BW: Kritik an Reformplänen

Revolution oder Mogelpackung? Die geplante Klinikreform spaltet

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik
Onlinefassung
Patrick Seibert
Bild von SWR Aktuell-Redakteur Patrick Seibert

Viele Krankenhäuser in BW schreiben rote Zahlen. Nun steht die große Klinikreform an. Was das für die Versorgung vor Ort bedeutet und warum es Gegner der Reform gibt.

Viele Krankenhäuser in Baden-Württemberg sind von der Insolvenz bedroht. Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Klinikreform soll die Kliniklandschaft in ganz Deutschland reformieren und Abhilfe schaffen - es gibt aber auch Kritik. Wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf das fortgesetzte Kliniksterben angesprochen wird, sagt er gern, dass die Menschen auf dem Land mit den Füßen abstimmten. Soll heißen: Zwar seien die meisten gegen die Schließung des örtlichen Krankenhauses, aber wenn es ernst wird, ließen sie sich in größeren Kliniken in der Stadt behandeln.

"Krankenhäuser zu erhalten, in denen sich Menschen nicht operieren lassen, macht keinen Sinn", heißt das Mantra des Grünen-Politikers. Das bedeutet politisch übersetzt: Die Konzentration und Spezialisierung der Kliniken muss weitergehen. Sein Mann für diese Aufgabe ist Manfred Lucha (Grüne) - seit 2016 Gesundheits- und Sozialminister im Kabinett Kretschmann.

Baden-Württemberg hat niedrigste Dichte an Klinikbetten

Doch nicht erst seit Kretschmann versucht die Politik in Baden-Württemberg, Überkapazitäten in den Kliniken abzubauen, auch vorherige CDU-geführte Regierungen gingen diesen Weg. Mit Erfolg, wie die offiziellen Zahlen des Gesundheitsministeriums in Stuttgart zeigen: Im Jahr 2000 gab es noch knapp 300 Krankenhäuser mit über 65.000 Betten.

Anfang vergangenen Jahres waren noch gut 200 Kliniken mit knapp 57.600 Betten übrig. Die Betten-Dichte ist damit hierzulande im Bundesvergleich am niedrigsten. Laut Krankenhausgesellschaft kamen in Baden-Württemberg zuletzt 488 Klinik-Betten auf 100.000 Menschen, während der bundesweite Schnitt bei 581 lag.

Das lokale Krankenhaus: Ein Standort- und Wohlfühlfaktor

Das sind die nackten Zahlen. Vor Ort müssen oft harte Entscheidungen getroffen werden. Das weiß auch Kretschmann, der mal zu den Schließungen sagte: "Da beneide ich wirklich keinen Landrat darum." Denn eine Klinik ist auch ein Standortfaktor wie eine Schule. Mit ihr verbinden sich viele Emotionen und ein Gefühl der Sicherheit. Außerdem sollte eine gewisse flächendeckende Versorgung erhalten bleiben.

Doch diese ist in Gefahr: Denn viele Krankenhäuser leiden seit Jahren unter roten Zahlen, Personalmangel und Bürokratie. Das bedeutet nicht selten: Statt guter medizinischer Betreuung und Pflege erwarten Patientinnen und Patienten Stress und Hektik auf den Stationen.

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Warnung vor "kaltem und ungeregeltem Strukturwandel"

Krankenhausgesellschaft und Kreise warnen daher auch, in dem Tempo und unter diesen finanziellen Bedingungen weiterzumachen. Es drohe "ein kalter und ungeregelter Strukturwandel", bei dem die wohnortnahe Versorgung unter die Räder gerate. Es könnten also Krankenhäuser schließen, die eigentlich dringend gebraucht werden.

Corona und die Wirtschaftskrise haben vielen Kliniken stark zugesetzt. Im Jahr 2021 waren in Baden-Württemberg 29 Prozent aller Krankenhäuser akut von einer Insolvenz bedroht. Das geht aus einem Report des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung hervor. Baden-Württemberg schneidet in dem bundesweiten Rating am schlechtesten ab. Der Bund, der neben den Kassen die Kosten für die Unterhaltung trägt, müsse allein den Kliniken in Baden-Württemberg 500 Millionen Euro mehr überweisen.

Klinikreform: Lauterbach schwärmt von "Revolution"

Doch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will von neuen Finanzspritzen nichts wissen. Er will stattdessen mit den Ländern eine Krankenhausreform auf den Weg bringen und spricht von einer "Revolution". Kritiker sagen allerdings, dass die Kliniken weiter auf Wirtschaftlichkeit getrimmt werden, dass das Kliniksterben auf dem Land durch die Reform nicht aufgehalten werden wird.

Die Reformpläne sehen vor, das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle zu ändern, um Krankenhäuser von finanziellem Druck zu immer mehr Fällen zu lösen und die stationäre Versorgung zu verbessern. Die Kliniken sollen einen großen Anteil der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen.

Derzeit arbeitet eine Bund-Länder-Gruppe an einem Gesetzentwurf. Der sollte eigentlich nach der Sommerpause fertig sein, das Gesetz sollte zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Doch das Vorhaben verzögert sich. Lucha, der derzeit auch Chef der Konferenz der Gesundheitsminister ist, rechnet damit, dass das Gesetz in den ersten drei Monaten des nächsten Jahres verabschiedet wird. Erst dann könnten für jeden Standort die geplanten Leistungsgruppen ausgewiesen werden, so Lucha. Mit der Reform sollen alle Leistungen in 65 Gruppen einsortiert werden, so dass Krankenhäuser nur die Leistungen erbringen können, für die sie auch eine entsprechende Ausstattung vorhalten.

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Alleingang des Bundes mit Transparenzgesetz

Transparent machen will der Bund die Verteilung der Leistungsgruppen auf die Häuser und eine Einteilung in Versorgungsstufen - sogenannte Level. Über eine stärker steuernde Funktion der Level gab es schon zuvor keine Einigkeit mit den Ländern, die die Planungshoheit für die Kliniken selbst in der Hand behalten wollen. Lauterbach will mit sogenannten Levels Einordnungen des Kliniknetzes in Stufen erreichen - von der wohnortnahen Grundversorgung über eine zweite Stufe mit weiteren Angeboten bis zu Maximalversorgern wie Universitätskliniken.

Die Krankenhausgesellschaft sieht in dem Transparenzgesetz ein "trojanisches Pferd" der Klinikreform. Der Bund entscheide darüber, ob die Bürgerinnen und Bürger ein Krankenhaus als Basisversorger (Level 1) oder als komplexen Leistungserbringer (Level 3) wahrnehmen. Das bewirke eine "Zentralisierung durch die Hintertür".

Lucha trifft Kritikerinnen und Kritiker in SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg"

Lucha gilt als treibende Kraft hinter der Klinikreform, pocht aber auf die Planungshoheit der Länder. Der Minister sagt, dass Baden-Württemberg beim Gesundschrumpfen der Krankenhauslandschaft schon weit gekommen sei - im Gegensatz zu anderen Ländern. Der Minister setzt darauf, dass Krankenhäuser vor Ort zum Teil durch kleinere medizinische Versorgungszentren ersetzt werden können, in denen Ärzte aus unterschiedlichen Disziplinen arbeiten. Im SWR Fernsehen bei "Zur Sache Baden-Württemberg" traf der Grünen-Politiker am Donnerstagabend auf Kritikerinnen und Kritiker seines Kurses.

Mit dabei waren Silvia Ottmüller, sie ist die Landesvorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und hält die geplante Reform für eine "Mogelpackung", mit der vor allem gespart werden solle. Giovanni Maio, Medizinethiker von der Universität Freiburg, ist der Meinung, die Politik dürfe die Kliniken nicht dem Markt überlassen, auf dem die Großen die Gewinner seien. Die Pflegerin Christina Zacharias aus Karlsruhe war ebenfalls im Studio. Sie moniert, dass bei der Reform Pflegekräfte übergangen würden.

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