Benzodiazepine (kurz "Benzos" genannt) sind eigentlich Medikamente - aber sie werden immer häufiger auch als Droge eingenommen. Zu hoch dosiert oder zum Beispiel in Kombination mit Heroin können sie tödlich sein. 45 Menschen starben im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg an den Folgen eines Mischkonsums, so das Landesinnenministerium. Das bedeutet nahezu eine Verdopplung im Vergleich zu 2021, als 23 Todesfälle im Zusammenhang mit "Benzos" gezählt wurden.
Insgesamt ist die Zahl der Drogentoten in Baden-Württemberg zuletzt wieder gestiegen - auf 179 im Jahr 2022. Benzodiazepine spielen dabei eine Rolle. Die Medikamente werden als Beruhigungs- oder Schlafmittel verschrieben, aber auch als Trenddroge genommen.
"Benzos" werden oft im gefährlichen Wechsel mit anderen Drogen genommen
"Benzodiazepine spielen schon lange eine Rolle beim Thema Abhängigkeiten", erklärt Tobias Link, Chefarzt der Klinik für Suchttherapie und Entwöhnung am Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) dem SWR. Problematisch sei vor allem der zunehmende Mischkonsum, bei dem verschiedenste Substanzen im Wechsel kombiniert werden. Häufig seien das Heroin, Kokain oder Alkohol. Neu sei außerdem, dass "Benzos" von illegalen Laboren hergestellt werden. Inzwischen gebe es eine ganze Reihe von Abkömmlingen, die man in der regulären Medizin gar nicht verwende, so Link.
Benzodiazepine beruhigen und lösen Angstgefühle. Sie führen aber auch dazu, dass sich Muskeln entspannen. In größeren Mengen könne sich das auf das Atemzentrum auswirken - ähnlich wie bei Opiaten wie Heroin, erläutert Link: "Wenn man beides zusammen konsumiert, potenziert sich das Risiko, dass es zum Atemstillstand und in der Folge zum Herzkreislaufstillstand kommt." Zwar gebe es Medikamente, die in so einer Situation helfen. Wer illegal Drogen konsumiere habe jedoch oft Angst oder zögere, Polizei und Rettungskräfte zu alarmieren.
Warum Benzodiazepine zusammen mit Opiaten wie Heroin tödlich wirken können, erklärt Chefarzt Tobias Link:
Landeskriminalamt beklagt "Ärztehopping"
Auch bei den 45 Drogentoten in Zusammenhang mit Benzodiazepinen sei in den "allermeisten Fällen" ein Mischkonsum mit anderen Betäubungsmitteln oder Medikamenten die Todesursache gewesen, heißt es vom Landeskriminalamt (LKA) auf SWR-Nachfrage. Ob die "Benzos" legal verschrieben oder illegal beschafft worden seien, lasse sich nicht auswerten.
Bei Ärztinnen und Ärzten werde jedoch teilweise "eine verhältnismäßig großzügige Verschreibungspraxis" bei der Verordnung von Benzodiazepinen festgestellt. Auch "Ärztehopping" sei ein Problem, bei dem sich Konsumierende dasselbe oder ähnliche Medikament nacheinander von verschiedenen Ärztinnen und Ärzten verschreiben ließen. Eine Möglichkeit, dies zu kontrollieren, gebe es nicht - weder auf polizeilicher noch auf ärztlicher Seite, so das LKA.
Benzodiazepine zur Selbstmedikation psychischer Erkrankungen
Link und sein multiprofessionelles Team am PZN begleiten Abhängige bei ihrem Entzug. Gerade bei Benzodiazepinen sei es wichtig, dass dieser nicht allein zuhause durchgeführt werde. Wer eine Suchtmittelabhängigkeit entwickle, habe oft auch andere psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen, so Link.
In Gesprächen mit diesen Menschen stelle sich häufig heraus, dass sie Substanzen wie Benzodiazepine anfangs zur Selbstmedikation konsumierten, um mit den Folgen der psychischen Erkrankungen umzugehen. "Jemand mit Panikattacken und akuten Ängsten lernt beispielsweise, Alkohol, Benzodiazepine oder Cannabis helfen in der Situation, ihn zu beruhigen. Und wenn das häufig vorkommt, dann kann sich eine Abhängigkeit von diesen Substanzen entwickeln."
"Wahrscheinlich hatte ich keine anderen Werkzeuge, die mir geholfen haben, meine negativen Gefühle abzuschalten" - ein Jugendlicher schildert seine Benzodiazepinsucht und wie er sie bekämpfen will:
Innenminister warnt vor Mischkonsum
Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnt vor Mischkonsum von Heroin oder Kokain mit anderen Drogen, Medikamenten oder Alkohol: "Diese Gefahr wird von vielen offenbar noch nicht erkannt. Deshalb liegt unser Fokus weiterhin auf der Suchtprävention und der Aufklärung."
Aufklärung in Schulen und Jugendzentren sieht auch Link als richtigen Ansatz. Würden Benzodiazepine ärztlich verschrieben müsse den Patientinnen und Patienten klar gemacht werden, dass diese keine Dauermedikation sind. Was das anbelangt, habe die Sensibilität in der Ärzteschaft deutlich zugenommen. Generell könne auch "Drug-Checking" helfen, also die Möglichkeit für Konsumentinnen und Konsumenten, Drogen kostenlos und anonym testen zu lassen. Damit könne ein Reflexionsprozess angeregt werden, der über die Zeit zum kritischen Hinterfragen des eigenen Konsums führe.