In vielen Kliniken in Baden-Württemberg gibt es deutlich mehr Patientinnen und Patienten mit einem positiven Corona-Test, als noch vor wenigen Tagen. Auch die Hospitalisierungsinzidenz ist so hoch wie nie zuvor. Ein Überblick:
- Zahl der Intensivpatienten steigt rasant
- Zu wenig Ältere hatten Auffrischungsimpfung
- Krankenhäuser befürchten Ausfälle
- Experten geben trotzdem Entwarnung
Zahl der Intensivpatienten steigt rasant
Laut aktuellen Daten des Landesgesundheitsamts werden momentan auf den Intensivstationen in Baden-Württemberg 173 Personen mit Covid-19 behandelt. Das sind 68 mehr als am Dienstag vergangener Woche. Das liegt laut Experten vermutlich an der Hospitalisierung von Menschen, die älter als 60 sind. Schon zu Beginn der Herbstwelle seien die Zahlen so stark gestiegen, dass sie den Höhepunkt der Sommerwelle überschritten haben. Das bedeutet auch einen Anstieg bei den Intensivpatientinnen und -patienten.
Sieben-Tage-Inzidenz gestiegen
Auch die Sieben-Tage-Inzidenz im Land ist gestiegen. Der Wert beträgt nun 783,7. Vor einer Woche lag er noch bei 351,2. 34 weitere Menschen sind am Dienstag im Zusammengang mit Corona verstorben. Die Zahlen haben aber nur wenig Aussagekraft, da sich deutlich weniger Menschen auf das Virus testen lassen. Außerdem sind die Menschen durch eine Impfung besser vor einem schweren Verlauf geschützt - positive Fälle sagen somit weniger aus.
Ob und inwieweit die Sieben-Tage-Inzidenz das aktuelle Infektionsgeschehen noch richtig abbildet, ist allerdings umstritten. Ärztinnen und Ärzte gehen von bis zu dreimal höheren Coronazahlen aus, als in der Statistik erfasst sind. Man müsse aktuell von einer Untererfassung ausgehen, da nur die durch PCR-Tests bestätigten Fälle in der Inzidenz auftauchen, so der Infektiologe Hajo Grundmann von der Uniklinik Freiburg.
Statistik contra Realität Wertlose Inzidenz? Dunkelziffer bei Corona wohl deutlich höher
Die Sieben-Tage-Inzidenz begleitet uns seit Beginn der Corona-Pandemie. Die Inzidenz erfasst jedoch nur positive PCR-Tests, nicht die Schnelltests zuhause am Küchentisch. Ärzte in Südbaden gehen daher von bis zu dreimal höheren Coronazahlen aus, als in der Statistik erfasst sind.
Zu wenig ältere Menschen hatten Auffrischungsimpfung
Doch momentan sind die Impfquoten der Menschen über 60 Jahren noch zu niedrig. Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) äußerte am Sonntag Sorgen um den Impffortschritt im Land. Er rief ältere Menschen dazu auf, die Corona-Impfung ein zweites Mal auffrischen zu lassen. "Ich hoffe sehr, dass die jetzt verfügbaren angepassten Impfstoffe helfen, die Zurückhaltung bei den Auffrischungsimpfungen zu überwinden", so Lucha.
Nur 20 Prozent der Menschen über 60 hätten schon eine zweite Auffrischimpfung. Das sei noch zu wenig. Denn gerade für diese Altersgruppe sei die Impfung besonders wichtig, erklärte der Gesundheitsminister. Aus dem Ministerium heißt es, dass man durchaus eine Zunahme bei den Impfungen beobachte - "wenn auch im niedrigen Bereich."
Krankenhäuser befürchten Ausfälle
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft befürchtet mit Blick auf die Corona-Zahlen Ausfälle ganzer Abteilungen. Der Vorstandschef der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, im Vergleich zur Vorwoche sei der Anteil von corona-positiven Patientinnen und Patienten deutschlandweit um die Hälfte gestiegen.
So auch in den Kliniken im Land. Sowohl in den Kliniken in Tübingen, Reutlingen, als auch im Zollernalbkreis liegen aktuell deutlich mehr Patientinnen und Patienten mit einem positiven Corona-Test als noch vor wenigen Tagen. In den Alb Fils Kliniken im Kreis Göppingen hat sich die Zahl der Corona-Fälle innerhalb einer Woche mehr als verdoppelt. Auch im SLK-Verbund mit Häusern in Heilbronn, Bad Friedrichshall und Löwenstein, steige seit rund zwei Wochen die Zahl der corona-positiven Patientinnen und Patienten an.
Bei den wenigsten sei aber die Corona-Erkrankung der Grund für ihren Krankenhaus-Aufenthalt, so die Uniklinik Tübingen und die Kreiskliniken Reutlingen. Die Infektion sei nur ein Nebenbefund. Operationen müssen wegen Corona laut der Tübinger Uniklinik im Moment nicht verschoben werden. In Reutlingen dagegen manche planbaren OPs, auch weil einige Mitarbeitenden in Quarantäne seien.
Experten geben Entwarnung
Doch die Situation in diesem Corona-Herbst ist eine andere. Denn im Vergleich zu Oktober 2021 werden in diesem Jahr weniger Intensivpatientinnen und -patienten beatmet. Sind also die Verläufe einer Krankheit weniger gefährlich als in den vergangenen beiden Jahren?
Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sagte in einer Pressemitteilung dazu: "Wir Intensivmediziner sehen derzeit anteilig an den Covid-19-Erkrankten viel weniger Schwerkranke als vor einem Jahr."
Grundimmunität entschärfe Situation
Das habe gleich mehrere Gründe. Es gebe Medikamente, wie Paxlovid, die den Menschen mit einem Risiko für einen schweren Verlauf frühzeitig helfen. Mit Kortison könnten Patientinnen und Patienten bei einem schweren Verlauf gut behandelt werden. Zudem seien viele Menschen geimpft und hätten zusätzlich eine Corona-Infektion durchgemacht und gut überstanden.
"Die Situation ist heute also eine andere als vor einem Jahr oder gar vor zwei Jahren. Stabiler. Beherrschbarer."
Im Klinikum Stuttgart hält man die aktuelle Situation für nicht so dramatisch wie in vorangegangenen Wellen. "In Spitzenzeiten wurden in BW über 30 Prozent der Intensivbetten durch Patienten mit Corona belegt. Aktuell liegen wir bei 10% und haben deutschlandweit klar über 10% freie Intensivstation-Kapazität, was ein guter Wert ist", erklärt Jan Steffen Jürgensen, Vorstandsvorsitzender am Klinikum Stuttgart. Die Zahl der belegbaren Betten werde momentan von vielen Kliniken vorsichtiger angegeben, auch weil das Personal momentan knapp sei.
Ministerium bleibt vorsichtig
Beim baden-württembergischen Gesundheitsministerium gibt man sich dagegen vorsichtiger. Es sei damit zu rechnen, dass die Belastung an den Kliniken steige. Grund seien die steigenden Corona-Zahlen und die Grippe. "Nicht zuletzt aus diesem Grund wirbt Minister Lucha ja auch eindringlich für die Influenza-Impfung", sagte ein Sprecher. Das Landesgesundheitsamt bewerte die Lage fortlaufend.