So lief die bisherige Saison
Platz zehn nach 15 Spielen in der Bundesliga (allerdings bei einer sehr engen Tabellenkonstellation), Viertelfinale im DFB-Pokal, in der Champions League noch realistische Chancen auf die Playoffs nach der Gruppenphase. Das ist die aktuelle Bilanz des VfB Stuttgart - die Schwaben dürfen damit zufrieden sein. Denn - auch wenn es im Nachhinein keiner zugeben will - die Angst vor dem Absturz dürfte bei Einigen groß gewesen sein. Platz zwei in der Vorsaison, Vizemeisterschaft mit Rekordpunktzahl, begeisternder Fußball - alles Faktoren, die für eine enorme Fallhöhe sorgten. So ging es schließlich bereits einigen Klubs, nachdem sie überperformed hatten und überraschend in die Königsklasse vorgestoßen waren. Als abschreckendes Beispiel etwa diente Union Berlin, das in der abgelaufenen Spielzeit als Champions-League-Qualifikant fast aus der Bundesliga abgestiegen wäre.
Es gab sie also, die Sorgen vor dem "Downfall". Erst recht, weil der VfB im Sommer einige Leistungsträger verloren hatte. Neben Top-Torjäger Serhou Guirassy (letztes Jahr 28 Treffer in 28 Spielen), der mittlerweile für den BVB stürmt, gingen der letztjährige Abwehrchef Waldemar Anton (ebenfalls Borussia Dortmund), der in der Spieleröffnung sehr stark war, sowie der polyvalente und ungemein wertvolle Defensivspieler Hiroki Ito (FC Bayern München) von Bord. Die als Ersatz geholten Spieler brauchten Zeit, sich zu akklimatisieren und das System von Trainer Sebastian Hoeneß zu adaptieren. So weit, so normal.
Was dem VfB zusätzlich zu schaffen machte, war die Dreifachbelastung. Stuttgart spielte erstmals seit der Saison 2013/14 wieder international. Nach Jahren des Abstiegskampfes eine völlig neue Erfahrung. Und das in der Champions League, im neuen Modus mit 36 Teams und acht Vorrundenpartien (von denen bislang sechs gespielt wurden). Das zehrte ebenso an den Kräften wie die zahlreichen Abstellungen für die Nationalmannschaften. Alleine beim DFB-Team stellten die Schwaben im Herbst den stärksten Block. Eine Auszeichnung für die starke Arbeit im Verein, die aber auch Bürde war. Denn regulärer Trainingsbetrieb, in dem Systeme, Laufwege oder Spielzüge einstudiert werden konnten, war während der Englischen Wochen und der Länderspielpausen allerhöchstens eingeschränkt möglich.
Dazu kamen noch weitere Widrigkeiten. Etwa dass zahlreiche Gegner den VfB mittlerweile das Spiel machen lassen und tief stehen. Und natürlich zahlreiche Verletzungen von Leistungsträgern wie Deniz Undav, Jamie Leweling, El Bilal Touré oder Dan-Axel Zagadou. Erschwerte Bedingungen also allenthalben - und deshalb ist die bisherige Bilanz zufriedenstellend.
Das Highlight der bisherigen Saison
Hier sind ganz klar gleich zwei denkwürdige Spiele zu nennen. Da wäre zum einen der erste Champions-League-Sieg seit fast 15 Jahren. Ende Oktober siegte der VfB mit 1:0 bei Juventus Turin.
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Der VfB Stuttgart siegt in der Champions League bei Juventus Turin - und das hochverdient. Nach der Partie war der Stolz bei den Schwaben förmlich greifbar.
Nicht nur der Erfolg an sich, sondern die Art und Weise, wie die drei Punkte eingefahren wurden, beeindruckte. Stuttgart spielte den italienischen Topklub in dessen eigenem Stadion phasenweise an die Wand und war drückend überlegen. Bereits zur Halbzeitpause lautete das Torschussverhältnis für die Schwaben 12:1, nach Ende des Spiels lag der VfB in dieser Statistik mit 22:7 vorne. Dass es bis zur Nachspielzeit dauerte, ehe El Bilal Touré endlich für den erlösenden Treffer sorgte (90. Minute + 2), spiegelt die Kräfteverhältnisse nicht mal ansatzweise wieder. Für den VfB war die Partie bei Juventus der Beweis, dass man an guten Tagen auch mit der internationalen Spitze mithalten kann.
Die zweite Partie, die ein absoluter Höhepunkt der bisherigen Saison ist, war das 5:1 des VfB Stuttgart gegen den BVB am vierten Bundesliga-Spieltag. Nicht nur, weil das Hoeneß-Team nach einem etwas schleppenden Saisonstart zeigte, dass es weiterhin mit attraktivem Fußball in der Lage ist, große Gegner zu dominieren. Sondern vor allem, weil das Match ein Wiedersehen mit den "abtrünnigen" Anton und Guirassy war. Rache ist süß, wird sich der ein oder andere Stuttgarter nach dem mehr als deutlichen Erfolg gedacht haben. Zudem wurde insbesondere der langjährige Abwehrchef Anton von den Anhängern derart ausgepiffen, dass ihm noch lange nach der Partie die Ohren geklingelt haben dürften.
Diese Spieler haben überzeugt
Es gibt beim VfB Stuttgart gleich einige Spieler, die trotz der Dreifachbelastung einen weiteren Schritt nach vorne gemacht haben. Enzo Millot etwa wäre da zu nennen. Sechs Scorerpunkte in der Bundesliga, fünf in der Champions League, einer im DFB-Pokal, dazu kommen viele vorletzte Aktionen. Der 22-Jährige übernimmt immer mehr Verantwortung auf dem Platz und ist nicht umsonst auch bei Frankreichs U21 zum Kapitän aufgestiegen. In Sachen Effizienz kann Millot noch zulegen, aber er gehört beim VfB bereits jetzt zu den Unverzichtbaren.
Bis zu seiner Muskelverletzung Anfang November war auch Jamie Leweling einer der Aufsteiger der Saison. Der Offensivspieler hatte dafür gesorgt, dass für Nationalspieler Chris Führich nur noch ein Bankplatz blieb und dass Silas den Klub aufgrund von geringen Einsatzchancen kurz vor Ende der Transferperiode in Richtung Roter Stern Belgrad verließ. Der Lohn für die starken Leistungen: eine vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2029.
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Neuzugang Jeff Chabot (1. FC Köln) hat sich in der VfB-Abwehr schnell unentbehrlich gemacht und insbesondere in der Champions League starke Leistungen gezeigt. Der Innenverteidiger ist ein echtes Kraftpaket und verteidigt dadurch körperlicher als die Abgänge Anton und Ito. Chabot gilt als echtes "Zweikampfmonster" - Kopfbälle inkludiert - und stellte dies bislang auch überzeugend unter Beweis. Was ihm noch abgeht, ist die Passsicherheit seiner Vorgänger, insbesondere im vertikalen Spielaufbau. Aber auch Chabot lernt ständig dazu und ist noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung.
Während mit Angelo Stiller ein weiterer Spieler seine Vorjahresform in die neue Saison retten konnte und weiterhin zu den Leistungsträgern gehört, hat auch Anrie Chase überzeugt. Der 20-jährige Japaner, den man als Shootingstar bezeichnen könnte, wurde von VfB-Coach Hoeneß aufgrund der Personalknappheit in der Defensive ins kalte Wasser geworfen - und er schwamm sich frei. Elf Bundesligaspiele, vier in der Champions League, drei im DFB-Pokal (inklusive seines Premierentreffers im Achtelfinale gegen Regensburg) - eine stolze Bilanz für den Innenverteidiger. Die Spielweise von Chase ist unkonventionell, es sieht mitunter etwas hektisch aus, dafür gibt er immer alles und wirft sich mit allem, was er hat, in die direkten Duelle.
Zudem hat sich in den Spielen vor der kurzen Winterpause Nick Woltemade beeindruckend in den Fokus gespielt. Er gibt dem VfB vor allem durch seine Stärke im Bälle festmachen mit dem Rücken zum gegnerischen Tor eine Komponente, die so kein anderer Spieler hat.
Hier ist noch Luft nach oben
Die Souveränität aus der Vizemeister-Saison ging den Schwaben oft ab. Die spielerische Leichtigkeit ist verflogen, Siege müssen hart erarbeitet und erkämpft werden. Damit war aber zu rechnen, dass Hoeneß-Team macht es angesichts der Umstände gut.
Neu sind in dieser Saison Spiele gewesen, in denen der VfB chancenlos war. Das gab es in der vorigen Spielzeit nicht. Beim 0:4 in München ging Stuttgart ebenso unter wie beim desaströsen 1:5 in Belgrad, als die komplette Mannschaft enttäuschte und kein Spieler seine Normalform abrufen konnte. Ausreißer nach unten, sie dürften zum Lernprozess einer Mannschaft mit Dreifachbelastung gehören, sollten aber nicht zu oft vorkommen.
Luft nach oben besteht auch noch in der Defensive, in lediglich fünf von 25 Pflichtspielen blieb der VfB ohne Gegentor. Vorne hapert es indes manchmal an der Effizienz, mit einer besseren Chancenverwertung könnte Stuttgart noch besser dastehen.
Ausblick für 2025
Der VfB Stuttgart wird sein proklamiertes Ziel der "sorgenfreien Saison" sicher erreichen. Die erneute Qualifikation fürs internationale Geschäft ist drin, vor allem, wenn die Dreifachbelastung im Frühjahr wegfallen sollte. Die Europa League könnte ein realistisches Ziel sein. Noch einmal in die Champions League einzuziehen dürfte indes - auch angesichts der nationalen Konkurrenz - schwierig werden. Dafür hat das Team im DFB-Pokal große Chancen. Im Viertelfinale steht ein Heimspiel gegen Augsburg an (Dienstag, 04.02., 20:45 Uhr). Sollte diese Hürde gemeistert werden, wären es "nur" noch zwei Spiele bis zu einem möglichen Pokalsieg.