Musikstück der Woche vom 11.08.2014

Von der Melancholie geküsst

Stand
Autor/in
Katharina Höhne

Frédéric Chopin: Nocturne op.27 Nr.1 cis-Moll. Larghetto, Nocturne op. 27 Nr. 2 Des-Dur. Lento sostenuto

In der "schönsten aller Städte", wie Frédéric Chopin über Paris sagte, und vom Erfolg geküsst, trübte immer dieses dunkle Etwas die Stimmung des polnischen Komponisten: die Melancholie, jenes große Gefühl von stiller Traurigkeit. Chopin kannte sie, wusste mit ihr umzugehen und bannte sie schließlich in seiner Musik. Am 12. Dezember 2008 brachte der erfolgreiche Pianist Bernd Glemser im Frankfurter Hof in Mainz zwei Nocturnes aus Chopins op. 27 auf die Bühne.

Durch die Nacht mit Stimme und Herz

Obwohl er von unerschöpflichem Talent gesegnet war und in einer großherzigen Familie aufwuchs, trug Frédéric Chopin von Kindheit an etwas in sich, dass man in seinem Heimatland als "żal" bezeichnet und Enttäuschung, Wehmut oder ganz einfach Melancholie ausdrückt. Chopins żal begleitete ihn durch das ganzes Leben. Vielleicht war es sein krankes Herz, das żal in ihm auslöste, vielleicht seine Sehnsucht in die polnische Heimat. Vielleicht gehörte żal aber auch ganz einfach zu ihm dazu, denn ohne Melancholie wäre Chopins Musik nicht die gleiche. Chopin war ein bescheidener Mensch, der niemanden mit seinen Gedanken und Gefühlen belasten wollte. Deshalb vertraute er sich der Musik an, die wie ein Tagebuch für ihn wurde und das Klavier sein Seelenverwandter. Während sich viele Zeitgenossen durch verschiedene Instrumental- und Vokalgattungen komponierten, schrieb er ausschließlich für die 88 schwarz-weißen Tasten.

Nicht jeder konnte mit Chopins sensibler Art etwas angefangen, auch nicht der irische Komponist John Field, der 1832 in Paris mit ihm Bekanntschaft machte. Er bezeichnete Chopin als "Krankenhaustalent". Field tourte gerade durch Europa und faszinierte die Menschen mit seinem virtuosen Spiel auf dem Klavier. Denn diese kleinen, lyrischen Einfälle, die er Nocturnes nannte, kannte man in Frankreich noch nicht. Mit großen Gesten, pathetisch und reichlich dramatisch, gestaltete er sie aus. Chopin, der einem von Fields Konzerten beiwohnte, bewunderte dessen kompositorische Einfälle und begann kurz darauf eigene Nocturnes zu schreiben – bis zu seinem Lebensende insgesamt 21. Allerdings verbannte er darin Fields Pathos und Künstlichkeit und reichte sie mit Leben an. All seine Gedanken und Gefühle, besonders die, die ihm nachts durch den Kopf jagten, legte er in sie. Bei der melodischen Gestaltung orientierte sich Chopin an der menschlichen Stimme. Denn Chopin war ein großer Vokalmusikliebhaber, der bei den abendlichen Soireen in den Pariser Salons stundenlang den Stimmen der Sänger lauschen konnte. Jede Note stand nun für eine Silbe, jeder Takt für ein Wort und jede Phrase für einen vollendeten Gedanken. Damit trieb Chopin die Gattung des Nocturnes auf die Spitze und vollendete sie – wie die zwei hochmelancholischen und gesanglich schönen Nachtstücke aus op. 27 beweisen. 

Bernd Glemser (Klavier)

Bernd Glemser war selbst noch Student an der Freiburger Musikhochschule, als er 1989 zum damals jüngsten Klavierprofessor Deutschlands berufen wurde – dafür musste er sich aber erst einmal exmatrikulieren. Zuvor hatte er bei Klavierwettbewerben auf der ganzen Welt Erfolge gefeiert und 17 Wettbewerbe in Folge gewonnen, darunter den Busoni-, den Tschaikowsky- und den ARD-Musikwettbewerb. Von den Preisgeldern konnte er sich seinen ersten Flügel kaufen. 
Egal ob Europa, Asien, Amerika oder Australien, heute konzertiert Bernd Glemser überall. 1996 war er der erste Künstler aus der westlichen Welt, der live im chinesischen Fernsehen spielte. Seine über 30 CD-Aufnahmen erhielten fast ausnahmslos Auszeichnungen von der Fachpresse. Dazu gesellen sich viele weitere Auszeichnungen, wie der Europäische Pianisten-Preis, den Bernd Glemser 1993 in Zürich erhielt, der Kunstpreis der Stadt Würzburg (2006) und das Bundesverdienstkreuz (2003). Seit 1996 ist er Professor für Klavier an der Hochschule für Musik Würzburg.

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Katharina Höhne