Rund 63 Prozent der Abschiebungen in Baden-Württemberg sind im vergangenen Jahr gescheitert. Nach dem tödlichen Anschlag mit drei Toten in Solingen (NRW) wird nun wieder über schnellere Abschiebungen diskutiert.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) haben am Montag schärfere Gesetze angekündigt. Faeser sagte, zunächst werde der Vorfall ausgewertet und dann entschieden, welche Maßnahmen man auflege. Es gibt unterschiedliche Ursachen, warum schnelle Rückführungen häufig scheitern.
Dublin-Abkommen: Andere EU-Länder für Abschiebung zuständig
Im Fall des mutmaßlichen Täters von Solingen hätte bei der Abschiebung das Dublin-Abkommen gegriffen. Laut Berichten soll er 2022 über Bulgarien in die Europäische Union eingereist sein und in Bielefeld einen Asylantrag gestellt haben.
Weil der mutmaßliche Messerangreifer aber über Bulgarien einreiste, hätten die deutschen Behörden beantragt, dass das südeuropäische Land ihn zurücknimmt. Das Land hat auch zugestimmt. Offenbar sollte er schon im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Deutschland hätte ihn damit nur in das andere EU-Land abschieben können und nicht direkt ins Herkunftsland.
Betroffene müssen BW erst nach "freiwilliger Ausreisefrist" verlassen
Grundsätzlich sieht das Asylrecht in Deutschland folgende Regel vor: Wird ein Asylantrag abgelehnt, haben die Betroffenen bis zu 30 Tage Zeit, freiwillig auszureisen. Erst dann können die Behörden die Betroffenen zur Ausreise zwingen - also abschieben.
An dem Begriff der "freiwilligen Ausreise" gibt es aber Kritik: Er sei irreführend, sagte beispielsweise die Co-Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, Anja Bartel, im Juni. "Der Begriff ist ein Paradebeispiel dafür, wie strategisch Sprache häufig im Kontext der Migrationspolitik eingesetzt wird."
Abschiebungen aus BW: Probleme in der Praxis
In der Praxis tun sich die Behörden jedoch mit den Abschiebungen aus Baden-Württemberg schwer. Oft scheitern sie daran, dass die Polizei die Betroffenen am gemeldeten Wohnort zum geplanten Zeitpunkt nicht antrifft. Ein anderer Grund kann sein, dass die Betroffenen keine Papiere haben, es also schwer ist, die Identität festzustellen und damit auch unklar ist, woher die Personen kommen.
Laut Bundespolizei fehlen zudem auch Abschiebehaftplätze. In über 300 Fällen habe man im vergangenen Jahr einen Haftbefehl erwirkt, um die Abschiebung zu sichern. Jedoch seien laut Bundespolizeipräsident alle Abschiebeplätze belegt gewesen.
Abschiebungen scheitern wegen fehlender Kooperationen
Auch Abschiebungen von Gefährdern und Schwerstkriminellen können schwierig sein. So gelten laut dem baden-württembergischen Justizministerium rund 50 afghanische und syrische Staatsangehörige zurzeit als "gefährliche Ausländer", die dringend abgeschoben werden müssten. Wie die Abschiebeflüge konkret umgesetzt werden sollen, ist noch nicht klar. Der Grund: Hierfür wäre eine Kooperation mit den Taliban in Afghanistan oder dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad nötig.
Bereits nach den Messerangriffen auf den Polizisten Rouven Laur in Mannheim im Mai und in Stuttgart im Juli gab es ähnliche Debatten. Immer wieder kommen dabei ähnliche Fragen auf - die wichtigsten Antworten dazu gibt es hier nachzulesen:
Nach Messerangriff in Stuttgart Fragen und Antworten: Darum ist eine Abschiebung trotz Strafakte schwierig
Nach dem Messerangriff in Stuttgart vor einer Woche ist klar: Der syrische Tatverdächtige hat schon ein langes Strafregister. Eine Abschiebung ist trotzdem ein Problem.
Abhängigkeit vom Auswärtigen Amt als Hindernis
Um Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien möglich zu machen, müssten über das Auswärtige Amt entsprechende Beziehungen aufgebaut werden. Das sieht jedoch keine Möglichkeit mit einem "islamistischen Terrorregime" zusammenzuarbeiten, zu dem Deutschland keine Beziehungen habe. Zudem sei schon länger die Begleitung der Bundespolizei eingestellt, da die Beamtinnen und Beamten unter diesen Bedingungen bei Abschiebungen nach Afghanistan nicht sicher seien.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) forderte am Montag im SWR erneut Abschiebungen in Länder wie Syrien und Afghanistan:
Abschiebungen aus BW: Was macht die Politik?
Die letzte große Gesetzesänderung bei Abschiebungen gab es Anfang des Jahres. Der Bundestag hat im Februar das Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen. Die Polizei hat damit unter anderem mehr Möglichkeiten für Durchsuchungen bekommen. So soll sie zum Beispiel besser an Dokumente und Daten zur Identität des Betroffenen kommen, um den Heimatstaat festzustellen. Abschiebungen sollen auch nicht mehr angekündigt werden müssen, sofern nicht Familien mit Kindern unter zwölf Jahren betroffen sind.
Baden-Württemberg hat seine Verwaltungsgerichte kürzlich bei Asylverfahren gestärkt: Asylklagen im Land werden seit Anfang Juli von speziellen Kammern an den vier Verwaltungsgerichten verhandelt, um die Dauer der Verfahren künftig zu verkürzen.