In der Nacht des 9. November 1938 klopft es bei Trudy Ullmann an der Tür. Sie wohnt mit ihrer Familie in der Zerrennerstraße 13 in Pforzheim. Ihr Vater öffnet die Haustür. Dann hört Trudy nur noch die Schreie ihres Vaters. Er wird brutal verprügelt - von nationalsozialistischen Schlägertrupps. Weil er Jude ist. Trudys Mutter fährt ihn ins Krankenhaus, wo er zwar behandelt wird, aber weder Narkose noch Schmerzmittel bekommt. So erzählen Pforzheimer Schülerinnen und Schüler die Geschehnisse in der Zerrennerstraße heute nach - 85 Jahre nach der Reichspogromnacht.
SWR-Reporterin Annika Jost über die Gruppe von Jugendlichen:
Jugendliche recherchieren: Projekt an Hilda-Schule gedenkt Juden aus Pforzheim
Die Erlebnisse von Trudy in der Reichspogromnacht haben Jugendliche vom Hilda-Gymnasium zu einem Kurzfilm gemacht - einer von insgesamt acht. Denn Trudy war auch Schülerin auf ihrer Pforzheimer Schule. Über 60 Biografien von ehemaligen jüdischen Schülerinnen und Schülern der Schule wurden von der Projektgruppe "Spurensuche" bereits aufgedeckt. Ziel des Projektes ist es, Geschichtsunterricht erlebbar zu machen. Der Blick von Schüler Kalle Hippelein auf Pforzheim hat sich seit der Produktion der Kurzfilme komplett geändert. "Ich weiß, dass es am Leopoldplatz, wo ich täglich in den Bus einsteige, mehrere Geschäfte gab, die total zerstört wurden", teilweise wurden sogar Feuer gelegt, erzählt Hippelein.
Reichspogromnacht in Pforzheim: Jugendliche gedenken jüdischen Opfern
Bei dem Dreh für den Film über die Reichspogromnacht schlüpften Kalle und andere projektbeteiligte Schülerinnen und Schüler in die Rolle der ehemaligen jüdischen Mitschülern. Sie erzählen Mithilfe von Briefen, Zeitzeugenberichten und Archivmaterial, wie bei der Reichspogromnacht nationalsozialistische Schlägertrupps, jüdische Menschen und ihre Geschäfte überfallen und Synagogen angezündet haben - auch in Pforzheim.
Geschichte erlebbar machen, das will Geschichtslehrer Martin Rühl, der das Projekt betreut. Angefangen hat alles 2017 mit einer Biografie der ehemaligen jüdischen Schülerin und Widerstandskämpferin Edith Rosenblüth. Aus all den gefundenen Biografien von ehemaligen jüdischen Schülerinnen und Schülern entstanden unter anderem das Buch "Spurensuche" und mehrere Filme.
Die produzierten Filme schauen sich dann alle Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Geschichtsunterrichts am Hilda-Gymnasium an. Eine Webseite mit einer interaktiven Stadtkarte soll zusätzlich das jüdische Leben und die Verfolgung in Pforzheim erlebbar machen - für alle, die es interessiert.
85 Jahre nach Reichspogromnacht Jüdisches Leben in BW: Nur unter Polizeischutz
Vor 85 Jahren zerstörten die Nazis Synagogen und jüdische Geschäfte. Auch heute gibt es noch Antisemitismus in Baden-Württemberg - angeheizt auch durch die Terror-Attacke der Hamas.
Recherche zu Reichspogromnacht hinterlässt Spuren bei Jugendlichen aus Pforzheim
Die Reichspogromnacht war der vorläufige Höhepunkt der Diskriminierung von Jüdinnen und Juden in Deutschland. Ende des Jahres 1938 mussten dann die letzten verbliebenen jüdischen Jugendlichen das Hilda-Gymnasium verlassen. Schüler Kalle Hippelein schaut mit gemischten Gefühlen zurück auf die Projektarbeit. "Was man liest, macht schon was mit einem - in die traurige Richtung", sagt Hippelein. Aber es sei schön, dass er die Gelegenheit bekommen habe, die Geschichten der Opfer zu recherchieren und "ihnen einen Namen und ein Gesicht zu geben".
In Zukunft wollen die am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schüler mehr auf Ausgrenzung achten und etwas dagegen unternehmen. Denn sie haben gesehen, wozu Ausgrenzung und Rassismus führen können.