Einsatz im Krimkrieg: Als Krankenschwester in Skutari
Im Oktober 1854 erreicht Florence Nightingale, eine gottesfürchtige und couragierte junge Frau der britischen Oberschicht, das Militärlazarett in Skutari am Bosporus (türk. Üsküdar; heute ein Stadtteil von Istanbul). Seit mehr als einem halben Jahr führt Großbritannien an der Seite Frankreichs und der Türkei im Krimkrieg einen blutigen, verlustreichen Kampf gegen Russland. Florence Nightingale übernimmt für die britische Regierung mit rund 40 zivilen Helferinnen die Pflege der verwundeten und kranken Frontsoldaten.
Zunächst schlägt Florence Nightingale in Skutari massiver Widerstand aus den Reihen der Ärzte entgegen. Obwohl eine Choleraepidemie die Soldaten zu Hunderten dahinrafft, sind pflegende Frauen zwischen den vielen Männern moralisch schwer zu akzeptieren. Erst recht, wenn sie sich womöglich in medizinische Fragen einmischen und damit die männliche Autorität und Hierarchie im Militär untergraben könnten. Als unter der Pflege der Frauen im Lazarett allerdings deutlich weniger Soldaten sterben als vorher, muss man Florence Nightingale und ihr kämpferisches Engagement widerwillig respektieren.
Der lange Weg nach Skutari
Florence Nightingale hatte lange für ihren Traum einer pflegereischen Tätigkeit kämpfen müssen. Mit 16 Jahren spricht Florence fließend Französisch und Italienisch, später lernt sie auch Deutsch. Sie liest viel und kennt sich aus in Astronomie, Physik und Chemie, in Philosophie und Geschichte. Im Grunde würde der gebildeten jungen Frau die besten Universitäten des Landes offenstehen. Doch in Oxford werden vor 1878 keine Frauen aufgenommen. Und erst 1920 dürfen sie dieselben akademischen Abschlüsse machen wie Männer. Florence Nightingales breites Allgemeinwissen kann also höchstens ihre Chancen auf einen guten Ehemann verbessern. Die Erkenntnis, dass der klugen, gebildeten Frau all ihr Wissen nichts nützt und sie es nicht anwenden kann, stürzt sie in eine Krise.
In einen Orden oder in ein Kloster einzutreten, kommt für sie nicht in Frage. Sie will allen Menschen helfen – egal welcher Religion oder gesellschaftlichen Schicht sie angehören. Am liebsten würde sie als Krankenpflegerin arbeiten, wie sie das als 17-Jährige bereits während einer schweren Grippewelle in London im Haus ihrer Eltern getan und sich um ihre Familie sowie 15 Dienstboten gekümmert hatte.
Aber ihre Familie will von ihren Plänen nichts wissen – unvorstellbar, dass eine Frau ihres Standes ihre Zeit an schmutzigen Krankenbetten verbringen soll. Über 10 Jahre dauert es, bis Schwester, Vater und Mutter ihren Widerstand aufgeben. Bis dahin durchlebt Florence Nightingale schwere Jahre – zerrissen zwischen den gesellschaftlichen Ansprüchen ihrer Familie und ihren inneren Überzeugungen. Sie unternimmt lange Kultur- und Bildungsreisen, unterrichtet aber auch in lokalen Armenschulen. Im deutschen Kaiserswerth bei Düsseldorf besucht sie für einige Wochen die neu gegründete diakonische Krankenpflege-Anstalt von Pfarrer Theodor Fliedner und seiner Frau.
Sie leitet in England ein Heim für verarmte adlige Frauen, knüpft Kontakte in höchste politische Kreise und zur englischen Königin. Und sie liest alles, was sie über Pflege-, Gesundheitspolitik und Statistik in die Finger bekommen kann. Als Florence Nightingale im Herbst 1854 mit ihren Helferinnen nach Skutari aufbricht, um dort im Auftrag des Kriegsministeriums die britischen Soldaten des Krimkriegs zu pflegen, ist sie 34 Jahre alt, unverheiratet, politisch gut vernetzt und voller Tatendrang.
Florence Nightingale und die Professionalisierung der Krankenpflege
Eigentlich wäre Florence Nightingale aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung ein sorgenfreies Leben in Wohlstand und Luxus möglich gewesen. Stattdessen widmet sie sich auch nach dem Krimkrieg – im Juli 1856 war sie nach London zuruückgekehrt – bis ins hohe Alter der Mission, aus der Krankenpflege einen anerkannten Beruf mit professioneller Ausbildung zu machen.
Obwohl sie nach einer bakteriellen Infektion mit dem Krimfieber und den traumatischen Ereignissen im Lazarett gesundheitlich angeschlagen ist, arbeitet sie bis ins hohe Alter von 90 Jahren – nun von ihrem Schreibtisch aus.
Sie empfängt nur noch selten Besuche. Den Kult, der sich um ihre Person entwickelt hat, lehnt sie ab. Dafür schreibt sie beinahe ununterbrochen: Briefe, Gutachten – zur problematischen Trinkwasserversorgung in Indien zum Beispiel – Bücher zur praktischen häuslichen Krankenpflege und Traktate über das Gesundheitswesen. Sie studiert und interpretiert Statistiken und epidemiologische Studien. Und sie spornt unermüdlich ihr Netzwerk aus einflussreichen Persönlichkeiten an. Sie will die dringend nötigen Reformen für Großbritannien und seine Kolonien finanziell, politisch und juristisch endlich auf den Weg bringen.
Mit den "Nightingale-Schulen" entstehen schließlich Ausbildungszentren für Frauen des britischen Mittelstands. Dort können sie eine professionelle und ehrbare Ausbildung zu Krankenpflegerinnen bekommen.
Florence Nightingales Geburtstag, der 12. Mai, ist der internationale Tag der Pflege.
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