In der heutigen Sitzung des Bildungsausschusses im Landtag von Baden-Württemberg ging es vor allem um ein Thema: die Vorwürfe im Turnen in Baden-Württemberg. Und nicht nur damit wird die Aufarbeitung des Skandals am Kunstturnforum vom Land weiter angetrieben. Denn auf Drängen von Theresa Schopper, Landesministerin für Kultus, Jugend und Sport, wurde nun eine Arbeitsgruppe gegründet, die parallel zum Konzept des Deutschen Turnerbundes um die Aufarbeitung kümmern soll.
In einem Entwurf, der unserer Redaktion vorliegt, formuliert das Ministerium den Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) unter anderem folgende Überlegungen: "Will man erreichen, dass sich das Fehlverhalten in Zukunft nicht wiederholt, reicht es nicht aus, nur personellen Konsequenzen zu ziehen." Es sei außerdem nötig, Strukturen zu erkennen, "die für das Fehlverhalten von Personen prägend sind." Insgesamt fünf Personen sollen diese Strukturen identifizieren.
Wer ist Teil der Arbeitsgruppe?
Den Vorsitz der AG wird Clemens Binninger übernehmen. Der 62-Jährige Polizeioberrat ist Mitglied des Deutschen Bundestages und war unter anderem Vorsitzender des 2. NSU-Untersuchungsausschusses.
Natalie Barker-Ruchti ist Sportwissenschaftlerin an der Universität Örebro (Schweden) und betreibt seit vielen Jahren Forschung im Bereich Frauenkunstturnen, hier vor allem zum Missbrauch und zu ethischen Standards. Die Schweizerin war maßgeblich an der Aufarbeitung des Turnskandals in der Schweiz (2021) beteiligt.
Der früherer Staatsanwalt und Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft (u.a. zuständig für terroristische Strafverfahren, insbesondere gegen RAF-Mitglieder) Klaus Pflieger.
Missstände an Turn-Stützpunkten Kritik an Aufarbeitung des DTB: "Als würde man es wieder aussitzen wollen"
Der Deutsche Turner-Bund lässt die Missstände untersuchen. Athletinnen sollen zu Gesprächen eingeladen werden, die Kosten für einen Rechtsbeistand müssten sie aber selbst tragen.
Carmen Borggrefe, Professorin für Sportwissenschaft an der Universität Stuttgart, die einen ihrer Forschungsschwerpunkte im Bereich der Soziologie Spitzensport hat.
Klaus Cachay, ebenfalls Professor für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen und an der Universität Bielefeld. Aktuell leitet Cachay ein Projekt zur Spitzensportförderung in Baden-Württemberg, in dessen Rahmen er zahlreiche Interviews mit Athleten, Trainern und Funktionsträgern geführt hat.
"Mit der Auswahl dieser hoch qualifizierten Persönlichkeiten sehen wir eine neutrale Aufarbeitungsarbeit gegeben", sagt Ulrich Derad, Hauptgeschäftsführer des LSVBW. Sollte die AG zu der Erkenntnis kommen, weitere Mitglieder zu benötigen oder auch weitere Sachverständige hinzuziehen möchte, ist sie frei, dies zu beschließen.
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Derad: "Wir sehen diese Arbeitsgruppe nicht als Konkurrenz"
Die Aufklärung der aktuellen Vorfälle im Turnsport in Baden-Württemberg obliegt weiterhin der Staatsanwaltschaft. Derad geht jedoch davon aus, dass die AG den direkten Kontakt zur Staatsanwaltschaft suchen wird. "Wir sehen diese Arbeitsgruppe nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft", so Derad.
"Dem Badischen und dem Schwäbischen Turnerbund haben wir unsere Pläne vorgestellt", sagt Derad, "beide Verbände haben zugesichert, die nötigen Zugänge zu gewähren und Türen zu öffnen. Auf den Deutschen Turner-Bund haben wir hier keinen direkten Einfluss."
Geplanter Start der AG ist im April, Ende Juli soll dem Ministerium und auf Wunsch auch den Turnverbänden, dem Parlament und dem Bildungsausschuss ein Bericht vorgelegt werden. Dieser kann dann in einer öffentlichen Sitzung debattiert werden.
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Betroffene und Offizielle sprechen im Landtag
Bei der öffentlichen Anhörung im Landtag am Donnerstag sprachen einige Vertreter, aber auch Betroffene rund um den Turnskandal. So gab die ehemalige Profiturnerin Janine Berger ein Statement ab. "Hier wird klare Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Denn nicht wir tragen Verantwortung, sondern diejenigen, die durch ihr systematisches Wegschauen Missbrauch ermöglicht und jahrelang interne Meldungen ignoriert haben oder sogar vertuschen wollten. Und es ist ignorant und erniedrigend, wenn ein Präsident und Vorstände versuchen darzustellen, die Missstände seien nur ein Relikt der Vergangenheit", sagte Berger.