Mit der Abschaffung der Isolationspflicht in Baden-Württemberg werden weitere Corona-Regeln fallen gelassen. Doch wie wird dieser Schritt von den Menschen im Land aufgenommen? Die Konstanzer Psychologin und Verhaltensökonomin Katrin Schmelz spricht im Interview unter anderem über die Botschaft, die damit gesendet wird, über die Wirksamkeit von Empfehlungen und den Druck auf andere Bundesländer, nun nachzuziehen.
SWR Aktuell: Die Corona-Isolationspflicht in Baden-Württemberg wurde abgeschafft. Was ist das für ein Signal?
Katrin Schmelz: Ich denke, die Menschen verstehen das als Signal dafür, dass die Pandemie vorbei ist.
SWR Aktuell: Ist der Schritt aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Schmelz: Ich bin keine Medizinerin, die das einordnen kann. Aber ich sehe die gesellschaftliche Debatte, ob das tatsächlich noch notwendig ist. Klar ist: Wenn die Pflicht abgeschafft wird, signalisiert das, dass die Isolationspflicht eigentlich auch nicht mehr erforderlich ist.
Wir haben auch Daten zur Bereitschaft, eine Quarantäne einzuhalten und sehen, dass die freiwillige Bereitschaft nicht so wahnsinnig groß ist. Eine Pflicht ruft aber auch keinen Widerstand hervor. Wenn man die Pflicht abschafft, führt das einfach dazu, dass die meisten die Quarantäne nicht mehr einhalten.
SWR Aktuell: Nehmen Sie die Abschaffung der Isolationspflicht als 180-Grad-Wende wahr oder als logischen Schritt?
Schmelz: Ich nehme sie nicht als 180-Grad-Wende wahr. Vielmehr beobachte ich, dass die Pandemie im Bewusstsein aller zurücktritt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Regelungen deutlich abgemildert sind.
Zum Beispiel die Aufhebung der Maskenpflicht: Wenn alle mit Maske zu sehen sind, dann ist einem immer wieder bewusst, dass wir in einer ernsthaften pandemischen Situation leben. Wenn kaum jemand mit Maske zu sehen ist, vergisst man das. Wir haben gerade einfach ganz andere gesellschaftliche Krisen, die in den Vordergrund getreten sind.
Land passt Corona-Verordnung an Corona-Isolationspflicht in Baden-Württemberg entfällt
Die Isolationspflicht für positiv auf das Coronavirus getestete Personen fällt in BW bereits ab dem 16. November weg. Das hat das Gesundheitsministerium am Dienstag mitgeteilt.
SWR Aktuell: Baden-Württemberg schafft die Isolationspflicht ab - gemeinsam mit Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein. Im Rest von Deutschland wird sie noch gelten. Wie schwer ist es, bei einem solchen Flickenteppich noch eine Pflicht zu vertreten?
Schmelz: Vermutlich werden die anderen Bundesländer auch nach und nach Druck bekommen und die Isolationspflicht abschaffen. Es ist aber vielleicht nicht ideal, die Pflicht speziell vor diesem Winter abzuschaffen, wenn wir uns viel in kühlen Innenräumen befinden.
SWR Aktuell: Die Landesregierung in BW setzt nun auf Empfehlungen. Was bringt eine Empfehlung denn überhaupt?
Schmelz: Beim Tragen der Maske wird eine Empfehlung aus meiner Sicht dazu führen, dass sie eine Zeit lang von manchen Infizierten, aber längst nicht von allen eingehalten wird. Wenn ich das Gefühl habe, ich bin jetzt die einzige, die noch mit Maske herumläuft, stigmatisiert mich das ja auch als Corona-infiziert. Ich vermute, dass irgendwann die Kooperation zusammenbrechen und kaum jemand noch eine Maske tragen wird.
Andererseits ist es gut möglich, dass das Masketragen in unserer Kultur gesellschaftsfähig bleibt und auch bei anderen Infektionen als Übertragungsschutz genutzt wird. Da wird es Heterogenität unter den Menschen geben - die einen werfen ihre Masken weg, die anderen sind froh, sie zu haben.
SWR Aktuell: Mal angenommen, das eigene Kind ist Corona-positiv, hat kaum Symptome und geht in die Schule. Wenn es da eine Maske aufsetzt, ist es doch sozial viel stärker isoliert.
Schmelz: Ob das Kind dann sozial isoliert wird, kommt natürlich auf das Umfeld an. Es gibt soziale Konstellationen, in denen das auch sehr positiv aufgenommen wird. Es gibt Konstellationen, in denen die Menschen dankbar sind, dass jemand eine Maske trägt - aber auch Gruppen, in denen man stigmatisiert wird.
SWR Aktuell: Die Politik will den Menschen jetzt mehr Eigenverantwortung zurückgeben. Sind wir dafür schon bereit?
Schmelz: Wir waren ja schon die ganze Zeit eigenverantwortlich, zum Beispiel was das Testen angeht. Eigenverantwortung galt aber auch bei der Isolation, denn die Isolationspflicht ließ sich nur begrenzt kontrollieren und durchsetzen. Es gibt viele Menschen, die das die ganze Pandemie durchgehalten haben und sehr eigenverantwortlich waren. Dann gibt es Menschen, die interessiert das nicht mehr und andere haben sich von Beginn an nicht sozial verantwortlich verhalten. Da gibt es eine Spannbreite. Es ist aber zu erwarten, dass ein Großteil derjenigen, die sich tatsächlich positiv testen, nicht freiwillig in Isolation bleiben würde. Dass Infizierte aber zum Beispiel andere, die ihnen nahestehen, durch Masketragen und Abstandhalten schützen, halte ich für durchaus realistisch.
SWR Aktuell: Könnten wir bei einer eventuellen Winterwelle nochmal in die Isolationspflicht zurück? Oder werden die Leute dazu nicht mehr bereit sein?
Schmelz: Das kommt darauf an. Maßnahmen, die als nicht wirksam empfunden werden, werden auch nicht akzeptiert. Wenn man eine Isolationspflicht als übertrieben empfindet, dann wird sie auch öfter umgangen. Aktuell testen wir uns ja im Privaten. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Menschen trotz eines positiven Coronatests nicht in Quarantäne gehen - oder sich bei Symptomen gar nicht erst testen. Angenommen, es würde diesen Winter noch eine sehr gefährliche Coronavariante kommen und die Regierung würde wieder eine Isolationspflicht einführen, kann ich mir gut vorstellen, dass diese auch wieder akzeptiert würde. Ich denke aber, die Leute haben gerade viel mehr den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise im Kopf als die Pandemie.
SWR Aktuell: Wird sich die Abschaffung der Isolationspflicht auch auf das Thema Impfbereitschaft, zu dem Sie ja umfassend geforscht haben, auswirken? Wird das Thema Impfen an Bedeutung verlieren?
Schmelz: Das Thema hat auch dadurch an Bedeutung verloren, dass der Platz in den Medien von anderen Inhalten eingenommen wird. Das ganze Thema Pandemie ist längst nicht mehr so in der öffentlichen Diskussion - und damit eben auch das Thema Impfen. Und das sehe ich durchaus positiv, weil die Haltung zum Impfen bei vielen ja schon Bestandteil ihrer Identität geworden ist und Fronten verhärtet waren. Da führt ein anderer Fokus zu einer gewissen Entspannung.
Es ist ein Normalzustand, dass man sich mit Corona infiziert und meistens auch wieder gesund wird. Viele haben akzeptiert, dass Corona jetzt einfach dazu gehört. Ich weiß allerdings nicht, wie die gesamtgesellschaftliche Debatte aussehen würde, wenn der Ukraine-Krieg nicht begonnen hätte. Wahrscheinlich hätten die Pandemie und die Polarisierung rund um das Thema Impfung dauerhaft mehr Aufmerksamkeit bekommen.