SWR Sport: Ottmar Hitzfeld, wie werden Sie Ihren 75. Geburtstag feiern?
Ottmar Hitzfeld: Ich werde das im kleinsten Familienkreis machen, ich brauche keine ausschweifende Party mit illustren Gästen. Es geht mir bestens, und ich genieße das entschleunigte Leben als Rentner.
Wenn Sie sich zu Ihrer kleinen Feier einen Überraschungsgast herbeiwünschen könnten – welchen Menschen hätten Sie gern dabei?
Zu Helmut Benthaus habe ich eine besondere Beziehung. Er war mein größter Förderer, als ich ein junger Fußballer war. Ich war mit 22 Torschützenkönig beim FC Lörrach in der obersten Amateurliga, wollte aber mehr erreichen. Also habe ich mir die Telefonnummer von Benthaus, der damals Trainer beim FC Basel war, aus dem Telefonbuch rausgeschrieben und ihn angerufen. Daraufhin hat er mich zum Probetraining eingeladen. Benthaus wurde ja 1984 Meistertrainer des VfB Stuttgart. Er lebt heute wieder in Basel. Mittlerweile ist er 88.
Sie haben alle Höhen und Tiefen eines Trainerlebens durchlebt. Wer oder was hat Ihnen in all diesen Jahren die nötige Kraft und Energie gegeben?
Meine Frau Beatrix und mein Sohn Matthias haben mir immer den Rücken freigehalten. Gerade meine Frau war auch in den schwereren Zeiten fest an meiner Seite. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Ohne sie hätte ich nicht diese Erfolge gehabt. Außerdem haben mir mein christlicher Glaube und meine positive Lebenseinstellung sehr geholfen.
Früher waren es die sportlichen Erfolge, die Sie motiviert und stolz gemacht haben. Was macht Sie heute zufrieden?
Heute lebe ich im Hier und Jetzt und genieße den Alltag. Ich mag es, morgens Brötchen zu holen und mich mit Zeitungen zu versorgen. Oder ich freue mich, wenn ich Zeit mit meinen Enkelkindern verbringen kann.
2004 mussten Sie sich wegen eines Burnouts für gut zwei Jahre komplett aus dem Trainerjob herausnehmen. Damals galt das Thema "Mentale Gesundheit" noch als Tabu. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung, in der immer mehr Profis wie Robin Gosens, Timo Baumgartl oder Nils Petersen offen über dieses Thema sprechen?
Das Thema mentale Gesundheit wurde viel zu lange vernachlässigt. Zum Glück kann man heute auf psychologische Unterstützung im Leistungssport zählen. Zu meiner Zeit sprach man in der Öffentlichkeit nicht über dieses Thema. Als ich mich wegen meines Burnouts rausnehmen musste und sogar das Angebot, DFB-Bundestrainer zu werden, ausschlug, haben wir die wahren Gründe verschwiegen. Die Zeit war damals leider noch nicht reif für einen offeneren Umgang.
Popstar Marius Müller-Westernhagen, der kürzlich ebenfalls 75 wurde, sagte: "Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Fehlern. Es gilt, daraus zu lernen und zu wachsen." Aus welchen Fehlern haben Sie in Ihrem Leben am meisten gelernt?
Er hat Recht. Wir alle sind Menschen und machen Fehler. Auch ich habe Fehler gemacht. Aber ich denke, meine Selbstreflexion hat mir nach allen Spielen, besonders nach Niederlagen, sehr geholfen und mich in meiner Entwicklung weitergebracht.
Als ehemaliger Torjäger des VfB Stuttgart (38 Tore in 77 Spielen zwischen 1975 und 1978) haben Sie Ihren Ex-Klub immer noch im Blick. Welchen Eindruck macht Trainer Sebastian Hoeneß auf Sie?
Sebastian Hoeneß ist mit seinen 41 Jahren noch jung, aber bereits zu einer Persönlichkeit gereift. Er macht auf mich einen souveränen Eindruck. Ich denke, er hat den größten Anteil am Stuttgarter Höhenflug mit dem aktuellen Champions-League-Platz.
Die Nationalmannschaft der Schweiz, die Sie bis zu Ihrem Karriereende 2014 trainiert haben, ist bei der EURO 2024 Vorrundengegner Deutschlands. Was trauen Sie der Schweiz mit Trainer Murat Yakin bei der EURO zu?
Die Schweiz hat eine überragende Spielergeneration und mit Murat Yakin einen ruhigen und sachlichen Trainer, der sein Team immer wieder perfekt einstellt. Deutschland ist in meinen Augen zwar Favorit, aber ich tippe auf ein Unentschieden.
Viele deutsche Fußballfans machen sich im Hinblick auf die EURO 2024 Sorgen um das DFB-Team von Trainer Julian Nagelsmann. Sie auch?
Deutschland zählt für mich zum Favoritenkreis bei dieser Heim-EM. Ich habe großes Vertrauen zu Julian Nagelsmann. Er wird sein Team mit dem nötigen Selbstverständnis auftreten lassen.