„Die Vermehrung meiner Werke durch Arrangements fängt jetzt an, unheimlich zu werden. Ich vermisse nur noch die Peer Gynt-Suite für Flöte und Posaune. Von der unerreichbaren Popularität der Drehorgel will ich gar nicht reden“, schrieb Edvard Grieg 1896 an einen Freund – zwanzig Jahre nach der Uraufführung seiner Bühnenmusik zu Henrik Ibsens Drama „Peer Gynt“, der Geschichte eines Taugenichts und Lügenboldes, den es irrend und wirrend in die Welt verschlägt und der zuletzt desillusioniert als alter Mann in seine norwegische Heimat zurückkehrt.
Eine Partitur mit Schweißflecken
Griegs Bühnenmusik – und mehr noch die beiden Suiten , für die er jeweils vier Sätze aus der Schauspielmusik auswählte – begründete schon bald seinen internationalen Ruhm. Doch sein größtes Erfolgsstück war gleichzeitig auch eines seiner größten Sorgenkinder. Grieg hatte zwar freudig und prompt auf Ibens Anfrage reagiert, den „Peer Gynt“ mit Musik auszustatten, aber schon bald hatte er Bedenken, ob sich dieses „unmusikalischste aller Sujets“ nicht der Vertonung widersetze. Einem Freund gegenüber äußerte er, an dem Auftrag habe ihn in erster Linie der Lohn gereizt. Das Komponieren ging ihm schwer von der Hand. „Das Thema ist furchtbar ungefügig, von einzelnen Stellen, wie Solveigs Gesang, abgesehen. Mit diesen Szenen bin ich schon fertig. Darüber hinaus habe ich etwas zu ‚In der Halle des Bergkönigs‘ geschrieben. Das anzuhören kann ich aber selbst nicht ertragen, denn es klingt derart nach Kuhmist, nach Norwegertum und Sich-selbst-genug-Sein! Ich erwarte aber auch, dass die Ironie gefühlt werden kann.“
Geknobelt und gefeilt
Zu den Sorgen, dem Sujet mit seiner Musik nicht gerecht zu werden, gesellten sich Zweifel, ob das Orchester des Theaters in Kristiana (dem damaligen Oslo) den Anforderungen der Partitur gewachsen sei. Grieg sah sich gezwungen, hinsichtlich der Instrumentierung große Zugeständnisse an die Möglichkeiten des Orchesters zu machen, und er war beinahe bis an sein Lebensende damit beschäftigt, die sparsame Orchestrierung der Erstfassung zu erweitern und zu verbessern. Nie konnte er sich dazu entschließen, die gesamte Partitur von „Peer Gynt“ im Druck zu veröffentlichen – als zu gewichtig empfand er die Mängel der Instrumentation. So sind die Auszüge der Bühnenmusik in Form der beiden Suiten die einzigen Stücke aus „Peer Gynt“, die ihren Siegeszug um die Welt antraten.
Die erste Suite lieferte Grieg 1888 an den Peters-Verlag, der im dafür 3000 Mark Honorar bezahlte und noch im selben Jahr druckte. Der Verlag dürfte seine Entscheidung nicht bereut haben. Selbst Kritiker, die sonst ungeniert ihrer Lust am Verriss frönten, waren angetan. Eduard Hanslick zum Beispiel fand, die Musik enthielte in jedem der Sätze mehr Poesie und Kunstverstand als in Ibsens fünf Akten des Dramas Ungeheuer auftreten (und das sind ziemlich viele!).
Suite Nr. 1
Zu dem großen Erfolg hat sicherlich Griegs glückliche Hand bei der Zusammenstellung der Suiten beitragen. Jeder der vier Sätze bringt eine eigene Welt zum Klingen: Die "Morgenstimmung" zeichnet in wiegender Melodik und reizvollen Klangkombinationen in einer groß angelegten Steigerung den allmählichen Aufgang der Sonne nach. "Aases Tod" ist ein Klagelied mit schlichter, periodisch gegliederter Melodik und schillernder, zuweilen kirchentonaler Harmonik. Hier ist die Besetzung auf Streicher reduziert. Sequenzartig steigert sich die trauermarschähnliche Melodie zwei Mal, der Satz wird wuchtig, bäumt sich auf und sinkt wieder ab; den letzten Ton versah Grieg mit der Spielanweisung "morendo": ersterbend.
"Anitras Tanz" entführt in eine Welt der Exotik – mit ihrem unverholen erotischen Tanz lockt die orientalische Prinzessin Peer Gynt in ein Liebesabenteuer. Mit den Klängen von gedämpften Streichern und Triangel, mit der Leichtigkeit der filigranen Melodie, die die ersten Geigen über einem zarten Teppich aus gezupften Streicherakkorden spielen und mit fein ausdifferenzierter Dynamik schildert Grieg diesen getanzen Flirt.
Bedrohlich und düster wirkt das abschließende Stück, "In der Halle des Bergkönigs". Mit fieberhafter Intensität steigert sich der Satz in Tempo, Ambitus und Dynamik. Geradezu naturalistisch ist Ibsens Bühnenanweisung musikalisch umgesetzt: "Die Trolle flüchten unter Gepolter und Geheul. Die Halle stürzt zusammen; alles verschwindet."
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt jährlich rund 90 Konzerte im Sendegebiet des Südwestrundfunks, in den nationalen und internationalen Musikzentren und bei bedeutenden Musikfestspielen. Das Orchester pflegt das klassisch-romantische Repertoire in exemplarischen Interpretationen und setzt sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten aufgeführte Komponisten und Werke ein. Bis heute hat es mehr als 500 Werke uraufgeführt.
Viele namhafte Dirigentenpersönlichkeiten haben das RSO in den letzten 60 Jahren geprägt, unter Ihnen Sergiu Celibidache, Carl Schuricht, Sir Georg Solti, Giuseppe Sinopoli, Carlos Kleiber, Sir Neville Marriner, Georges Prêtre und Herbert Blomstedt. Ebenso konzertieren regelmäßig hochkarätige Solisten aller Generationen beim RSO.
Zur Saison 2011/2012 trat der Franzose Stéphane Denève seine Stelle als Chefdirigent beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR an und löste damit Sir Roger Norrington ab, der dem Orchester seit 1998 als Chefdirigent vorstand.