Tatjana Megerle könnte glücklicher nicht sein: Sie ist verheiratet, hat einen gesunden Sohn, ist mit weit über 16.000 Followerinnen und Followern erfolgreich auf Instagram unterwegs und im fünften Monat schwanger. Doch hinter der Fassade der ehemaligen Hochzeitsplanerin sieht es anders aus: Die 36-Jährige aus Weißbach (Hohenlohekreis) hat zwei ihrer Kinder beerdigen müssen. Trotzdem gibt sie nicht auf, macht eine Umschulung zur Trauerrednerin, schreibt auf Instagram ihre Gedanken nieder und macht so tausenden Menschen Mut. Ihr Motto: Lebensfreude und Leichtigkeit – trotz und mit Trauer!
Ein User-Kommentar, der alles veränderte
"Wie um Himmels Willen soll ich an einem fremden Grab stehen [...] und diesen Leuten Halt geben?", fragt sich Tatjana Megerle, nachdem ihr eine Userin schrieb: "Du wärst eine grandiose Trauerrednerin!". Doch keine 24 Stunden später, nachdem sie das Internet kreuz und quer durchforstet hat, steht fest, dass sie umschult: Aus der Hochzeitsplanerin wird eine Freie Rednerin. "Das hat sich plötzlich alles so richtig angefühlt", sagt sie.
Tatjana Megerle: "Das ist die falsche Reihenfolge"
Auf Instagram lässt Tatjana Megerle tausende Menschen an ihrem Schmerz und ihrem Verlust teilhaben. Denn ihre Tochter Leonie starb mit gerade mal 19 Monaten an dem seltenen Gendefekt RCDP (Rhizomele Chondradysplasia), ihre Tochter Merle an derselben Krankheit bereits nach wenigen Wochen im Mutterleib. "Das ist einfach die falsche Reihenfolge, man sollte nie in das Grab seines eigenen Kindes schauen", sagt die 36-Jährige im SWR-Interview.
Am Ende der Schwangerschaft mit Leonie erhalten sie und ihr Mann Florian, die bereits einen gesunden Sohn haben, die Diagnose: RCDP - eine seltene, angeborene Erkrankung. Tatjana und Florian Megerle sind Überträger der Krankheit; die Chance, dass sie sie an ihre Kinder weitergeben, liegt bei 25 Prozent. Das erzählen ihnen später die Ärzte.
Erster Insta-Post direkt von der Couch
Leonies Oberarme sowie die Oberschenkel waren stark verkürzt. Sie hatte starke Schmerzen beim Anziehen oder Hochnehmen, erklärt die 36-Jährige. Auch ihr Brustkorb wuchs zu langsam, so dass die Lunge irgendwann zu wenig Platz hatte, wodurch Leonie oft unter Atemnot litt.
"Sie war vier Monate alt und wir hatten uns komplett zurückgezogen", berichtet Tatjana Megerle. Als im Bekannten- und Verwandtenkreis Spekulationen anfingen, ob das Kind vielleicht schon gestorben sei oder sich Tatjana und Florian getrennt hätten, beschließt sie: "Ich poste ein Bild von Leonie auf Instagram." Das war der Startschuss für den Account "trotzdem_gluecklich".
Instagram-Posts werden zum Tagebuchschreiben
"Leonie ging es 23 Stunden und 55 Minuten am Tag einfach schlecht", erzählt die Mutter. Aber es gab fünf Minuten am Tag, da bewegte sich Leonie, lächelte manchmal sogar. Und auf diese fünf Minuten hat Tatjana Megerle gewartet und sie gepostet. Schnell waren es mehrere hundert Userinnen und User, die ihr auf Instagram folgten, es sollten viele weitere hinzukommen.
Nach 19 Monaten verliert Leonie den Kampf gegen RCDP. Tatjana Megerle fällt in ein tiefes Loch. "Da habe ich einfach weitergeschrieben", sagt sie. Doch von da an war sie keine pflegende Mutter mehr, sondern eine trauernde Mutter, so die Weißbacherin weiter und ihr Instagram-Account wurde - fast schon unbeabsichtigt - zur Trauerbegleitung.
Trauerrednerin? Nein. Schwarz tragen? Nur wenn gewünscht.
Doch Tatjana Megerle macht es anders: Die ehemalige Hochzeitsplanerin, die einst wohl den Traum vieler Mädchen gelebt hat, will nicht über Trauer und den Tod reden oder schreiben, sondern vielmehr über das Leben. Und so versteht sie sich eher als "Lebensrednerin", spricht viele Stunden mit den Hinterbliebenen über das Leben der Verstorbenen und meist entwickelt sich bereits während des Gesprächs ein roter Faden für ihre "Lebensrede".
"Ich möchte den Menschen etwas mitgeben. Nicht nur Worte, sondern auch kleine Erinnerungen", sagt sie und zeigt das Schirmchen einer Pusteblume in einem kleinen Glas - ein "Mitgebsel" für die Trauergäste bei der Beerdigung eines kleinen Jungen.
Sich erinnern - und zwar an das Schöne, da störe auch die Kleidung. Deutschland habe eine der traurigsten Trauerkulturen weltweit, meint die Trauerrednerin. Dies zeige sich auch an der schwarzen Kleidung. Und doch sei da ganz oft auch von den Angehörigen der Wunsch, eben kein Schwarz zu tragen: "So fing das einfach an, dass ich dann passendere Sachen gesucht habe." Und weil es die Lieblingsfarbe eines zwölfjährigen Mädchens war, trägt sie bei dessen Beerdigung einen pinkfarbenen Blazer oder passend zur Pusteblume ein gelbes Kostüm.
Rückschlag im Dezember 2022
Mitten im beruflichen Höhenflug wird Tatjana Megerle wieder schwanger. Ein absolutes Wunschkind, wie sie erzählt, und endlich ein Geschwisterchen für den Sohn. Alles scheint zunächst gut, doch auch die kleine Merle hat RCDP. "Das war wirklich der schlimmste Rückschlag von allen", sagt sie.
Schnell fasst sie den Entschluss, ihren Followerinnen und Followern weiterhin zu helfen und schreibt einfach weiter.
Und auch die "Kinderwunsch mit Gendefekt-Reise" geht weiter. Nach fast eineinhalb Jahren ist die 36-Jährige wieder schwanger. Ein Geschwisterchen für Sohn Jonas ist unterwegs - dieses Mal gesund.
"Der Kinderwunsch stirbt nicht mit dem Kind, das stirbt"
Die Angst sei riesengroß gewesen, berichtet sie: Noch einmal ein Kind gehen lassen? "Andere sagen, das ist total irre, dass man das nochmal probiert hat. Das ist ja auch ein Risiko [...], aber der Kinderwunsch stirbt nicht mit dem Kind, das stirbt, sondern wird nur noch größer", so Megerle.
Ihr Mut wurde belohnt, sagt sie. Mut, den sie weitergeben möchte. Denn "trotzdem_gluecklich" ist nicht nur ihr Insta-Account, sondern ihre Botschaft. "Ja, der Tod gehört zum Leben dazu, aber deswegen hört das Leben für die Angehörigen nicht auf oder ist weniger lebenswert", sagt sie selbstbewusst. Man könne lernen, mit dem Tod umzugehen.