Blutmahlzeit für die Reifung der Eier: Nur Weibchen stechen!
Mücken sind nicht gerade beliebte Insekten. Sie gelten als lästig – ihre Stiche sowieso. Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg betrachtet den für Menschen unangenehmen Stich als eine für die Mücke notwendige Blutmahlzeit. Notwendig ist sie für die Reifung der Eier. Darum stechen auch nur die Weibchen.
Die meisten Mückenarten stechen nicht!
Überhaupt stechen nur wenige Mückenarten: „Wir haben in Deutschland 28 Mückenfamilien. Und nur vier von diesen Familien sind in der Lage, eine Blutmahlzeit aufzunehmen“, sagt Doreen Werner.
Diese vier Familien sind die Stechmücken, die Gnitzen und die Kriebelmücken, die fast überall in Deutschland vorkommen, sowie die Schmetterlings-Mücke. Sie findet man nur an manchen Orten in Süddeutschland .
Echte Schnaken stechen nicht
In Süddeutschland werden Stechmücken oft auch als „Schnaken“ bezeichnet. Wissenschaftlich ist das nicht korrekt. Denn Schnaken im zoologischen Sinn stellen eine der 28 Mückenfamilien dar, die auf Grund ihrer reduzierten Mundwerkzeuge gar nicht keine Blutmahlzeit aufnehmen kann.
Stechmücken werden gezielt biologisch bekämpft
Mücken sind derart ungeliebt, dass entlang des Oberrheins jedes Jahr die KABS ausrückt, die Kommunale Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage. Sie machen die Brutstätten ausfindig und füttern die Larven mit einem für die Mücken tödlichen Eiweiß, das von BTI-Bakterien gebildet wird.
KABS: „Mückenbekämpfung ist ökologisch verträglich“
Auch Mücken aus anderen Familien, etwa die Zuckmücke, sterben, wenn sie das BTI-Eiweiß zu sich nehmen. Zuckmücken sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für Vögel, Fische, Amphibien und Fledermäuse. Sie sterben aber erst bei einer deutlich höheren Dosierung, sagt Dirk Reichle von der KABS. Die KABS betont, dass das BTI-Eiweiß biologisch und umweltverträglich sei. Außerdem bemühe man sich, zielgerichtet vorzugehen: „Und da wir ja auch gezielt applizieren, GPS gesteuert und diese Brutstätten von Mücken aussparen, ist diese Bekämpfung extrem sensibel und auch ökologisch sensibel.“
Kritiker: Mückenbekämpfung gefährdet möglicherweise die Artenvielfalt
Die Universität Koblenz-Landau untersuchte die Auswirkungen von BTI auf Zuckmücken des Oberrheins und stellte eine Rückläufigkeit von bis zu 50 Prozent fest. Carsten Brühl, ein Umweltwissenschaftler dieser Universität, betont ebenso wie Doreen Werner, wie wichtig neben der Zuckmücke auch die Stechmücke als Nahrungsgrundlage für andere Tiere ist. Dem widersprach Norbert Becker, der wissenschaftliche Direktor der KABS, in einem Interview des SWR von 2017.
Carsten Brühl von der Uni Koblenz-Landau findet es bedenklich, dass das BTI zum Teil in Schutzgebieten angewendet wird, ohne dass, seiner Meinung nach, ausreichende Studien der Folgen vorliegen: „Ich meine, wir melden also tatsächlich ein Schutzgebiet an die EU und sagen: In diesem Schutzgebiet da kümmern wir uns um die Auen, Fauna und Flora, und gleichzeitig wenden wir ein Biozid an ohne Untersuchung. Das ist eigentlich unglaublich.“
Angst vor Krankheiten: Tigermücke entfachte die Diskussion neu
Nach dem Aussterben der Malaria in Deutschland verschwand auch das Interesse an Mücken. Seit 2011 die Tigermücke in Baden-Württemberg entdeckt wurde, erfährt das Thema wieder größere Aufmerksamkeit. Interessierte können ihre Mückenfunde an Doreen Werner senden. Ursprünglich ging es auch hierbei um die Tigermücke, die aber fast nie korrekt erkannt wird. Daher hat sie am Leibniz-Institut begonnen, einen ganzen Mückenatlas zu erstellen und freut sich über Informationen aus der Bevölkerung.
Noch keine neuen Virenerkrankungen durch eingewanderte Mücken
2019 ließ die Kaufmännische Krankenkasse eine repräsentative Umfrage zu Mücken durchführen. 43 Prozent der Befragten sagten, dass sie Angst vor Krankheiten haben, die durch eingeschleppte, exotische Mücken übertragen werden könnten.
Doch bislang sind die Tigermückenpopulationen noch sehr klein. Alle derzeit hierzulande zirkulierenden Viren stammen von einheimischen Stechmückenarten. Doch auch diese können neue Viren übertragen. So wurde 2019 erstmals das West-Nil-Virus bei einem Menschen festgestellt – übertragen von einer einheimischen Stechmücke. Für Menschen fehlt hierfür bislang ein Impfstoff. Auch das ist ein Argument dafür, die Stechmückenpopulation zu reduzieren.
Die Gefahr neuer Krankheiten, die durch neue Stechmücken oder bereits einheimische Arten übertragen werden könnten, muss mit der Gefahr für die Artenvielfalt der Biotope abgewogen werden. Die Frage, was schwerer wiegt, ist nicht leicht zu beantworten und wird in Zukunft wohl aktuell bleiben.
SWR 2020 / 2022