Die Zahl der Hassdelikte gegen Menschen, die ein Amt oder ein Mandat in Baden-Württemberg innehaben, ist im überwiegenden Teil des vergangenen Jahres erstmals nach längerer Zeit wieder zurückgegangen. Nach wie vor werden im Internet Bürgermeisterinnen, Bürgermeister und Abgeordnete bedroht oder beleidigt.
Das Innenministerium verzeichnete im ersten Dreivierteljahr 2022 nach aktuellem Stand insgesamt 220 Fälle, es wurden aber auch drei Gewaltdelikte erfasst. Im gesamten Jahr zuvor waren 502 Taten bekannt geworden, 2020 waren es 387. Abschließende Zahlen für das gesamte Jahr 2022 liegen noch nicht vor. Innenminister Thomas Strobl (CDU) geht aber von einem leicht sinkenden Trend aus.
Schmähungen, Einschüchterung und mangelnder Respekt
Grund für den zwischenzeitlichen Anstieg der Zahlen könnten nach Einschätzung des Ministeriums die Folgen der Corona-Pandemie sowie die Landtags- und Bundestagswahl im Jahr 2021 gewesen sein. Denn meistens geht es um Schmähungen und Einschüchterungsversuche gegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, kommunale Gremienmitglieder und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Auch Ehrenamtliche in den Städten und Gemeinden, beispielsweise bei Feuerwehr und Katastrophenschutz, leiden unter mangelndem Respekt.
"Jeder Vorfall ist ganz klar einer zu viel", sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Rande einer Sondersitzung des Kabinettsausschusses "Entschlossen gegen Hass und Hetze", an der am Dienstag auch der Städte-, der Gemeinde- und der Landkreistag teilnahmen. Die neuen Zahlen zeigten aber, dass das Land auf einem guten Weg sei.
900 Fälle im Jahr 2021 Hasskriminalität: LKA in BW geht von leichtem Anstieg aus
Die Angriffe gegen Einsatzkräfte an Silvester offenbaren, dass es in einem Teil der Gesellschaft eine Verrohung gibt. Auch die Fälle von Hasskriminalität im Internet nehmen zu.
Drittel aller Landräte und Bürgermeister angefeindet
Der Landkreistag verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie, nach der innerhalb von nur sechs Monaten mehr als ein Drittel aller Landrätinnen und Landräte sowie Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Alltag ihrer Amtsausübung angefeindet wurden oder Erfahrungen mit Hass, Hetze und Übergriffen gemacht haben. "Derartige Attacken sind unerträglich und legen die Axt an die Wurzeln unseres demokratischen Gemeinwesens", sagte Alexis von Komorowski, der Hauptgeschäftsführer des Dachverbands der Kreise.
Veränderung statt mehr Kontrolle notwendig
"Die Rathäuser sind das Gesicht der Demokratie vor Ort", sagte auch der Präsident des Gemeindetags, Steffen Jäger. Die Kommunen seien entscheidend für das Gelingen des Staates, sie seien diejenigen, die für die Menschen erreichbar und greifbar seien. Es gebe den dringenden Bedarf zur Veränderung und zur Weiterentwicklung. Deshalb müsse es darum gehen, "diejenigen zu stärken, die Zukunft auf der örtlichen Ebene gemeinwohlorientiert konkret gestalten". Jäger stellte auch infrage, ob es wirklich immer weitere Kontrollinstanzen, Überprüfungspflichten und Beschwerdestellen geben müsse. "Erhöht das wirklich das Vertrauen in die staatlichen Institutionen?", fragte er.
Ralf Broß vom Städtetag rief zur Solidarität mit den kommunalen Amts- und Mandatsträgern auf. "Wer auf diese Weise Menschen angreift, die vor Ort den Staat repräsentieren und für die Gemeinschaft arbeiten, darf keine Toleranz erfahren", sagte er.
Datenbasis soll Bild der Lage zeigen
Seit 2019 gibt es eine Ansprechstelle beim Landeskriminalamt, "die den Betroffenen Tag und Nacht rund um die Uhr unter der Telefonnummer 0711/54013003 zur Verfügung steht“, so Innenminister Strobl. Nach Angaben des Innenministeriums soll es über ein neues softwaregestütztes Instrument möglich sein, Gewaltvorfälle besser zu erfassen und auszuwerten. "Ziel ist es, langfristig auf eine solide Datenbasis zugreifen zu können, um die Entwicklung von Gewalttaten zu verfolgen und weitere Maßnahmen passgenau entwickeln zu können", teilte das Ministerium mit.
Weder in Baden-Württemberg noch bundesweit existiere derzeit ein umfassendes Lagebild zu physischer und psychischer Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Diensts, hieß es dazu vom Verbundprojekt "Lagebildinstrument zu Gewalterfahrungen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst (InGe)".