nehmen. Und das ist dann auch völlig verkehrt. (Anmerkung der Redaktion: Autochthone Deutsche sind Deutsche ohne Migrationshintergrund.)

SWR Aktuell: Wie gehen Sie denn als Gemeinde aktuell mit diesen politischen Entwicklungen um?

Rüstü Aslandur: Also diese Entwicklungen sind nicht neu. Die sind Jahrzehnte alt, nur in einem anderen Kleid. Und unsere Antwort ist Begegnung, Dialog, Austausch, Verständnis, Respekt. Und das sind zum Beispiel die muslimischen Kulturtage. Das ist die Grundlage. Das ist die Form, die wir als Gemeinde anbieten können. Und natürlich den Tag der offenen Moschee, den wir hier seit über 25 Jahren regelmäßig durchführen.

SWR Aktuell: Wenn Sie das jetzt mal auf den Punkt bringen müssten, wie geht es denn aktuell den Muslimen in Karlsruhe und der Umgebung?

Rüstü Aslandur: Also es ist eine Mischung zwischen Frustration, Wut, Angst und der Sorge, die wir haben. Und diese Dinge, diese Gefühle sind natürlich für uns so ein Wechselbad der Gefühle, Wechselbad der Emotionen. Und wir versuchen dennoch, rational die Sachen anzugehen und die Menschen zu Dialog und Begegnung einzuladen.

SWR Aktuell: Haben Sie das Gefühl, dass es eine Perspektive gibt, dass es wieder besser werden kann?

Rüstü Aslandur: Es ist schwer zu sagen. Ich bin vor 55 Jahren als kleines Kind nach Deutschland gekommen mit meinen Eltern, meiner Mutter und meiner Schwester. Aber ich habe so viele Aufs und Abs erlebt, dass es nicht einfach ist, so spontan Hoffnung zu hegen. Was natürlich auch vorhanden ist, ist, dass es einen größeren Teil der Gesellschaft gibt, der den Kontakt mit uns aufnimmt und den Austausch pflegt und sich Freundschaften, tiefe Freundschaften ergeben.

Aber gleichzeitig wächst auch diese Zahl der Leute und auch junge Leute, die völkisch denken, auch völkisch wählen. Und das sind so zwei entgegengesetzte Tendenzen, bei denen man auch natürlich insgesamt befürchten muss, dass die Fronten härter werden.

SWR Aktuell: Sie stehen ja sicher auch im Austausch mit anderen Gemeinden. Geht es denen genauso wie Ihnen?

Rüstü Aslandur: Ich denke, den anderen Gemeinden geht es sogar noch schlimmer. Wir sind der deutschsprachige Muslimkreis. Wir können die Dinge auch besser einordnen, weil wir einfach mehr diesen deutschen und deutschsprachigen Hintergrund haben. Und wenn man sich sozusagen selber als Ausländer am Rande der Gesellschaft fühlt und sowohl emotional als auch rational keinen Anschluss findet, ist diese Sache viel schlimmer.

SWR Aktuell: Haben Sie vielleicht einen kleinen Appell an alle anderen?

Rüstü Aslandur: Ja, der Appell ist immer der gleiche: Begegnung. Nehmen Sie die Angebote der muslimischen Gemeinden wahr. Und der 3. Oktober ist tatsächlich so eine gute Möglichkeit, dieses Gespräch zu führen. Und wenn man nicht so viel Kontakt mit Muslimen hat, ist es umso wichtiger, die Begegnung zu suchen. Und dann wird man oft merken, dass die Dinge doch anders liegen, als man sich vielleicht durch die Medien oder irgendwelche Hassnachrichten im Internet oder so was gebildet hat.

SWR Aktuell: Gibt es vielleicht noch irgendwas, was Sie jetzt noch loswerden wollen? Was Sie noch auf dem Herzen haben?

Rüstü Aslandur: Ja, also ich möchte auch meinen muslimischen Freunden sagen, dass man die Anstrengungen nicht verringern soll, Begegnungen zu schaffen. Und es normal ist, wenn man sich anstrengen muss - auch wenn es selbstverständlich ist, dass man akzeptiert werden sollte. Es ist leider ein Kampf und man darf nicht aufgeben. Und es gibt wirklich schöne Momente, wenn man sich mit Menschen, die offen sind und die einem mit offenen Armen begegnen trifft.

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