Eigene Ziele lieber langsam angehen

Warum Erfolg auch unglücklich machen kann

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Moderator/in
Hanns Lohmann
Hanns Lohmann
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SWR1

Zum Jahresbeginn stecken sich viele Menschen ehrgeizige Ziele. Das kann schnell zu Stress und Überforderung führen, wenn es mit den neuen Vorsätzen nicht so gut klappt.

Etliche Coaches, Influencer und Ratgeber können uns Tipps geben, wie wir diese Ziele trotzdem erreichen können. Doch sollten wir wirklich so stark an ihnen festhalten? Leander Greitemann, Buchautor und Coach für Lebensphilosophie aus Mainz, sagt: Vorsicht! Der Weg zum Erfolg kann schnell ins Unglück führen.

SWR1: Warum? Wir empfinden doch Glück, wenn wir unsere Ziele erreichen.

Leander Greitemann: Ja, das stimmt hier und da. Häufig ist jedoch genau die Erwartung, dann besonders glücklich zu sein, wenn man etwas erreicht hat, schon der erste Schritt ins Unglück. Ich kenne eine Autorinnen-Kollegin, die sich immer darüber gerettet hat, dieser Moment, wenn du dein eigenes Buch in den Händen hältst, das wird doch großartig. Und sie hat sich das immer so als letzten Strohhalm vor die Nase gehalten, um es zu schaffen. Und dann hatte sie ihr eigenes Buch in den Händen und es war einer der traurigsten Momente der letzten Jahre, obwohl das Buch schön war. Aber dieses Glücksgefühl blieb aus, und das hat sie alles infrage stellen lassen.

Häufig ist die Erwartung, dann besonders glücklich zu sein, wenn man etwas erreicht hat, schon der erste Schritt ins Unglück.

Ich glaube, ganz viele Leute kennen das, diese Leere, die manchmal auch eintritt. Man denkt dann, wenn ich mein Studium geschafft habe, dann bin ich über wochenlang glücklich, und wenn das noch eine gute Note ist, dann bin ich extra glücklich. Es zeigt sich aber auch, und das zeigen auch die Studien von Dan Gilbert, Harvard-Professor für Psychologie, dass wir das überschätzen, dass wir manchmal wenn es gut läuft, für eine Stunde vielleicht extrem glücklich sind. Aber meistens flacht es dann schon ab.

SWR1: Ihr neues Buch also, von dem ich jetzt ausgehe, dass sie es glücklich in den Händen halten oder gehalten haben, heißt "Unfollow Your Dreams". Also den eigenen Träumen bewusst nicht folgen. Was ist so schlecht daran, Träume verwirklichen zu wollen?

Greitemann: Natürlich ist diese These erstmal provokant und natürlich gibt es auch schöne Aspekte, wie die Hoffnung, die Idee, dass es besser werden kann. Und gerade bei gesellschaftspolitischen Themen glaube ich, ist es auch ganz wichtig, dass wir immer ein bisschen träumen. Ich glaube jedoch auch, dass vor allem im privaten Bereich die Idee, dass es in meinem Leben darum geht, etwas ganz Bestimmtes zu erreichen und, dass dann das Glück kommt – dass das mit jeder Menge Nebenwirkungen daherkommt und, dass es extrem unglücklich machen kann. Weil häufig die Realität des gelebten Traumes – selbst wenn wir ihn erreichen – gar nicht so rosig sein muss, wie wir uns das vorstellen.

Es gibt zahllose Beispiele von Menschen, die es wirklich geschafft haben. Wenn man deren Geschichte hört, oder wie es denen damit geht, dann führt es ganz häufig dazu, dass sie in Depressionen fallen. Es gibt zahllose Youtuber und Youtuberinnen mit massiven Panikattacken. Tausende junge Menschen wollen genau das haben! Der große Traum wäre, mal das Geld mit Youtube zu verdienen, aber wir stellen uns meistens nur die schönen Aspekte vor. Ach, das muss doch toll sein, wenn ein Video so viele Klicks hat, man ist frei, man macht das, was man liebt. Was wir aber übersehen, ist der Druck, die Deadlines, der Kampf gegen den Algorithmus, das tägliche Zählen von Likes, die ganzen negativen Kommentare, dass man schnell einen Shitstorm bekommt, der Druck, der auf einem lastet. Das übersehen wir häufig, wenn wir träumen. Deswegen glaube ich, dass es eine gute Idee ist, zwar eine Idee zu haben, aber sich immer auch bewusst zu machen, dass es darum nicht geht und, dass ich im Endeffekt nicht wissen kann, ob da das Glück liegt. Und das kann aus meiner Erfahrung wesentlich freier und leichter machen.

Es ist gut eine Idee zu haben, aber man sollte sich bewusst machen, dass es darum nicht geht und, dass ich im Endeffekt nicht wissen kann, ob da das Glück liegt.

SWR1: Könnte man ganz radikal diese These formulieren? All dieses Streben nach Glück, wovon ja vor allem zur Jahreswende geredet wird, ist eigentlich Quatsch. Lassen wir besser und leben ganz normal weiter, wie bisher auch.

Greitemann: Ich halte das für eine gute Idee. Ich meine, wenn das ein schöner Moment ist, um mal zu reflektieren, wo stehe ich gerade, wie geht es mir in meinem Job, gibt es Dinge die ich auch verändern kann? Das ist ja total schön auch.

SWR1: Bekommt da der Begriff Stillstand oder auch der Begriff Stagnation eine ganz neue positive Bedeutung?

Greitemann: Absolut. Also ich glaube, diese Idee von "es muss immer besser werden", ist ein ganz großes Problem oder eine ganz problematische Erzählung der jetzigen Zeit. Dass wir immer sagen, es muss dauerhaft besser werden, das sehen wir auch auf einem begrenzten Planeten, wenn wir das Gefühl haben, alles muss immer wachsen, dass dann die Ressourcen irgendwann knapp werden, das sehen wir auf einem großen Level. Aber auf einem kleinen individuellen Level sehen wir das auch, es kann nicht immer besser werden, irgendwann im Leben wird man, wenn man sich an äußeren Faktoren misst, mal ein Peak haben.

Es kann nicht immer besser werden. Irgendwann im Leben wird man mal ein Peak haben.

Es kann sein, dass ich mit 30 als Musiker meinen großen Hit geschrieben habe und nie wieder daran anknüpfen kann. Wenn ich die Idee habe, dass es immer einen besser geben muss, dann renne ich dem mein Leben lang nach. Manchmal kann Stagnation wunderbar sein, wenn es uns davor beschützt, Panikattacken und Depressionen zu bekommen. Was viele Menschen haben, die gerade auf ihrem absoluten Peak stehen. Ja zur Stagnation.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.

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