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Kaminofen-Boom – Steigende Gesundheitsgefahr durch Feinstaub

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Thomas Kruchem
Thomas Kruchem (Foto: SWR, privat)
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Candy Sauer

Weil viel mehr Holz verheizt wird, droht im Winter eine Feinstaubbelastung, die alle Grenzwerte sprengt. Asthmatiker verzweifeln, Behörden fühlen sich machtlos.

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Komfortkamine: gemütlich und günstig

Über elf Millionen Kamin- und Kachelöfen gibt es in Deutschland, eine Million Kessel für Pellets und Holzschnitzel. Der Brennholzverbrauch hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Lange Zeit boomten vor allem sogenannte Komfortkamine. Angesichts der aktuellen Energiekrise versucht nun fast jeder, der kann, sich eine Holzheizung zuzulegen – gleich welcher Art. So ist man unabhängig; und Brennholz kostet noch immer deutlich weniger als Gas, Öl oder Strom.

Einzelne Bundesländer wie Bayern und Sachsen haben erlaubt, längst verbotene und bereits stillgelegte Altöfen wieder in Betrieb zu nehmen.

Nachbarschaft in hohem Maß durch Feinstaub belastet

Die Kehrseite der Medaille: Millionen Nachbarn von Holzheizern werden eingenebelt mit Rauch – mit gesundheitsgefährdendem Feinstaub und krebserregenden Chemikalien. Millionen Menschen können an Winterabenden kaum mehr lüften; viele Asthmatiker und Lungenleidende erleben die kalte Jahreszeit als Hölle. Das Umweltbundesamt rät vom Heizen mit Holz ab.

Im Berliner Stadtteil Kreuzberg lebt eine 89-jährige Rentnerin in einem Hinterhaus, an dem man noch Einschüsse aus dem Zweiten Weltkrieg erkennt. In der Küche: ihre "Kochmaschine", die man mit Holz betreiben kann. "Alles noch aus der Zeit des Kalten Kriegs", erzählt Schornsteinfeger Alain Rappsilber. Damals mussten Westberliner Haushalte eine Not-Feuerstätte vorhalten. "Der Russe" sollte die Stadt nicht aushungern können.  (Foto: Thomas Kruchem)
Im Berliner Stadtteil Kreuzberg lebt eine 89-jährige Rentnerin in einem Hinterhaus, an dem man noch Einschüsse aus dem Zweiten Weltkrieg erkennt. In der Küche: ihre "Kochmaschine", die man mit Holz betreiben kann. "Alles noch aus der Zeit des Kalten Kriegs", erzählt Schornsteinfeger Alain Rappsilber. Damals mussten Westberliner Haushalte eine Not-Feuerstätte vorhalten. "Der Russe" sollte die Stadt nicht aushungern können.

Professor Achim Dittler ist einer der führenden Experten Deutschlands. Dittler leitet am Karlsruher KIT die Arbeitsgemeinschaft zur Abgasreinigung und Luftreinhaltung. Mit einer Leopoldina-Arbeitsgruppe hat er 2019 einen kritischen Bericht zur Luftverschmutzung vorgelegt.

Typische Komfortkamine in einem Neubauviertel in Stutensee im Landkreis Karlsruhe (Foto: Thomas Kruchem)
Typische Komfortkamine in einem Neubauviertel in Stutensee im Landkreis Karlsruhe

Achim Dittler lebt in Stutensee und weiß um die Beliebtheit der sogenannten Komfortkamine. "Wohlfühlaccessoires des Mittelstands" nennt Dittler sie – mit katastrophalen Auswirkungen auf die Nachbarschaft. An seinem Wohnort hat er Feinstaub-Konzentrationen von bis zu 800 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen – um ein Vielfaches mehr als am Stuttgarter Neckartor, wo auf einer vierspurigen Bundesstraße Diesel-Lkw vorbeidonnern.

In etlichen Wohnzimmern Stutensees brummten inzwischen auch elektrische Luftreiniger, berichtet der Abgasexperte. Sonst sei das Leben dort schier unerträglich.

"Wenn man mit Betroffenen spricht, dann klagen die an Abenden, wo die Rauchgase in die Wohnräume eindringen, über Übelkeit und Kopfschmerzen. Übelkeit und Kopfschmerzen sind Symptome einer leichten Rauchgasvergiftung."

Asthma, Krebs, Herz-Kreislauf-Belastung: Feinstaub gefährdet die Gesundheit

Barbara Hoffmann, Professorin für Umwelt-Epidemiologie an der Universität Düsseldorf, kennt ähnlich mit Rauch belastete Wohngebiete. Sie hat Messungen durchgeführt in einem bevorzugten Wohngebiet im Süden von Düsseldorf und kam zu dem Ergebnis:

"An einem Tag […] nach dem ersten richtig kalten Novemberwochenende, hatten wir extrem hohe Werte in dieser bevorzugten Wohnlage – deutlich höher als das, was wir an der Hauptverkehrsstraße gemessen haben."

Wenn wenig Wind herrscht, sitzen die Menschen mehrere Tage in dieser schlechten Luft – und das hat Konsequenzen. Entzündungen, Asthma und Lungenkrebs können dadurch ausgelöst werden. Aber nicht nur die Lunge ist betroffen:

"Am Herz-Kreislauf-System wissen wir, dass sich vermehrt Blutklümpchen bilden, die zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen können."

Und sie zählt weitere Krankheiten auf, die Folgen der Umweltbelastung sein können: Demenz und chronische Nervenerkrankungen, Diabetes mellitus und sogar eine Beeinträchtigung des ungeborenen Lebens, denn Kinder von Müttern, die der Belastung ausgesetzt sind, kommen mit weniger Gewicht zur Welt.

Falsche Befeuerung, lasche Kontrollen, zu hohe Grenzwerte für Luftschadstoffe

Holzverbrennung gelte unter Fachwissenschaftlern als die mit Abstand schmutzigste und gefährlichste Heiztechnologie, bestätigt Professor Ingo Hartmann, Leiter des Forschungschwerpunkts katalytische Emissionsminderung am Deutschen Biomasseforschungszentrum in Leipzig. Die Feinstaub-Emissionen aus privater Holzverbrennung lägen inzwischen über den Emissionen des Straßenverkehrs. Als Ursachen nennt er die falsche Befeuerung der Öfen, etwa mit feuchtem oder lackiertem Holz. Und außerdem: Als Emissionen eines Ofenmodells gelten offiziell die unter Idealbedingungen auf dem Prüfstand gemessenen Werte. Um Grenzwerte der Bundesimmissionsschutzverordnung einzuhalten, reicht bei heutzutage verkauften Öfen ein wenig wirksamer Partikelfilter. Zahllose Öfen, die laut Verordnung sonst stillgelegt werden müssten, dürfen für wenige 100  Euro mit solchen Filtern nachgerüstet werden.

Tatsächlich lägen die Emissionen aus Kaminöfen um den Faktor zwei bis drei höher als auf dem Prüfstand, schätzt Professor Hartmann – und damit weit über den gesetzlichen Grenzwerten.

Die Grenzwerte sind ebenfalls ein Problem: Unisono klagen die Experten, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe in Deutschland und der EU weit höher liegen, als es die Weltgesundheitsorganisation WHO zum Schutz vor Gesundheitsschäden empfiehlt. Die WHO-Richtlinie für den gefährlichen Feinstaub PM 2,5 zum Beispiel liegt bei fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, der Grenzwert der EU bei 25 Mikrogramm, also dem Fünffachen.

Guillermo Frei mit Palettenholz und Kachelofen: Der Berliner Rentner verfeuert Holz, das er auf der Straße findet. Denn in Berlin ist Brennholz knapp und teuer. Lackiertes und geöltes Holz sei für ihn tabu, sagt Frei: "Weil das Gift ist. Ich will doch nicht meinen Nachbar vergiften. Und mich selber." (Foto: Thomas Kruchem)
Guillermo Frei mit Palettenholz und Kachelofen: Der Berliner Rentner verfeuert Holz, das er auf der Straße findet. Denn in Berlin ist Brennholz knapp und teuer. Lackiertes und geöltes Holz sei für ihn tabu, sagt Frei: "Weil das Gift ist. Ich will doch nicht meinen Nachbar vergiften. Und mich selber."

Pelletöfen – eine sinnvolle Alternative?

Nachbarschaftskonflikte vermeiden können Holzofenliebhaber, wenn sie sich zum Beispiel einen Pelletofen anschaffen, der deutlich weniger Schadstoffe ausstößt als ein mit Holzscheiten betriebener Kaminofen, erklärt Schornsteinfeger Volker Jobst im nordbadischen Wiesloch.

Pellets sind auch billiger als Gas. Allerdings: Ein Pelletofen hat kein gemütliches Feuer wie ein Kamin, eher eine Art Gasflamme. Und für die Elektronik, fürs Gebläse und für die Pellets-Förderschnecke braucht man Strom. Alle drei Tage muss man den Ofen reinigen, und einmal pro Jahr kommt für rund 200 Euro die Wartungsfirma.

Patrick Huth, Experte für Luftqualität der Deutschen Umwelthilfe, sieht auch Pelletöfen kritisch. Auch ein solcher Ofen stoße mehr Feinstaub aus als ein 20 Jahre alter Diesel-Lkw, sagt Huth. Das Heizen mit Holz sei gesundheits- und umweltpolitisch nur vertretbar, wenn für alle Holzöfen die Anforderungen des sogenannten Blauen Engels gelten. Dieses strenge Qualitätssiegel des Umweltbundesamtes bekommen Öfen mit Katalysatoren, die die Emissionen krebserregender Kohlenstoffverbindungen drastisch reduzieren. Außerdem müssen die Öfen über einen hochwirksamen Staubabscheider verfügen.

Weniger Ruß, weniger Feinstaub, weniger Gift aus dem Schornstein – das müsse das Ziel sein, um unser aller Gesundheit, die Umwelt und das Klima vor den Folgen von Holzverbrennung zu schützen.

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