Laut Robert Koch-Institut ist Corona zurzeit für etwa ein Viertel der akuten Atemwegserkrankungen verantwortlich. Auch das Abwassermonitoring - unter anderem in Karlsruhe - deutet auf ein hohes Infektionsgeschehen hin. Der Medizinische Geschäftsführer des Städtischen Klinikums Karlsruhe, Michael Geißler, rät im SWR Interview dennoch, den Fokus nicht zu sehr auf Corona zu legen.
Herr Geißler, was kann man aus dem Abwassermonitoring ableiten und was eben nicht?
Aus einem Abwassermonitoring kann man sehr verlässlich inzwischen ableiten, was uns bevorsteht, also jetzt zum Beispiel in Karlsruhe. Das Abwassermonitoring sagt aus, dass die Infektionszahlen in den nächsten Tagen weiter steigen werden. Das glaube ich auch. Was das Abwassermonitoring nicht kann, ist eine Prognose geben über Verlauf und Schwere der Erkrankung, wie viele Menschen müssen mit Infektion ins Krankenhaus. Letztendlich ist es nur ein Blitzlicht, das uns für einige Tage eine Voraussage gibt, in welche Richtung sich die Infektionswelle ausbreitet.
Wie ist Corona inzwischen im Vergleich zu anderen Erkrankungen einzuordnen wie zum Beispiel dem RS-Virus?
Ich möchte die Diskussion auf einen anderen Punkt legen. Wir haben eine hohe Rate an Infektionen. Wir haben jetzt zwei neue Varianten. Haben wir ja schon öfter erlebt. Aber mein Punkt ist: Corona ist ein Infektionsvirus von vielen. Wir haben die Rhinoviren, wir haben natürlich Corona, wir haben bei den Kindern insbesondere die Infektion mit RSV. In den nächsten Wochen und Monaten kommt noch Influenza dazu.
Vor Influenza habe ich am meisten Sorge, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, weil die Erkrankung gerade bei älteren Menschen sehr, sehr stark und mit einem höheren Schweregrad verläuft, insbesondere wenn man nicht geimpft ist. Das heißt, Corona ist zumindest aus Klinikumsicht gar nicht das Problem. Denn die Fälle, die bei uns aufgenommen werden, sowohl im Erwachsenenbereich als auch im Kinderbereich, das sind im Großteil der Fälle keine schweren Verläufe. Und das unterscheidet die aktuelle Coronalage deutlich von denen der letzten drei Jahre.
Ja, das ist eine Infektionserkrankung wie jede andere auch. Die kann schwere Verläufe machen, insbesondere bei Älteren, bei Immunsupprimierten. Aber in Karlsruhe zum Beispiel haben wir keinen einzigen Intensivpatienten, obwohl wir knapp 40 Erwachsene und circa zehn Kinder hier liegen haben. Die Belastung auf den Intensivstationen und die schweren Verläufe, die sehen wir nicht. Übrigens auch bei RSV nicht, bei den Kindern. Das wird aber wahrscheinlich zunehmen, wenn dann Influenza in den nächsten Wochen und Monaten ansteigt.
Die Grippe macht Ihnen Sorge, sagen Sie - lohnt es noch, sich zu impfen? Empfehlen Sie das?
Ja, unbedingt. Also wenn, dann jetzt, unbedingt noch vor Weihnachten. Die Welle beginnt jetzt zaghaft. Wir wissen, wenn es mal losgeht im Januar, dann wird es natürlich exponentiell sein. Dann hätte man aber immer noch vier Wochen, um neutralisierende Antikörper zu entwickeln. Also auf jeden Fall ist jetzt noch eine gute Möglichkeit, sich impfen zu lassen.
Welche Aussagekraft hat die Inzidenz noch, da weniger Menschen zum Arzt gehen? Ist das noch eine Referenz?
Die Inzidenz ist wissenschaftlich interessant. Die ist auch bezüglich der Volkswirtschaft interessant. Wir Kliniken haben aktuell keine Angst aufgrund der Corona-Infizierten. Was wir aber sehen ist, dass die gesamte Gemengelage der Infektionen der oberen Atemwege sowohl für Wirtschaftsbetriebe als auch für uns Kliniken ein Problem ist.
Wir sehen insbesondere seit dieser Woche, da gab es einen richtigen Sprung bei den Krankmeldungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davor war das eigentlich relativ stabil, so bis Anfang Dezember. Wir haben ja sowieso einen hohen Krankenstand seit Corona in allen Berufszweigen. Bei uns am Klinikum sieht man in dieser Woche einen deutlichen Anstieg der Krankmeldungen. Und das passt natürlich dazu, dass wir sehen, dass sich aktuell diese Viren überall ausbreiten und sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter draußen infizieren.
Welche Verhaltensweisen machen aktuell Sinn - nicht nur mit Blick auf Corona, sondern auch auf andere Infektionskrankheiten?
Genau, noch mal weg von dem Problem Corona, man sollte da überhaupt keine Angst schüren. Corona ist genauso zu bewerten wie RSV oder die Rhinoviren. Klar, ältere Menschen ab 60, Patienten, die schwer krank sind, die eine Immunsupprimierung haben: denen würde ich dringend raten, wenn sie in öffentlichen Räumen unterwegs sind, mit vielen Menschen, also in öffentlichen Verkehrsmitteln, Sitzungen, unbedingt eine Maske tragen. Man kann sich mit dem Masketragen selbst schützen. Das ist etwas, das dann auch davor schützt, sich mit einem dieser aktuell zirkulierenden Viren zu infizieren.
Wir bei uns im Klinikum haben aktuell noch keine Maskenpflicht. Wir machen das ganz gezielt nur in Hochrisikobereichen oder bei Patienten und Mitarbeitern, die Symptome haben. Das halte ich auch noch für richtig. Wir sind noch in der sogenannten Stufe eins von vier, in der untersten Stufe. Aber draußen halte ich es schon für wichtig: wer Angst hat vor einer Infektion oder wer gesund bleiben will, gerade vor Weihnachten, der sollte, auch wenn man 30 oder 35 Jahre alt ist, aus meiner Sicht eine Maske tragen, wenn man sich in größeren Gruppen von Menschen aufhält. Weil im Augenblick ist das Risiko, dass man sich auf dem Weihnachtsmarkt oder einer Betriebsversammlung oder wo auch immer eine Infektion holt, extrem hoch.