Bei der Berichterstattung über Strafverfahren endet diese häufig an den Toren der Justizvollzugsanstalt (JVA). Aus den Augen, aus dem Sinn - Straftäter gehören schließlich "hinter Gitter." Nur ausnahmsweise rückt dieser Bereich in den öffentlichen Fokus - wie etwa bei dem entflohenen Mörder aus der JVA Bruchsal.
Was vielfach unbeachtet bleibt: Schon ab dem ersten Tag der Strafhaft wird hinter den Kulissen daran gearbeitet, den Verurteilten auf die Zeit nach der Haft vorzubereiten. Denn das Strafvollzuggesetz gibt vor: Der Gefangene soll befähigt werden, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen - auch bekannt als Resozialisierung.
Alexander Krüger aus der SWR Rechtsredaktion gibt Antworten zu den wichtigsten Fragen:
Schritt für Schritt zur Resozialisierung
Welche Schritte auf dem Weg zur Resozialisierung erforderlich sind, erarbeitet die JVA anhand der individuellen Vorgeschichte jedes einzelnen Gefangenen. Für jeden Häftling wird ein Vollzugsplan aufgestellt und im Laufe der Strafhaft fortgeschrieben. Dabei arbeiten Kriminologen und Sozialarbeiter Hand in Hand. Wenn es möglich und sinnvoll ist, können auch Wünsche des Gefangenen berücksichtigt werden. Insbesondere im Jugendvollzug kann es auch darum gehen, Gefangene erstmalig zu sozialisieren, wenn sie bislang in prekären Verhältnissen gelebt haben. Ein Teil dieses Vollzugsplanes, neben Therapie- und Weiterbildungsmaßnahmen, sind sogenannte "vollzugsöffnende Maßnahmen".
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Der in Moldau gefasste Straftäter soll nach seiner Rückkehr nach Deutschland in ein anderes Gefängnis kommen. Die Sicherungsmaßnahmen würden angepasst, heißt es vom Justizministerium.
Eindrücke "von draußen"
Um dem Gefangenen nach seiner Entlassung wieder eine Perspektive bieten zu können, soll er mit den vollzugsöffnenden Maßnahmen an das "Leben danach" herangeführt werden - und dazu soll er mit Dritten interagieren und mit dem "normalen Leben" außerhalb der Haftanstalt in Kontakt kommen.
Hierzu stehen verschiedene Maßnahmen zur Verfügung. Gefangene können etwa die Haftanstalt für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht ("Ausführung") oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten ("Ausgang") verlassen, oder außerhalb der Haftanstalt arbeiten. Während einer Ausführung oder beim Ausgang können Gefangene dann etwa Freunde und Familie treffen, eine soziale Einrichtung besuchen - oder auch einfach nur eine Kugel Eis kaufen.
Rechtsanspruch der Gefangenen
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes haben alle Gefangenen einen echten Rechtsanspruch auf vollzugsöffnende Maßnahmen. Das gilt auch dann, wenn ihre Haftstrafe noch lange dauert, oder sie zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind - spätestens nach dem achten Jahr in Haft. Denn laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Resozialisierung nicht nur ein Ziel des Strafvollzugs, sondern ein grundgesetzlich verbrieftes Recht jedes einzelnen Gefangenen - als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes in den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes.
Dieses "Recht auf Resozialisierung" muss im Vollzugsplan berücksichtigt werden - und somit auch beispielsweise Ausführungen darin aufgenommen werden. So geschah es auch in Bruchsal. Das gilt sogar dann, wenn der Gefangene fluchtgefährdet ist. Die Lösung des Verfassungsgerichtes: Dann müssten eben geeignete Maßnahmen getroffenen werden, um dieser Fluchtgefahr zu begegnen. Dass das in der Praxis nicht immer umsetzbar ist, macht der Fall in Bruchsal deutlich. Um zu verhindern, dass auch andere Gefangene während einer Ausführung fliehen, wurden in Baden-Württemberg die Sicherheitsvorschriften seither nachgeschärft.
Der Ablauf einer Ausführung
Bei der Ausführung wird der Häftling von mindestens zwei JVA-Bediensteten begleitet, in der Regel in ziviler Kleidung. Je nach prognostizierter Fluchtgefahr wird vorab entschieden, ob weitergehende Sicherungsmittel, etwa eine elektronische Fußfessel, genutzt werden. Die Ausführung dauert normalerweise nur wenige Stunden, zum abendlichen Zelleneinschluss ist der Gefangene dann wieder in der JVA. Während der Ausführung sind die JVA-Bediensteten immer in seiner unmittelbaren Nähe, der Gefangene kann gefesselt sein. Neu ist seit der missglückten Ausführung in Bruchsal: Will sich der Gefangene mit Dritten treffen, werden Ort und Zeit besonders vage gehalten, um keine konkreten Fluchtpläne zu ermöglichen.
Kaum Probleme mit der Außenwelt
Solange die Gefangenen außerhalb der JVA sind, lassen sie sich selten etwas zu Schulden kommen. Aniello Ambrosio vom Justizministerium Baden-Württemberg weiß: "Jedes Jahr verlassen mehr als 30.000 Gefangene unbeaufsichtigt eine JVA in Baden-Württemberg." Im Jahr 2023 habe es dabei aber nur 36 Fälle gegeben, in denen Gefangene nicht zurückgekehrt oder auffällig geworden seien. Noch weniger passiert, wenn Gefangene unter Aufsicht draußen sind: Bei 20.000 Fällen im Jahr 2023 sind vier Gefangene entwichen, einer hat es versucht.
Das liegt auch an den Konsequenzen im Falle eines Fehlverhaltens: Vollzugsöffnende Maßnahmen können dann widerrufen werden. Nachteile drohen auch, wenn der Gefangene die ihm erteilten Weisungen missachtet - etwa, keinen Alkohol zu trinken oder pünktlich wieder da zu sein. Denn: Auch außerhalb der JVA bleiben die Verurteilten Gefangene und unterliegen deshalb den Regeln des Strafvollzugs.