Seit einigen Jahren wird das Glück vermessen. Die WHO beispielsweise gibt seit 2012 einen jährlichen "Glücksbericht" heraus, den "World Happiness Report" für rund 150 Länder. Im Bericht für das Jahr 2020 lag Finnland auf Platz eins, gefolgt von Island und Dänemark. Trotz der Corona-Pandemie ist laut diesem Bericht in einigen Ländern das Glücksgefühl der Bürgerinnen und Bürger gestiegen. Deutschland etwa verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahr von Platz 17 auf Platz sieben.
Allerdings ist laut aktuellem Glücksatlas der Deutschen Post die Lebenszufriedenheit der Deutschen im Jahr 2021 auf ein historisches Tief gesunken. Dazu wurden über 8.000 Deutsche befragt. Was macht Menschen glücklich?
Formel des Glücks: Haben. Lieben. Sein
Prof. Jan Delhey von der Universität Magdeburg hat für die Forschung eine "Glücksformel" entwickelt. Sie vereint sowohl gesellschaftliche Umstände als auch individuelle Lebensbedingungen. Und umfasst nur drei Wörter: "Haben. Lieben. Sein." Das betrifft die materiellen Lebensumstände, die Sozialbeziehungen und den Sinn unseres Lebens.
Haben: Braucht man Geld, um glücklich zu sein?
Der Psychologe Daniel Kahneman und der Ökonom Angus Deaton, beide Nobelpreisträger, haben im Jahr 2010 eine viel zitierte Studie veröffentlicht. Sie fanden heraus, dass das emotionale Wohlbefinden linear mit der Höhe des Einkommens ansteigt – bis zu einem Peak bei 75.000 Dollar jährlichem Einkommen.
Möglicherweise ist auch entscheidend, wofür wir das Geld ausgeben. Denn dass materielle Sicherheit ein wichtiger Nährstoff unseres subjektiven Wohlbefindens ist, ist wissenschaftlich unumstritten. Doch viel Konsum muss nicht automatisch viel Glück bedeuten. Denn der Mensch blickt mit einem Auge immer auch auf den Wohlstand des Nachbarn.
Lieben: Jede gute nahe Beziehung zählt
Mit "Lieben" meint der Soziologe Jan Delhey nicht nur Paarbeziehungen, sondern die ganze Vielfalt an zwischenmenschlichen Verbindungen. Was hier zählt, sind beispielsweise das gegenseitige Vertrauen, ein guter Austausch und Ermutigung.
Das bestätigen zwei Langzeitstudien aus den USA, "The Grant Study" und "The Glueck Study". Über 75 Jahre lang beobachteten Forscher mehr als 600 Menschen. Sie führten mit ihnen Interviews, analysierten ihr Blut, scannten die Gehirne. Die Haupt-Erkenntnis: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Es ist die Qualität der nahen Beziehungen, die zählt.
Sein: Welchen Sinn hat das Leben?
Jan Delhey meint mit "Sein" alles, was unserem Leben einen Sinn gibt. Dazu gehören Beruf oder ehrenamtliche Tätigkeiten. In den westlichen Ländern haben Individualismus und das wachsende Wohlstandsniveau dazu beigetragen, dass die Arbeit an Bedeutung für unser Glück gewonnen hat.
Die Verhaltensökonomin Laura Giurge vom Oxford Wellbeing Research Centre zählt zudem auf, wann Arbeit sinnstiftend ist und uns glücklich macht: wenn
- Autonomie
- Kompetenz und
- Zugehörigkeit
vorherrschen.
Fehlt eine der drei Sinn-Komponenten, kann uns unsere Arbeit langfristig unglücklich machen und krank. Erschöpfungssymptome, Depressionen, Nervosität, Rückenprobleme können folgen. Allein 2019 verursachten 185.000 Burnout-Betroffene 4,3 Millionen Krankheitstage in Deutschland.
Nimmt das Glück im Verlauf des (Arbeits)-Lebens ab?
Eine der prominentesten Erklärungen besagt, dass unser Glücksniveau wie eine U-Kurve verläuft. Nach einer Hochphase als junge Erwachsene fällt das Glück mit dem Stress der Berufstätigkeit und Familiengründung steil ab bis zur Midlife-Crisis. Wenn diese überwunden sei, nehme das Glücksempfinden ab einem Alter von etwa 50 wieder zu. Am Ende stünden glückliche Seniorinnen und Senioren, die ihr Leben genießen.
Die schöne Idee von der U-Kurve des Glücks beruhe jedoch auf methodischen Fehlern, kritisiert der Ungleichheitsforscher Fabian Kratz von der Ludwig-Maximilian-Universität München. Die letzten Lebensjahre des gebrechlichen Greisenalters würden in den Umfragen und Berechnungen schlicht nicht berücksichtigt. Den wichtigsten Punkt sieht Kratz darin, dass unglückliche Menschen früher sterben und somit nicht in den Studien berücksichtigt werden.
Klimaangst – Wie sie motiviert und wann sie lähmt
Klima und Glück
Und die Sorge um die Natur mache sich mittlerweile auch in seinen Studien bemerkbar, sagt der Magdeburger Soziologe Jan Delhey. Dass es der Umwelt gut gehe, dass dem Klimawandel Einhalt geboten werde und Flutkatastrophen, Waldbrände, Dürren unseren Planeten nicht weiter zerstören, werde wichtig fürs Wohlbefinden der Menschen des 21. Jahrhunderts, so Delhey.
Denn Klimakatastrophen lassen das Gefühl von Sicherheit verschwinden, und Sicherheit ist ein wichtiger Bestandteil von Lebenszufriedenheit.
SWR 2021 / 2024