"Wie Nadelstiche" seien die Streiks, sagen die einen. "Das Recht auf den Kampf um einen allgemeinen Tarifvertrag", sagen die anderen. Klar ist: Die Streiks sind erlaubt, darin sind sich alle einig. Und selbst wenn immer wieder Streikpausen eingelegt werden - wie zuletzt beispielsweise über Weihnachten - eine Lösung im Tarifkonflikt zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der landeseigenen Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) ist nicht in Sicht. Weder die GDL, die ihre Position um Tarifverträge in der SWEG stärken will, noch die SWEG, die nicht mehrere Tarifverträge in ihrem Unternehmen zulassen will, scheinen aufeinander zuzugehen.
SWR Aktuell berichtete im September über die ersten Streiks bei der SWEG:
Es fährt kein Zug nach Nirgendwo
Pendlerinnen und Pendler, die wegen des Streiks nicht mehr zuverlässig zur Arbeit kommen, Fahrgäste, die an Bahnhöfen stranden - diese Geschichten kennt Matthias Lieb. Er ist der baden-württembergische Vorsitzende vom Verkehrsclub Deutschland. In seinem Postfach mehren sich die Mails von SWEG-Kunden, die berichten, dass sie sich auf die Zugverbindungen nicht mehr verlassen können. Und die sich hilfesuchend an ihn wenden. "Ich bekomme Mails, in denen heißt es 'Ich bin Lehrer, ich muss für meine Schüler da sein, komme aber nicht in die Schule, was soll ich tun?' - Aus Fahrgastsicht ist das sehr unbefriedigend."
Einen Streikfahrplan gebe es nicht, für die Fahrgäste sei es schwierig, funktionierende Verbindungen zu finden. "Das grundsätzliche Problem ist, dass wir eine Daseinsvorsorge haben. Morgens müssen auch Krankenschwester, Ärzte und sonstige irgendwie zur Arbeit kommen können." Einige würden bereits nachdenken, ihre Monatskarte zurückzugeben und auf das Auto umzusteigen, so Lieb.
Nach angekündigten Streiks nun die unangekündigten
Bei den ersten Streiks der GDL bei der SWEG habe man frühzeitig die Öffentlichkeit informiert, erklärt Danny Grosshans, zweiter stellvertretender Vorsitzender der GDL Südwest, dem SWR. "Da hat sich beim Arbeitgeber SWEG leider nichts bewegt. Jetzt haben wir unsere Streiktaktik geändert", so Grosshans im Dezember gegenüber dem SWR.
Das Ergebnis: Die Streiks werden erst wenige Minuten oder Stunden vor Beginn angekündigt. Wie lange sie gehen, wird nicht mehr genannt. Meistens gehen sie nur einen Tag. Die Auswirkungen und vor allem die Nachwirkungen bekommt vor allem die SWEG selbst zu spüren. "Die Streiks beginnen, die Züge werden an Bahnhöfen stehen gelassen, damit stehen die Fahrzeuge erst mal im ganzen Netz verteilt", erklärt der SWEG-Vorsitzende Tobias Harms dem SWR.
Wenn nach wenigen Stunden die Streiks wieder aufgehoben werden, "ist es in der wenigen Zeit nicht möglich, die Fahrzeuge wieder dahin zu bringen, wo sie für den Fahrplan gebraucht werden." Bis alles wieder sortiert sei, käme dann der nächste Streikaufruf. "Intervallstreik" nennt der SWEG-Vorsitzende diese Taktik, mit der die GDL mit wenig Aufwand eine maximale Wirkung erzeugen würde.
Streik-Ziel: Einheitlicher GDL-Tarifvertrag in der gesamten SWEG
Das Ziel der GDL ist ein einheitlicher GDL-Tarifvertrag für Lokführerinnen und Lokführer in der gesamten SWEG, nicht nur im Tochterkonzern SBS. "Wir haben Mitglieder bei der SWEG, und die Mitglieder haben ein Recht, einen GDL-Tarif zu bekommen", führt Grosshans aus. Der GDL-Tarif sei in puncto Arbeitszeitregelungen, Endgeltregelungen und Dienstplangestaltung verbindlicher und besser für die Lokführerinnen und Lokführer als die geltenden Tarifverträge von ver.di. Eine Bewertung, die der SWEG-Vorsitzende nicht teilen mag. "An der einen Stelle ist der eine Tarifvertrag besser, an der anderen Stelle ist der andere Tarifvertrag besser. Insgesamt kann man hier nicht von gravierenden Unterschieden sprechen."
Versucht die GDL ihre Machtposition in der SWEG zu stärken?
Beobachter sprechen von einem Machtkampf, den die GDL innerhalb der SWEG führt. Machtkämpfe müsse sich die GDL immer vorwerfen lassen, erklärt Danny Grosshans dem SWR. "Gewerkschaftspolitik ist immer Macht. Egal, um welche Gewerkschaft es sich handelt." Schlussendlich gehe es darum, dass man auch für die Mitglieder im Mutterkonzern SWEG da sein wolle. Wie viele der Lokführerinnen und Lokführer im Mutterkonzern allerdings GDL-Mitglied sind, will die Gewerkschaft nicht sagen. Der SWEG-Vorsitzende Harms spricht von wenig Mitgliedern.
Auf jeden Fall ist sichtbar, dass bei den Streiks vor allem die SWEG Bahn Stuttgart bestreikt wird, wo die GDL stark vertreten ist. Im Mutterkonzern SWEG sei lediglich die Region Freiburg vereinzelt betroffen, so die SWEG. Auch auf der sogenannten Brenzbahn zwischen Aalen, Ulm sowie ziwschen Ulm und Sigmaringen kam es vereinzelt zu ausfällen. Das führe dazu, dass vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter streiken, die von den Forderungen der GDL nicht direkt betroffen seien.
Die SWEG scheint der GDL nicht mehr Raum geben zu wollen, als notwendig. Innerhalb der SBS sei man zu Gesprächen mit der GDL bereit, erklärt der SWEG-Vorsitzende Tobias Herm. Man weigere sich aber, für seine Beschäftigte im Mutterkonzern verschiedene Tarifverträge anzubieten. Die SWEG beruft sich auf die bestehenden Tarifverträge mit ver.di. "Fakt ist auf jeden Fall, die SWEG hat in den letzten Jahren für die GDL keine Rolle gespielt", führt Harms aus. "Fakt ist auch, dass sich mit der Übernahme (gemeint ist die Übernahme von Abellio) die GDL für die SWEG interessiert. Jeder kann seine eigenen Schlüsse daraus ziehen."
Auch ver.di befand sich im September, als die GDL mit ihren Streiks begann, in Tarifverhandlungen mit dem Mutterkonzern der SWEG. Ver.di forderte damals eine Lohnerhöhung und einigte sich später mit der SWEG. Während der Streiks der GDL stellte die stellvertretende Landesbezirksleiterin Hanna Binder damals allerdings klar: "Angesichts der Streikbeteiligung und der Rückmeldungen von unseren Mitgliedern, gehen wir davon aus, dass die Beschäftigten der SWEG nicht in den Tarifkonflikt bei der SBS hineingezogen werden wollen."
Ver.di positionierte sich diesbezüglich gemeinschaftlich mit der anderen großen Eisenbahngewerkschaft neben der GDL, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft - kurz EVG. Die schloss sich der Aussage von ver.di im September an und bekräftigte: "Es darf keine machtpolitischen Spielchen zulasten der SBS und SWEG Beschäftigten geben." Seitdem bewertet ver.di das Vorgehen der GDL nicht mehr und hält sich im Hintergrund.
Die SWEG wird das SBS-Netz wieder abgeben - Hat die GDL sich verzockt?
Eine dauerhafte Auswirkung hatten die Streiks. Denn die SWEG hat inzwischen kein Interesse mehr daran, das geerbte Abellio-Netz zu behalten. Die Übernahme des Netzes und der Mitarbeiter war vorübergehend für zwei Jahre vorgesehen, inzwischen läuft die reguläre Ausschreibung für das gesamte Netz. Ursprünglich wollte die SWEG sich dauerhaft auf das Netz bewerben. Im Oktober hat sie dann bekannt gegeben, dass sie sich an der neuen Ausschreibung des Netzes nicht beteiligt und somit diesen Teil ihres Verkehrsbetriebes Ende 2023 an einen anderen Betreiber wieder abgeben wird. Die Folge des Streiks? Das habe der Aufsichtsrat beschlossen, erklärt Harms. "Und mit Sicherheit spielt da die aktuelle Situation eine gewisse Rolle."
Matthias Lieb vom VCD schätzt die Situation so ein: "Man hat den Eindruck, dass die GDL zu früh vorgeprescht ist. Wenn sie da ein, zwei Jahre noch gewartet hätte, hätte sie leichter was erreichen können. So leiden jetzt vor allem die Fahrgäste unter der Situation." Die GDL hingegen sieht das gelassen. Schließlich sei man so oder so auf Lokführerinnen und Lokführer in der Zukunft angewiesen, erklärt Grosshans. "Und die Mitarbeiter haben sie gerade in der SBS und die können sie auch in die SWEG überführen."
Ende der Streiks schwierig abzusehen
Ob und wann es zu einer Einigung zwischen den beiden Parteien kommt, ist schwer vorhersehbar. Die SWEG hält bisher an ihrer Position fest: Tarifverhandlungen mit der GDL innerhalb der SBS sehr gerne, darüber hinaus nicht. Danny Grosshans von der GDL sagt: "Es geht solange weiter, bis der Arbeitgeber SWEG sich mit der GDL an einen Tisch setzt und anfängt zu verhandeln." Niemand möchte eine Vorhersage äußern, ob die Streiks noch Wochen, Monate oder sogar noch ein Jahr andauern werden, bis die SWEG das Streckennetz der SBS wieder abgibt.