Enzo Millot wusste genau, bei wem er sich nach dem 5:1 des VfB Stuttgart gegen den BVB bedanken musste. "Lord's day" - "der Tag des Herrn", postete der Offensivspieler nach seinem Gala-Auftritt in den sozialen Medien.
Bereits auf dem Spielfeld hatte sich der gläubige Franzose mehrfach mit einem Blick gen Himmel und nach oben gerichteten Zeigefingern für göttlichen Beistand bedankt.
Die "Hilfe von oben" scheint auf jeden Fall gefruchtet zu haben, jedenfalls liest sich Millots Arbeitsnachweis formidabel: Ein Tor - das zwischenzeitliche 3:0 gegen überforderte Dortmunder - erzielte der 22-Jährige selbst, zwei weitere Treffer bereitete er vor. Er warf sich in 17 Zweikämpfe - kein anderer Spieler bestritt mehr direkte Duelle - und wies bei seinen Dribblings eine Quote von 100 Prozent auf (Quelle: Opta). Viel besser geht es nicht.
VfB-Trainer Sebastian Hoeneß adelt Enzo Millot
Das sah auch VfB-Trainer Sebastian Hoeneß so. "Der Junge ist gesegnet mit außergewöhnlichen Qualitäten, wirklich unglaublich", adelte der Coach den französischen Olympia-Teilnehmer. "Er läuft oft ein bisschen unter dem Radar, aber gegen den BVB hat er sich die ganz große Bühne verdient. Das war herausragend, ein anderes Level. Damit hat er einen Standard gesetzt, den er gerne wiederholen darf."
Unter Bruno Labbadia außen vor
Hoeneß und Millot - das ist einfach ein Match. Unter Ex-Trainer Bruno Labbadia saß der hochveranlagte Edeltechniker hingegen häufig auf der Bank, eine tragende Rolle im Abstiegskampf wurde ihm offenbar nicht zugetraut. Im Januar 2023 hatte Labbadia den damals 20-Jährigen sogar öffentlich angezählt. "Er gibt uns nicht das, was wir brauchen", sagte der erfahrene Coach damals. Alte Trainerschule auf der einen Seite, jugendliche Unbekümmertheit, auch manchmal Übermut oder Undiszipliniertheiten auf der anderen Seite - es passte hinten und vorne nicht.
Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Labbadia musste alsbald seinen Hut nehmen, Sebastian Hoeneß übernahm den VfB in schier aussichtsloser Lage und rettete die Schwaben in der Saison 2023/2024 noch. Einer der Protagonisten dabei: Enzo Millot. Hoeneß setzte von Beginn auf die Qualitäten des 1,74 Meter großen Profis - und der dankte es ihm. Gleich im ersten Pflichtspiel des neuen Coaches sorgte Millot im DFB-Pokal für den Siegtreffer gegen Nürnberg - und wurde danach immer wichtiger. Er ging seitdem einige Entwicklungsschritte - der Anteil von Hoeneß daran dürfte groß sein. Zwischen den beiden stimmte die Chemie jedenfalls von Anfang an.
Starke Statistiken für Enzo Millot
Bereits in der abgelaufenen Spielzeit hatte Millot großen Anteil an der sensationellen Vizemeisterschaft. In 35 Pflichtspielen gelangen ihm sechs Treffer, elf weitere bereitete er vor. In dieser Saison weist er nach vier Bundesliga-Spieltagen je zwei Tore und Assists auf.
Erinnerungen an Aleksandr Hleb
Millots Mehrwert geht allerdings über die bloßen Statistiken hinaus. Sein Tempo und seine tiefen Läufe schaffen wichtigen Raum für die Mannschaft, mit seiner Grundaggressivität ist er ein wichtiger Zweikämpfer und spielt im Hoeneß-Pressing eine große Rolle. Darüber hinaus klebt ihm in Dribblings der Ball derart am Fuß, dass beim VfB Stuttgart bereits Erinnerungen an Aleksandr Hleb, einstiger Spitzname "Zauberlehrling", wach werden.
Millot spielte ebenfalls lange wie ein "Zauberlehrling", aber er emanzipiert sich von dieser Rolle zusehends. Der 22-Jährige übernimmt Verantwortung und traut sich immer mehr zu. In der französischen U21 wurde er jüngst zum Kapitän befördert, mit seiner Olympiaauswahl holte er bei den Spielen 2024 Silber und war dabei einer der Leistungsträger.
Deniz Undav mit Lob und Kritik
Er kam im Anschluss an Olympia mit einer derart breiten Brust zurück nach Stuttgart, dass man befürchten konnte, sie könne bersten. Ein Grund dafür, warum Millot aktuell so gut wie nie ist.
"Dass er ein überragender Spieler ist, habe ich bereits bei meinem ersten Tag in Stuttgart gesehen", sagte VfB-Angreifer Deniz Undav über seinen Offensivkollegen. "In der abgelaufenen Saison hat ihm manchmal noch der letzte Kick gefehlt, aber jetzt ist er der überragende Spieler bei uns. Wir wissen, was er kann und das hat er gegen den BVB gezeigt. Du kannst ihn immer anspielen, er will jeden Ball haben, es ist für jeden Mitspieler schön, Enzo neben sich zu haben." Einziger Kritikpunkt von Undav - garniert mit einem breiten Grinsen: "Er hätte noch mehr Tore machen können, aber langsam wird er da auch besser. Das kommt noch."
Und was sagte Millot nach seiner Gala selbst? Anders als auf dem Platz trat der Kreativspieler sehr bescheiden auf. "Das war eine starke Mannschaftsleistung, wir waren vor dem Tor sehr gut", sagte er im Interview mit SWR Sport. "Wenn wir so weitermachen, dann kann es eine sehr gute Saison werden."
Daran könnte er selbst großen Anteil haben - wenn auch er genau so weitermacht. Es spricht jedenfalls nichts dagegen - und sein großes Ziel ist es schließlich, "den Level zu halten und mit dem VfB wieder international zu spielen" - also dauerhaft auf der "großen Bühne".