In Baden-Württemberg und Bayern ist am Mittwoch die Pflicht aufgehoben worden, bei einer Corona-Infektion in jedem Fall fünf Tage zu Hause zu bleiben. Nur wer Symptome hat, muss sich weiter isolieren. Ohne Symptome dürfen sich Infizierte mit Maske in der Öffentlichkeit bewegen, einkaufen oder arbeiten gehen. Nur in medizinische oder Pflege-Einrichtungen, in Massenunterkünfte oder Gefängnisse dürfen sie nicht, egal ob zur Arbeit oder zum Besuch. Schleswig-Holstein plant, voraussichtlich ab Donnerstag, denselben Schritt, Hessen hat sich den Zeitpunkt noch offen gehalten.
Dieser Sonderweg, mit dem die vier Bundesländer aus den bundesweiten Regeln ausscheren, sorgt für viel Kritik und Unsicherheit. Vor allem die Gesundheitsminister von Bund und anderen Ländern finden das Vorpreschen fraglich. Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) kritisiert, dass in der Unsicherheit der Pandemie doch Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen sollte. Deshalb will sein Land erst Ende Dezember entscheiden, weile Corona-Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden sollen.
Coronavirus: Lucha sieht Land im Übergang von Pandemie zu Endemie
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) widerspricht dem im SWR. Zum einen sei das Vorgehen auf die Expertise von vielen Fachleuten gestützt, zum anderen befinde sich das Land aktuell im Übergang von der Pandemie zur Endemie. Zu Beginn der Pandemie, als man noch wenig wusste und keinen Impfstoff hatte, waren harte Einschränkungen ihm zufolge gerechtfertigt. Jetzt, mit viel Wissen, gehe es nur noch um angemessene Maßnahmen. Und da die meisten Menschen mittlerweile keine Symptome mehr hätten, wenn sie infiziert sind, müssten sie auch nicht mehr daheim bleiben. Dann ersetze die Maske fünf Tage lang die Isolation.
Im SWR sagte Lucha wörtlich: "Es kann nach zweieinhalb Jahren Pandemie nicht sein, dass der Eindruck entsteht, für Infektionskrankheiten ist der Staat zuständig. Zuständig sind alle als verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger." Deshalb sieht er jeden einzelnen in der Pflicht, schließlich wisse man mittlerweile, dass man sich impfen lassen könne, dass man Masken tragen könne und wie man sich sonst bei einer Infektion verhalten solle.
Die Botschaft der neuen Corona-Verordnung bezeichnet er als eindeutig: Wer krank ist und Symptome hat, bleibt daheim, wer das Virus ohne weitere Anzeichen in sich trägt, kann sich normal in der Öffentlichkeit bewegen, allerdings fünf Tage lang nur mit Maske. Lucha sieht das als Appell an die Eigenverantwortung.
Ende der vergangenen Woche hatte Lucha dem SWR seine Gedanken rund um das Ende der Isolationspflicht im Land so geschildert:
Mit Corona zur Arbeit: Was gilt für Pendler zwischen den Bundesländern?
Eine eindeutige Regelung nennt Lucha das, was jetzt gilt. Aber die, die in Baden-Württemberg wohnen und in einem anderen Bundesland arbeiten, sind verunsichert. Für Rheinland-Pfalz beispielsweise gilt: Wer infiziert ist, lässt sich krankschreiben und bleibt fünf Tage daheim, Symptome hin oder her. Das betonte Gesundheitsminister Hoch im SWR. Wer zum Arbeiten nach Bayern pendelt, darf trotz positivem Corona-Test zur Arbeit, wenn er sich gut fühlt, muss aber Maske tragen.
Auch Schülerinnen und Schüler dürfen nach der neuen Corona-Verordnung in die Schule, wenn sie zwar positiv sind, sich aber nicht krank fühlen. Sie müssen dann nur dauerhaft eine Maske tragen. Das sieht der Philologenverband Baden-Württemberg mit Sorge. Er besteht auf dem "einfachen Grundsatz: Wer krank ist, gehört nicht in die Schule." Die Landesregierung nehme in Kauf, dass es trotz allen Lüftens dann Ansteckungen geben werde. Schon die Ausfallraten von zehn Prozent vor den Herbstferien sprächen Bände, heißt es in einer Pressemitteilung. Und die noch einmal ansteckendere Variante BQ.1.1. sei gerade mal im Land angekommen und breite sich jetzt erst richtig aus.
Bundeseinheitliche Lösung gefordert
Die Vize-Präsidentin der Bundesärztekammer, Ellen Lundershausen, sagte der Deutschen Presseagentur, es sei für Bürger unverständlich, wenn etwas in einem direkten Nachbarland anders geregelt sei als im eigenen. Sie forderte eine bundeseinheitliche Lösung, ebenso wie der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Hoch. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte vor einem erneuten "Flickenteppich" gewarnt. Allerdings ist Lundershausen dem baden-württembergisch - bayrischen Weg nicht gänzlich abgeneigt, wenn er "zu einer bundeseinheitlichen Lösung" würde.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) beklagt ebenfalls ein unausgewogenes Bild: Die Intensivmedizin sehe keine Grundlage mehr für eine Pflicht, sich zu isolieren, aber die Hausärzte bestünden darauf, dass das sinnvoll sei. Die Lehrer-Gewerkschaft GEW dagegen findet, man brauche keine Isolationspflicht mehr, wenn sich alle an den Leitsatz hielten, dass, wer sich krank fühle, zu Hause bleibt.
Reaktionen von widersprüchlich über unzumutbar bis fragwürdig
Während der Baden-Württembergische Handwerkstag eine starre Fixierung auf eine bestimmte Anzahl von Tagen in der Absonderung als unzeitgemäß ablehnt und sich freut, dass den Menschen wieder zugetraut werde, selbst verantwortungsvolle Lösungen zu finden, kritisiert der Verband Unternehmer Baden-Württemberg die neue Corona-Verordnung als unzumutbar. Ein Arbeitgeber könne nur reagieren und auf dem Tragen einer Maske bestehen, wenn ihm der Mitarbeitende von seiner Corona-Infektion erzähle. Danach fragen dürfe er aber nicht. Deshalb stuft der Verband die Praxistauglichkeit als eher fragwürdig ein.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert die neue Regelung als "widersprüchlich" und "chaotisch". Von einem Schutz der vulnerablen Gruppen könne keine Rede sein. Und auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert ein klares Entweder - Oder: Entweder sei die Pandemie beendet, dann müssten alle Maßnahmen fallen, oder es könne noch keine Entwarnung gegeben werden, dann dürften die Maßnahmen aber auch nicht aufgeweicht werden.
BW-Gesundheitsminister verteidigt Vorgehen bei Covid-Isolationspflicht
Dem entgegnet Lucha, es sei sehr wohl ein klarer Schritt, den Baden-Württemberg jetzt gehe, abgestimmt mit Virologen, Epidemiologen und anderen Experten. Und die Erfahrungen aus anderen Ländern, beispielsweise aus der Schweiz oder Österreich, zeigten, dass die Zahlen auch bei den vulnerablen Gruppen deswegen keineswegs in die Höhe gegangen seien.
Auch Bundesgesundheitsminister Lauterbach hält den Weg von Baden-Württemberg, Bayern und den beiden anderen Ländern für falsch. Es gebe derzeit keinen medizinischen Grund, die Isolationspflicht zu kippen, bei etwa tausend Todesfällen pro Woche und einer wahrscheinlich schweren Winterwelle, die am Vorabend einer ansteckenderen Variante komme, schrieb er bei Twitter und nannte die BQ.1.1-Variante des Omikron-Typs, die sich stärker ausbreite. Lucha hält das für übertrieben: Lauterbach befände sich die ganze Zeit im "Dauer-Alarmismus". Aber die düsteren Vorhersagen des Bundesgesundheitsministers seien in den letzten Wochen und Monaten nicht eingetreten.