Ein Rennfahrer will für die AfD in den Gemeinderat. Ein Hotelbesitzer verliert Kundschaft, weil er der AfD einen Raum vermietet. Ein Hausarzt fängt an, Protestplakate zu malen. Drei Menschen mit unterschiedlichen Positionen zur AfD und der zentralen Frage, wie man mit der Partei umgehen sollte. Diese Frage stellt sich auch angesichts der anstehenden Kommunalwahlen: Die AfD drängt in die Gemeinderäte und schickt daher hochrangige Parteiköpfe in die Provinz. Bei Bürgerdialogen präsentieren sie ihr Wahlprogramm. Themen sind unter anderem "Flucht und Migration", "Erneuerbare Energie" oder auch "Verkehrswende".
Die Veranstaltungen finden oft in ländlichen Regionen statt - und sorgen für Diskussionen, im Saal, aber auch draußen. Bei einer Veranstaltung in Abstatt im Kreis Heilbronn Mitte Februar versammelten sich Frauen und Männer zum stillen Protest vor dem Tagungshotel.
Wer sind die AfD-Akteure in Abstatt? Wie läuft der Bürgerdialog ab? Wie reagieren die Menschen auf das, was sie von AfD-Politikern hören? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist ein SWR-Team zum AfD-Bürgerdialog nach Abstatt gefahren:
Kommunalwahl im Juni: Die AfD möchte ins Abstatter Rathaus
Rainer Noller ist 53 Jahre alt. Er ist Renn- und Rallyefahrer, erzählt er im Interview mit dem SWR, und er will in die Kommunalpolitik. Seit 2015 ist Noller AfD-Mitglied. Mit dem Leben in seiner Gemeinde, in Abstatt im Kreis Heilbronn, zeigt sich Noller im Großen und Ganzen zufrieden, aber er sagt, dass er künftig mit am Tisch sitzen möchte, wenn Politik für den 5.000-Einwohner-Ort gemacht wird.
In Abstatt hat die Bosch-Gruppe einen modernen Entwicklungsstandort aufgebaut. Menschen aus 50 Ländern arbeiten dort. Der Ort liegt noch in der Metropolregion Stuttgart; seine ländliche Prägung ist in Teilen erhalten geblieben.
Sorgen äußert Noller im Gespräch mit dem SWR vor allem zum Thema Geflüchtete. Ganz oben auf seiner Agenda stehe für ihn, dass Abstatt nicht so werden dürfe wie Heilbronn. In Städten nimmt Rainer Noller Migranten nach eigenem Bekunden als Bedrohung wahr. Seine Frau gehe nachts nicht mehr allein durch Heilbronn. Er sagt:
Der AfD traut Rainer Noller zu, aktuelle Probleme besser zu lösen als andere Parteien. Alice Weidel wäre für ihn die ideale Kanzlerin für Deutschland. "Sie vertritt meine Meinung [...] mit allem, was sie sagt, und deswegen ist das eigentlich das große politische Vorbild", so Noller.
AfD-Bürgerdialog in Abstatt: Viel Applaus, aber auch Widerspruch
Nach Abstatt sind die AfD-Bundestagsabgeordneten Marc Bernhard, Martin Hess und Marc Jongen gereist, um dort in einem Hotel einen Bürgerdialog abzuhalten. Nach zwei Stunden Vortrag folgt ein Austausch mit dem Publikum. Bei den etwa 100 Anwesenden finden die Reden viel Zuspruch - immer wieder gibt es Zwischenapplaus, unter anderem zu Aussagen wie diesen: "Wir haben es bei der Ampelkoalition mit Dilettanten, mit ideologisch Verblendeten zu tun, die auch noch hochgradig inkompetent und unfähig sind. Diese Kombination macht es sehr, sehr gefährlich." Worte von Martin Hess, AfD-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Ludwigsburg. Weiter sagt er: "Sie hassen Deutschland. Sie hassen die Leistungsträger, die Tag für Tag arbeiten gehen, und unsere Wirtschaftskraft […] erwirtschaften. Und bei solchen Leuten haben sie verloren."
Von einem einzigen Besucher im Raum kommt Widerspruch: Der Mann heißt Jürgen Stauffert, ist evangelischer Pfarrer und kritisiert verschiedene Inhalte der Reden. Minutenlang weisen daraufhin alle drei AfD-Politiker Staufferts Kritik zurück.
Hausarzt in Abstatt organisiert Protest gegen AfD-Bürgerdialog
Vor dem Abstatter Hotel, in dem die AfD zum Dialog geladen hat, demonstriert eine kleine Gruppe von Frauen und Männern gegen die Veranstaltung. Ihr Protest ist still, sie halten Plakate hoch. Organisiert hat die Aktion Helfried Vogel. Er war fast 40 Jahre lang Hausarzt in Abstatt. "Wenn ich so die letzten Jahre angucke, wie die AfD erstarkt ist, kann ich es nicht gelassen sehen, wie es manche sehen. Ich sehe darin eine große Gefahr für unsere Demokratie", sagt Vogel.
Hotelier: AfD nicht wählbar, aber Vermietung muss erlaubt sein
So richtig verstehen kann Vogel bis heute nicht, warum ausgerechnet einer seiner Lieblingsgastronomen, Jürgen Mosthaf, die AfD-Veranstaltung in seinem Hotel ermöglicht hat. Mosthaf wiederum meint, dass es in einer Demokratie erlaubt sein müsse, auch der AfD einen Raum zu vermieten.
Auf Nachfrage sagt Mosthaf, dass er weder ein AfD-Parteibuch besitzt noch die AfD für wählbar hält, solange dort Menschen wie Björn Höcke Parteipolitik prägen. Mit den Reden, die in seinem Haus gehalten wurden, habe er jedoch keine Probleme. Ihn belasteten vielmehr die Mails und Internet-Kommentare, die er danach bekommt. "Niemals würden wir einem Höcke hier Raum bieten. Wir sehen den Rechtsextremismus als gefährlich an. Aber das, was gerade von der anderen Seite bei uns reinkommt, von wildfremden Menschen, ist auch eine Form von Extremismus", so Mosthaf. Es sei verletzend zu lesen, "bei uns im Lokal würden außer brauner Soße noch andere braune Sachen serviert". Er findet, was gerade in beide Richtungen passiert, sei nicht gut für die Demokratie.
Umgang mit AfD im Gemeinderat: Abgrenzen oder kooperieren?
Die Frage nach dem Umgang mit der AfD in der Kommunalpolitik wird sich von Juni an auch in BW neu stellen: In den Gemeinderäten werden AfD-Politikerinnen und -Politiker aller Voraussicht nach präsenter sein als zuvor. Experten gehen davon aus, dass die AfD flächendeckend in die Rathäuser einzieht. Die spannende Frage ist, wie sich dies in den Gremien auswirken wird, wenn Räte und Rätinnen unterschiedlichster "ideologischer Heimat" über Sachfragen diskutieren, beraten und abstimmen müssen.
Der Politikwissenschaftler Rolf Frankenberger vom Institut für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen geht fest davon aus, dass sich die Arbeit in den sonst "relativ kollegialen Gremien" polarisieren wird, wenn die AfD stärker vertreten ist. "Das kann unter Umständen, und das wird sehr stark von den Leuten abhängen, auch das Klima in solchen Gremien vergiften. Also man sollte schon entspannt, aber vorbereitet sein."
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