Größere und stärker spezialisierte Kliniken: So will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Krankenhauslandschaft in Deutschland umgestalten. BW-Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) sieht sich als Vorkämpfer der Reform. Aber längst nicht alle sind mit den Plänen einverstanden, Krankenhauschefs sehen über hundert Häuser in Gefahr. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das nicht gelten lassen und spricht von "Panikmache".
BW-Krankenhauschefs warnen vor Klinikschließungen
Die Krankenhausgesellschaft in Baden-Württemberg kritisiert die Reformpläne scharf: "Wenn man das eins zu eins umsetzt, was die Expertenkommission vorgeschlagen hat, dann gehen wir davon aus, dass mehr als die Hälfte der Krankenhäuser, die bisher bestehen, in ihrem Bestand gefährdet wäre", sagte Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, dem SWR. Wenn tatsächlich jede zweite Klinik geschlossen würde, wären das über 120. Es seien nicht nur kleinere Kliniken auf dem Land von der Schließung bedroht, so Einwag. "Wir sehen, dass sogar mittelgroße oder auch größere Krankenhäuser in ihrem Bestand gefährdet sind, die seit vielen Jahren auf hohem und höchsten Niveau Patientenversorgung betreiben."
So hätte die Reform zum Beispiel für das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart "katastrophale Folgen", ist sich der Medizinische Geschäftsführer Mark Dominik Alscher sicher. "Die Existenz in der jetzigen Form ist gefährdet", warnte Alscher im SWR. Einwag und Alscher forderten Lauterbach dringend auf, sich die massiven Folgen der Reformvorschläge vor Augen zu führen.
Der Hauptgeschäftsführer der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft, Matthias Einwag, kritisiert die zu frühe Veröffentlichung der nicht ausgereiften Pläne für die Reform.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach sieht in den Warnungen den unseriösen Versuch, die Reform zu torpedieren. Auch in Bayern seien schon ähnliche Studien vorgestellt worden. Lauterbach sagte dazu: "Ziel der Krankenhausreform ist es, unnötige Klinikschließungen zu vermeiden und flächendeckend eine qualitativ hochwertige Versorgung auch in ländlichen Regionen sicherzustellen." Das System der Fallpauschalen habe die Krankenhäuser zu stark ökonomischen Zwängen ausgesetzt. "Viele Krankenhäuser sind von der Schließung bedroht, wenn sich nichts ändert." Es sei zudem "reine Panikmache", so Lauterbach, wenn nun vor Schließung konkreter Krankenhäuser gewarnt "oder gar von einem 'Kahlschlag'" gesprochen werde. Die Regierungskommission habe Vorschläge erarbeitet, die nun von Bund und Ländern konkretisiert werden müssten.
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) verweist in der SWR Aktuell-Sendung am 9. Februar um 19:30 Uhr darauf, dass man ganz am Anfang des Prozesses stehe. Es werde intensiv über die Vorschläge diskutiert:
Weniger ist mehr? Die brisanten Vorschläge der Expertenkommission
Klar ist, dass eine große Klinikreform kommen soll, mit der die Qualität der Versorgung verbessert und die Überversorgung in den Ballungsräumen abgebaut werden soll. Bund und Länder wollen die Reform bis zum Sommer erarbeiten, dann soll es einen ersten Gesetzentwurf geben. Eine Expertenkommission hatte eine stärkere Konzentration auf weniger Standorte vorgeschlagen. Zudem sollen sich die Krankenhäuser stärker spezialisieren. Vorgesehen ist demnach außerdem, dass die Kliniken künftig weniger Geld pauschal nach Anzahl der behandelten Fälle bekommen. Stattdessen soll das Vorhalten von Betten, Personal und bestimmten Leistungen stärker honoriert werden, um den wirtschaftlichen Druck von den Häusern zu nehmen.
Selbst renommierte Kliniken könnten bedroht sein
Einwag sagte, man unterstütze grundsätzlich das Ziel der Reform, die Finanzierung etwas unabhängiger zu machen von der Anzahl der tatsächlich behandelten Patienten. "Das wird aber so nicht funktionieren. Wenn die Vorschläge der Expertenkommission umgesetzt würden, würde es zu einem radikalen Umbau der Krankenhausstruktur in Baden-Württemberg kommen." Er befürchtet, dass selbst renommierte Kliniken im Land unter die Räder kommen könnten. "Wir gehen davon aus, dass gerade in Städten oder in Ballungszentren ein erheblicher Anteil der aktuell vorhandenen Krankenhäuser in seinem Bestand gefährdet ist, wenn die Vorschläge so umgesetzt werden."
Der Landkreistag von Baden-Württemberg äußerte ähnliche Sorgen hinsichtlich der geplanten Reform. Der geplante Umbau der Krankenhauslandschaft könnte "Investitionsmittel in astronomischen Höhen verschlingen", so Alexis von Komorowski, der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, in einer Pressemitteilung. Es brauche zwar eine Krankenhausreform. Wenn man die Vorschläge der Expertenkommission aber eins zu eins umsetze, liefe das auf ein massives Kliniksterben hinaus, so der Hauptgeschäftsführer.
Beratungen über Krankenhausreform Lucha: Entfernung zur nächsten Klinik nicht entscheidend
Laut BW-Gesundheitsminister Lucha ist eine gute Behandlung nicht abhängig davon, wie weit die nächste Klinik entfernt ist. Die Krankenhausreform ist Thema bei der Gesundheitsministerkonferenz.
Weitere Wege für Patienten
Für Einwag ist klar, dass die Patienten mit deutlich weiteren Wegen und mit deutlich größeren Krankenhäusern rechnen müssen. "Wir glauben aber, dass das nicht umgesetzt wird." Er übte harsche Kritik an Lauterbach: "Wir halten es für einen großen Fehler des Gesundheitsministers, dass er vor der Veröffentlichung dieser Vorschläge keine Folgenabschätzung gemacht hat. Ich bin überzeugt davon, dass die Vorschläge nicht publiziert worden wären, wenn eine Folgenabschätzung stattgefunden hätte."
Stuttgarter Chefarzt fürchtet Abstieg zum "Stadtteilkrankenhaus"
Auch der Chef des Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhauses, Alscher, forderte den Bundesgesundheitsminister auf, sich die Konsequenzen der Reform bewusst zu machen. "Das ist schon eine gewisse Verantwortungslosigkeit, so etwas zu veröffentlichen, ohne dass man die Folgen entsprechend abgeschätzt hat." Für sein Haus mit seinen rund tausend Betten wären die Folgen gravierend. "Das Problem ist die Struktur, die dort angelegt wird. Und die erfordert, dass sie das Vollsortiment vorhalten. Da wir das nicht haben, würden wir herabgestuft, würden eigentlich nur noch als kleines Stadtteilkrankenhaus lebensfähig sein. Und das entspricht nicht unserem Anspruch", sagte der Medizinische Geschäftsführer.
Er warnte davor, dass mit der Reform bisherige Schwerpunkte nicht mehr zählten. "Wir haben eine sehr große Onkologie, wir sind beim Thema Stammzelltransplantation der größte Anbieter in der Region. Das dürften wir nicht mehr nach der Strukturreform. Ein Bereich, wo wir jetzt viel investiert haben, viele Fachkräfte eingestellt haben, wäre damit gefährdet." Der Neubau zum Forschungsbereich der Onkologie sei erst 2022 eröffnet worden - laut Alscher wurden 50 Millionen Euro investiert.
Der Medizinische Geschäftsführer des Robert Bosch-Krankenhauses in Stuttgart, Mark Dominik Alscher, befürchtet eine Abwertung seines Hauses:
Tübinger Uniklinikum: "Reform geht in richtige Richtung"
Das große Tübinger Uniklinikum wäre voraussichtlich ein Gewinner der Reform. "Die Reform kommt Häusern wie unserem zugute", sagte die kaufmännische Direktorin Gabriele Sonntag dem SWR. Die Anforderungen an die Krankenhäuser würden immer komplexer, das könnten nicht alle Häuser leisten - weder technisch noch vom Personal her. "Die Reform geht in die richtige Richtung." Es sei richtig, die Überversorgung in den Ballungszentren abzubauen und mehr auf Spezialisierung zu setzen.
Sonntag schränkte ein: "Aber jetzt kommt es auf die Ausgestaltung an." Finanziell seien noch viele Fragen ungeklärt. "Die Crux ist, dass die Umstrukturierung kostenneutral ablaufen soll." Das werde aber nicht funktionieren, es würden sicher zusätzliche Gelder benötigt. Erst nach dem Umbau werde die Struktur effizienter und kostengünstiger sein. Durch die Reform werde auch mehr Zusammenarbeit mit anderen Kliniken möglich sein, ist Sonntag überzeugt. "Wir sind bereit zu mehr Kooperation. Einfache Eingriffe wie eine Blinddarm-OP können gerne woanders gemacht werden."
Minister Lucha sieht Warnungen als voreilig an
Minister Lucha hält die Warnungen für verfrüht: "Wir haben als Gesundheitsministerkonferenz unter meinem Vorsitz mit Bundesminister Lauterbach und den Ampel-Koalitionären vereinbart, einen intensiven Beratungsprozess hin zu einem Gesetzentwurf zu führen, bei dem die Planungshoheit der Länder nicht angetastet wird. Diese intensiven Beratungen über die Details der Krankenhausreform stehen gerade erst am Anfang", sagte er dem SWR. "Unser übergeordnetes Ziel ist es dabei, die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Darauf werden gerade wir Länder besonders achten. Für alle fachlichen Anregungen seitens der Krankenhausgesellschaften bedanken wir uns."
Verzahnung von Strukturen könnte ein Stück weit dem Personalmangel abhelfen
Aus seinem Ministerium hieß es zudem, die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten würden immer komplexer und es werde immer schwieriger, Personal zu gewinnen. "Ein Konzept, um den Herausforderungen zu begegnen, ist die sektorenübergreifende Versorgung. Das Land Baden-Württemberg ist hier bundesweit Vorreiter. Ziel dabei ist es, die Versorgung durch eine bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Strukturen zu optimieren", erklärte eine Sprecherin.
"Im Übrigen geht es nicht darum, Krankenhäuser zu schließen oder Behandlungen mit aller Macht zu zentralisieren, sondern darum, welche Stelle künftig welche Aufgabe übernimmt. Wenn ein Krankenhaus schließt, bedeutet das ja nicht, dass vor Ort überhaupt nichts bleibt. Primärversorgungszentren und medizinische Versorgungszentren sollen es den Menschen künftig leichter machen, an die für sie passende Stelle zu kommen."
Immer weniger Krankenhäuser in Baden-Württemberg
Die Zahl der Krankenhäuser in Baden-Württemberg sinkt seit vielen Jahren. Gab es im Jahr 1990 noch 317 Kliniken, waren es 2021 noch 246, wie aus einer Statistik des Sozialministeriums hervorgeht. So werden zum Beispiel im Kreis Lörrach vier Standorte aktuell zu einem zusammengefasst. Gesundheitsminister Lucha ist überzeugt, dass der Konzentrationsprozess weitergehen muss, um die Qualität zu steigern. Baden-Württemberg hatte laut Krankenhausgesellschaft im Jahr 2021 eine Dichte von 488 Betten je 100.000 Einwohner (Bundesdurchschnitt 2020: 581).