Der Bodensee - Dreiländereck, Trinkwasserspeicher und vor allem ein Urlaubsidyll. Während auf der Wasseroberfläche Touristenschiffe und Segelboote verkehren, schlummern in bis zu mehreren hundert Metern Tiefe Überreste von Schiffen aus längst vergangenen Zeiten.
Das Landesamt für Denkmalpflege (LAD) in Esslingen geht allein am Baden-Württembergischen Bodenseeufer bislang von 50 gesicherten Wracks aus. Das erklärt Julia Goldhammer, Archäologin beim LAD, auf Nachfrage des SWR. Dazu gibt es weitere 50 Funde, die laut Goldhammer höchstwahrscheinlich Wracks sind, sowie rund 150 weitere Entdeckungen, bei denen es sich um Wracks oder Wrackteile handeln könnte.
Funde aus der Bronzezeit im Bodensee
Die beiden ältesten bekannten Wasserfahrzeuge, die im Bodensee gefunden wurden, sind zwei Einbäume. Der Rumpf eines Einbaums wird aus einem einzigen Baumstamm gefertigt. Ein Exemplar wurde laut LAD vor dem bayerischen Wasserburg gefunden, 3.100 Jahre alt und knapp sieben Meter lang. Der zweite Einbaum lag im Seerhein bei Konstanz und ist sogar zwischen 4.200 und 4.300 Jahre alt.
Die beiden Einbäume stammen aus der Bronzezeit. Schon damals war der Bodensee zentral für den Handel. "Die Wasserstraßen über den Bodensee waren die wichtigsten Handelsrouten, insbesondere in der Zeit, bevor die Römer angefangen haben, Straßen zu bauen", erklärt Anthropologin Carola Berszin bei einer Führung durch die Dauerausstellung zur Schifffahrt im Archäologischen Landesmuseum (ALM) in Konstanz. Es wird davon ausgegangen, dass noch viele weitere ähnliche Boote im Sediment des Bodensees liegen und bisher nur noch nicht gefunden wurden.
Schifffahrt im Mittelalter: die Lädine
Auch im Mittelalter fuhren Schiffe über den See, insbesondere Lastensegler, auch Lädine genannt. 1981 wurde bei Immenstaad ein solcher Lastensegler geborgen und erfolgreich konserviert. Die Lädine stammt aus dem 14. Jahrhundert und wird heute im ALM in Konstanz ausgestellt. Der Fund dieses Wracks ist von großer Bedeutung, erklärt Berszin: "Es gibt nur wenige bis keine schriftlichen Überlieferungen zum Schiffsbau, das Wissen wurde mündlich weitergegeben." Nur anhand von Funden wie der Lädine von Immenstaad und Abbildungen habe man rekonstruieren können, wie im Mittelalter Schiffe gebaut wurden.
Kleinere Lädinen werden Segmer oder Segner genannt. Von ihnen liegen auch heute noch Wracks im Bodensee, oft gut erhalten. Der Taucher und Unterwasserfotograf Harald Utz hat einen Besuch bei einem dieser Wracks aus dem 19. Jahrhundert dokumentiert.
Der Bodensee als Schiffsfriedhof
Heutzutage fahren vor allem private Segel- und Motorboote über den See, ebenso wie die großen Touristenschiffe. Bei dem regen Schiffsverkehr, der seit Jahrhunderten, sogar Jahrtausenden auf dem Bodensee herrscht, kam es nicht selten auch zu Unfällen. "Der Bodensee ist ein großer Friedhof", erklärt Tobias Engelsing. Engelsing ist Direktor der Städtischen Museen Konstanz. 2019 zeigte das Rosgartenmuseum Konstanz eine Sonderausstellung mit dem Titel "Der gefährliche See - Wetterextreme und Unglücksfälle an Bodensee und Alpenrhein". In einem dazu veröffentlichten Buch wird die unberechenbare, gefährliche Seite des Bodensees erzählt.
Mit der Bezeichnung des Bodensees als Friedhof bezieht sich Engelsing unter anderem auf die vielen Wracks, die aus unterschiedlichen Gründen auf den Grund des Bodensees sanken. Dazu gehören auch mehrere große Dampfschiffe, die seit 200 Jahren auf dem Bodensee unterwegs sind. Vor allem im 20. Jahrhundert habe man Schiffe bewusst versenkt, weil das Alteisen nicht mehr gebraucht wurde, erklärt Engelsing. Doch auch Unfälle ließen diese großen Dampfer auf den Grund des Bodensees verschwinden.
Schiffskollision auf dem See: die "Jura"
So zum Beispiel am 12. Februar 1864: Das Dampfschiff "Jura" legt im schweizerischen Bodenseehafen Romanshorn ab. Die Sicht ist aufgrund dichten Nebels schlecht, was dem Schiff zum Verhängnis wird: Kurz vor Bottighofen bei Kreuzlingen wird die "Jura" von einem anderen Schiff, der "Stadt Zürich", am Bug gerammt - und sinkt. Laut Amt für Archäologie Thurgau liegt das Wrack heute etwa einen Kilometer vor Bottighofen. Entdeckt wurde es erst knapp 90 Jahre nach seinem Untergang, im Jahr 1953. Seit 2004 steht es als "Unterwasser-Industriedenkmal" unter Schutz.
Das Teufelsschiff
Die Kollision mit der "Jura" war nicht der einzige Unfall, in den die "Stadt Zürich" verwickelt war. Das lag vermutlich daran, dass sie deutlich schneller war als andere Schiffe. "Sie hat im Laufe ihrer Karriere fünf andere Dampfschiffe entweder gerammt oder sogar versenkt", erklärt Engelsing. So zum Beispiel auch die "Ludwig", eine Vorgängerin der "Jura". 1861 kollidierten die beiden Schiffe bei Rorschach, woraufhin die "Ludwig" innerhalb weniger Minuten versank. Bei diesem Unfall kamen 13 Menschen ums Leben. Das brachte der "Stadt Zürich" auch den Beinamen "Teufelsschiff" ein.
Wie wurden Schiffsunglücke rechtlich aufgearbeitet?
Bei der Aufarbeitung von Unfällen auf dem See gab es zur damaligen Zeit noch einige Herausforderungen, wie Tobias Engelsing weiß. "Zum einen ist es technisch sehr schwierig gewesen", erklärt er. "Denn wenn ein Schiff gesunken ist, dann war es weg. Dann konnte man keinen Tathergang rekonstruieren." Zum anderen habe es im Strafrecht damals noch nicht die Möglichkeit der fahrlässigen Tötung gegeben. Deshalb seien Verfahren nach solchen Unglücken oft eingestellt worden.
Schweizer Verein wollte Bergung wagen
Viele der Bodenseewracks werden vermutlich noch lange im Bodensee bleiben. Für eines von ihnen gab es jedoch andere Pläne: Knapp 50 Meter lang und elf Meter breit liegt ein weiteres Dampfschiff in den Tiefen des Bodensees - die "Säntis".
Vor über 130 Jahren wurde sie in Betrieb genommen und war über 40 Jahre auf dem See unterwegs. Als die "Säntis" dann nicht mehr fahrtauglich war, beschloss die Schweizerische Bodensee Schifffahrt (SBS) im Jahr 1933, das Schiff zu versenken - um Kosten zu sparen. Seitdem liegt es in mehr als 200 Metern Tiefe im Bodensee, etwa fünf Kilometer vor dem Romanshorner Ufer.
Für einen Franken gekauft
Wiederentdeckt wurde die "Säntis" laut der SBS im Jahr 2013 bei Vermessungsarbeiten im Bodensee. 2023 gründete sich der Schiffsbergeverein Romanshorn und kaufte der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt das Wrack der Säntis für einen symbolischen Franken ab.
Eigentlich sollte sie in einer aufwändigen Bergungsmission vom Schiffsbergeverein Romanshorn aus dem See gehoben, in einer Werft in Romanshorn konserviert und anschließend ausgestellt werden. Dafür wurden mit einer Crowdfunding-Kampagne mehr als 260.000 Franken gesammelt. Aktuell steht das Projekt allerdings vor dem Aus.
Projekt gescheitert?
Der erste Versuch, das Wrack aus dem See zu heben war Mitte April wegen technischer Probleme bei den Vorbereitungen gescheitert, ebenso der zweite Anlauf Ende Mai. Mit einer Bergeplattform sollte das Wrack gehoben werden. Beim Ablassen der tonnenschweren Plattform in 210 Meter Tiefe zum Wrack der Säntis hatte sich die Bremse einer großen Seilspule gelöst, weshalb die Plattform unkontrolliert in die Tiefe sank und neben aber auch auf dem Wrack landete.
Die Folgen für die Zukunft des Projekts sind verheerend. "Ein Großteil der Bergeplattform mit Hebesäcken und Tanks ist kaputt, viele Leinen sind im Wrack verheddert", so Bergungsleiter Silvan T. Paganini. "Wir sind gescheitert", sagte er. Und später: "Das ist das Ende des Projekts." Jetzt gehe es darum, das Bergematerial wieder aus dem See zu entfernen.
Zweiter Versuch, das Schiff vom Grund zu holen, gescheitert "Säntis"-Bergung im Bodensee ist vorerst beendet
Die Bergung des Dampfschiffs "Säntis" aus dem Bodensee ist gescheitert. Es gab technische Probleme, die Bergeplattform sank in die Tiefe. Das ist nun vorerst das Ende des Projekts.
Forschungsprojekt "Wracks und Tiefsee" zum Schutz der Überreste
Die "Säntis" und die "Jura" zählen zu den bekanntesten Schiffswracks im Bodensee, doch sie sind bei weitem nicht die einzigen. Die Überreste von Booten und Schiffen geben Aufschluss über das Leben am See in unterschiedlichen Epochen. Am Landesamt für Denkmalpflege läuft deshalb das Forschungsprojekt "Wracks und Tiefsee" zur Katalogisierung der Wracks am Grund des Bodensees.
Neben Schiffen werden dabei auch die Überreste von Flugzeugen ins Visier genommen. Aktuell sammeln die Forscherinnen und Forscher rund um Archäologin Julia Goldhammer (LAD) noch immer Daten. Das Projekt soll dabei helfen, ein umfassenderes Bild zu bekommen und die Gefährdung bestimmter Funde einzuschätzen, so Goldhammer: "Wir können nur schützen, was wir kennen."
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt "Wracks und Tiefsee" gibt es im SWR2 Science Talk mit Julia Goldhammer: