Die Krankenhäuser in Baden-Württemberg stehen unter enormem finanziellen Druck. Drei Viertel aller Klinik-Leitungen rechnen mit roten Zahlen für das aktuelle und das kommende Jahr. Das hat eine Umfrage der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) ergeben, die heute in Stuttgart vorgestellt wurde.
BW-Krankenhausgesellschaft schlägt Alarm
Hohe Energiekosten und dadurch gestiegene Preise für Essen, medizinische Mittel und Personal: Diese Entwicklung habe dazu geführt, dass 80 Prozent aller Kliniken im Land ihre wirtschaftliche Lage als schlecht bezeichnen, so das Ergebnis der Umfrage unter 120 Klinik-Leitungen. In zwei Drittel der Krankenhäuser seien Wartelisten für planbare Eingriffe noch länger als vor der Pandemie.
Nicht nur Patientinnen und Patienten mit Hüft- oder Knieproblemen, sondern mittlerweile auch Krebskranke müssen mit OP-Verschiebungen rechnen. "Das ist mit viel Leid für die Patienten verbunden", sagte BWKG-Chef Heiner Scheffold. Dies sei Folge des Fachkräftemangels, der dazu führe, dass 10 bis 15 Prozent der Betten im Land nicht genutzt werden können. Das entspreche 5.000 bis 8.000 Betten.
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Krankenhäuser befürchten schlechtere Patientenversorgung
Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft sieht darin die schlechtesten Ergebnisse seit Umfragebeginn vor 14 Jahren und befürchtet eine deutliche Verschlechterung der Patientenversorgung. Der Bund unterstütze die Krankenhäuser zwar mit unterschiedlichen Schutzschirmen. Ab 2023 sei jedoch mit den Corona-Hilfen Schluss. Die Hilfszahlungen für gestiegene Energie- und Inflationskosten seien nicht richtig verteilt.
Viele offene Pflegestellen können nicht besetzt werden
Ein weiteres Problem: der Personalmangel. Mehr als 90 Prozent der offenen Pflegestellen könnten nur schwer besetzt werden. Wegen zu viel Bürokratie bleibe weniger Zeit für die Pflege am Bett. Die viel zu detaillierte Datenerfassung, die 30 bis 40 Prozent der Arbeitszeit binde, müsse ein Ende haben, forderte Scheffold. Mehr Unterstützung müsse auch vom Land kommen, das eigentlich die Investitionskosten der Kliniken von 800 Millionen Euro tragen müsse. Finanziert würden derzeit nur 500 Millionen Euro, hieß es.
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Die Hilfe des Bundes in Höhe von bundesweit sechs Milliarden Euro wird nach Scheffolds Einschätzung nicht zur Entspannung beitragen. Denn davon seien viereinhalb Milliarden Euro zum Ausgleich für die steigenden Energiepreise und eineinhalb Milliarden Euro für erhöhte Kosten für Lebensmittel, Dienstleistungen und medizinischen Produkten vorgesehen. In der Praxis stelle sich aber der Schwerpunkt des Bedarfs umgekehrt dar. "Die Inflationsrisiken abseits der Energiekosten drohen zum großen Teil bei den Krankenhäusern hängen zu bleiben", sagte Scheffold, der auch Landrat des Alb-Donau-Kreises ist.
SPD und FDP: Krankenhäuser zukunftsfest aufstellen
Scheffold forderte, dass die Regierungskommission zur grundlegenden Reform der Krankenhauslandschaft die Bundesländer, Krankenhäuser und Krankenkassen in ihre Arbeit einbeziehe. Die Krankenhausversorgung dürfe nicht von Berlin aus zentral gesteuert werden.
SPD und FDP im Landtag forderten Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) auf, die Krankenhäuser im Land zukunftsfest aufzustellen. Dazu müsse er klarzustellen, wie viele Betten und Behandlungsplätze auf welchem Niveau im Land und den Regionen gebraucht würden.
Zugleich kündigte Lucha an, für die bereits vom Land geförderten Bauprojekte weitere 108 Millionen Euro bereitzustellen. Grund sind die gestiegenen Baupreise. Die Finanzspritze solle sicherstellen, dass begonnene und bewilligte Baumaßnahmen - unter anderem bei der Universitätsmedizin Mannheim, beim Klinikum Esslingen und bei den Medius-Kliniken in Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen) - auch wirklich fertiggestellt werden.
Besonders betroffen sind auch Kinderkliniken
Auch der Marburger Bund beobachtet Versorgungsengpässe und hat die Landesregierung in einem offenen Brief aufgefordert zu handeln. Insbesondere an Kinderkliniken würden Ärztinnen und Ärzte ihrer Verantwortung nicht mehr gerecht. Das baden-württembergische Sozialministerium will deshalb noch vor Weihnachten einen Krisengipfel abhalten. Er soll voraussichtlich an diesem Donnerstag stattfinden.
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