Zur Wahl standen zwei fraktionsübergreifende Gesetzesentwürfe, wie Sterbewillige todbringende Medikamente bekommen können. Vor allem ging es um Strafbarkeit für Suizidhelfer wie Ärzte oder Angehörige. Prof. Dr. Helmut Frister ist Mitglied des Deutschen Ethikrates und ordnet die Vorschläge ein.
SWR1: Vorschlag 1 will eine begrenzte Strafbarkeit und Vorschlag 2 möchte eher generelle Straffreiheit und betont das Recht, Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Habe ich das richtig zusammengefasst?
Helmut Frister: Ja, Sie haben das im Wesentlichen richtig zusammengefasst. Wobei sich auch nach Vorschlag 2 eine Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz ergeben kann, wenn die dort vorgesehenen Verfahrensanforderungen nicht beachtet werden.
SWR1: In beiden Fällen muss es Beratungen geben. Ist Ihnen das schon zu viel an Anforderungen?
Frister: Nein, ich finde das richtig, dass es in beiden Fällen eine Beratung geben muss. Das ist eine so schwerwiegende Entscheidung, dass man durch eine Beratung sicherstellen muss, dass sich die Menschen bewusst sind, was sie da tun beziehungsweise tun wollen.
SWR1: Wo ist dann der feine und wichtige Unterschied zwischen beiden Vorschlägen?
Frister: Es gibt eine ganze Reihe von Unterschieden. Einer ist, dass der eine Entwurf den alten Paragraphen 217 (Anm. der Redaktion: Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung) im Strafgesetzbuch (StGB), den das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hat, so weit wie möglich aufrechterhalten will. Er führt ihn wieder ein und versieht ihn dann mit einer relativ eng begrenzten Ausnahme.
Ganz wichtig in dem Zusammenhang ist, dass diese Ausnahme zwingend eine psychiatrische Begutachtung voraussetzt. Und zwar auch bei Menschen, bei denen keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie irgendwelche psychischen Defizite haben. Das finde ich sehr fragwürdig.
SWR1: Warum finden Sie das fragwürdig?
Frister: Menschen, die zum Beispiel im Endstadium an Krebs erkrankt sind, aber sich ihrer Krankheit völlig bewusst sind und keinerlei psychische Beeinträchtigungen haben, möchte ich keine umfassende psychiatrische Begutachtung zumuten. Das empfinden solche Menschen, glaube ich, wirklich als Zumutung.
SWR1: Ärztevertreter und Fachverbände warnen vor einer zu weitgehenden Liberalisierung der Sterbehilfe. Sehen Sie da eine Gefahr?
Frister: Natürlich muss man aufpassen, wohin die Reise geht. Aber ich denke, dass wenn eine Pflichtberatung vorgesehen wird und wenn auch vorgesehen wird, wie es beim zweiten Vorschlag ist, dass Sterbehilfe-Organisationen auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüft werden können, dann kann man das Ganze schon in Grenzen halten. Man muss halt sehen, dass grundsätzlich das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung durch das Bundesverfassungsgericht eingefordert worden ist.
SWR1: Und auch, dass es keine Lösung ist, in ein anderes Land wie die Schweiz zu fahren oder sich auf illegale Wege zu begeben, zum Beispiel, indem man die Angehörigen zu etwas drängt, was eigentlich rechtlich nicht in Ordnung ist.
Frister: Nee, das ist sicherlich nicht die Lösung. Wir haben schon in vielen anderen Bereichen das Problem, dass wir Dinge ins Ausland abdrängen, etwa im Bereich der Fortpflanzungsmedizin. Das sollten wir hier nicht auch tun. Auch, das auf die Angehörigen abzuladen, noch mit illegalen Verhaltensweisen, sollte man auf keinen Fall tun.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Claudia Deeg.
*Aktuelle Entscheidung
Das Interview wurde vor der Entscheidung aufgezeichnet. Der Bundestag hat am 6. Juli über die beiden Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe abgestimmt, dabei sind beide Entwürfe gescheitert. Die Hilfe bei Selbsttötung wird in Deutschland also weiterhin nicht gesetzlich geregelt. Aktuelle Informationen finden Sie hier: