In Karlsruhe und in anderen Städten in Baden-Württemberg können Mitglieder der Gewerkschaft ver.di seit Montagmittag über unbefristete Streiks im kommunalen Nahverkehr entscheiden. Die Urabstimmung dauert vier Wochen. Die ersten Beschäftigten der Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) haben schon ihre Stimme abgegeben.
Straßenbahnfahrer der VBK: "Früher war es ein Traumjob"
Einer, der seinen Ärger an der Urne mit einem Stimmzettel zum Ausdruck bringen möchte, ist Michael Woll. Er ist seit fast 20 Jahren bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe und sitzt auch im Betriebsrat. Er ist sowohl Bus- als auch Straßenbahnfahrer im Dienst. Früher sei es sein Traumjob gewesen, sagt er. Heute sieht er das nur noch teilweise so.
Die Arbeitsbelastung sei stark gestiegen. Er habe gemerkt, dass er "innerlich ausbrennt". Deswegen unterstützt er als ver.di-Mitglied die Forderungen nach unbefristeten Streiks.
Weil immer öfter Personal krankheitsbedingt fehle, gebe es auch viele Ausfälle auf den Strecken, so Woll. An freien Tagen werde man dann trotzdem gefragt, ob man einspringen kann. "Das setzt einen unter Druck", findet der 48-Jährige.
Streik auch wegen Sorge um fehlenden Nachwuchs
Auch die 26-jährige Davina Schäfer ist am Montag zur Urabstimmung gekommen. Sie macht sich vor allem Sorgen um den Nachwuchs. "Die Urabstimmung ist notwendig, damit wir den Erzwingungsstreik erreichen", findet sie.
Sie hofft, dass sich dadurch die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern, auch um attraktiv für Bewerberinnen und Bewerber zu bleiben. Ihre größte Sorge sei, dass Ausbildungsplätze nicht nachbesetzt werden könnten, weil andere Arbeitgeber einen höheren Lohn, mehr Urlaubstage oder bessere Arbeitsbedingungen bieten, so die 26-Jährige.
Gewerkschaft ver.di rechnet mit hoher Beteiligung
Die Gewerkschaft ver.di hat das Angebot des Kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV) vor über einer Woche abgelehnt. Das Angebot sah demnach unter anderem für Personen, die variable Dienste leisten, eine Zulage von 250 Euro im Monat vor. Gerade die, deren Arbeitsbelastung besonders hoch sei, hätten davon profitiert, teilte der KAV mit. Außerdem habe man etwa Samstags- und Sonntagszuschläge für den Fahrdienst angeboten.
Der Geschäftsführer von ver.di Mittelbaden-Nordschwarzwald, Thorsten Dossow, der die Urabstimmung in Karlsruhe organisiert, lehnt das Angebot des KAV kategorisch ab. Das große Problem bei dem Angebot sei die Spaltung der Belegschaft, so Dossow. Werkstatt, Infrastruktur und Verwaltung hätten laut Dossow von den Zulagen nichts bekommen, sondern nur der Fahrdienst. Er rechnet mit einer hohen Beteiligung in Karlsruhe. "Wir rechnen mit etwa 80 oder 90 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder." Er geht davon aus, dass die alleinige Ankündigung des Erzwingungsstreiks etwas bewirken werde.
SWR-Reporterin Greta Hirsch hat für SWR1 mit Michael Woll gesprochen:
Wie könnte ein unbefristeter Streik aussehen?
Wenn 75 Prozent der Mitglieder zustimmen, sind nach Angaben von ver.di unbefristete Streiks möglich. Sollte es dazu kommen, wird es laut Dossow in Karlsruhe einen unbefristeten Streik geben. Wie genau dieser aussehen wird, sei noch offen. "Wir wollen eine Taktik wählen, die für Bürgerinnen und Bürger freundlich ist", sagt Dossow. Trotzdem werde man es nicht ganz ausschließen können, dass es mal einen Tag gebe, der "weh tut". Es könne zum Beispiel so aussehen, dass mal tageweise gestreikt werde und mal flächendeckend, so Dossow.
Streiks im BW-Nahverkehr ver.di: Urabstimmung über unbefristete Streiks im ÖPNV beginnt
Die Gewerkschaft ver.di lässt über unbefristete Streiks entscheiden. Im Tarifstreit könnte der Druck auf die Nahverkehrsbetriebe erhöht und der ÖPNV in BW häufiger bestreikt werden.
Angebot von KAV von ver.di abgelehnt
Die Hauptgeschäftsführerin des Kommunalen Arbeitgeberverbands, Sylvana Donath, reagierte mit Unverständnis. Bei der vierten Verhandlungsrunde am Sonntag habe man ein deutlich verbessertes Angebot vorgelegt und sei ver.di in vielen Punkten entgegengekommen, hieß es vom KAV. "Wir haben uns damit schon über unsere Schmerzgrenze bewegt", argumentierte die Hauptgeschäftsführerin.
Dennoch sei kein ergebnisorientierter Austausch möglich gewesen, so Donath. Vielmehr sei die Gewerkschaft so gut wie überhaupt nicht von ihrer ursprünglichen Position abgerückt und beharre auf einem großen Forderungskatalog, dessen Gesamtumfang gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht vermittelbar sei.
Michael Woll will Hoffnung nicht aufgeben
Straßenbahnfahrer Michael Woll bleibt optimistisch. Er hat sein Kreuz auf seinem Stimmzettel gesetzt und hofft "dass wieder junge Leute zu uns kommen, die sagen: Straßenbahn fahren oder Bus fahren, das ist mein Ding. Und ich kann das machen, ohne Druck." Auch er möchte wieder Freude beim Straßenbahnfahren spüren. "Es wird am Anfang immer schlimmer. Dann wird’s noch schlimmer. Und irgendwann haben wir den Peak erreicht, dann wird’s auch wieder besser. Auf irgendeine Art und Weise."