Das Fragezeichen ist groß. Auch bei mir. Die erklärte Nummer eins ist verletzt, Marc-André ter Stegen wird noch einige Monate ausfallen. Wann er wieder fit ist und dann auch in Bestform zurückkommt? Ungewiss. Wen würde ich bis dahin oder möglicherweise sogar darüber hinaus ins deutsche Tor stellen, wenn ich Julian Nagelsmann wäre? Routinier Oliver Baumann? Oder doch den deutlich jüngeren Alexander Nübel?
Stand jetzt ist das ein Luxusproblem für den Bundes-Julian. Zweimal rotierten Baumann und Nübel in den beiden vergangenen Nations-League-Doppelpacks. Zweimal erledigten der Hoffenheimer und der Stuttgarter ihren Job prima. Auf beide konnte sich der Bundestrainer verlassen. Oliver Baumann blieb sogar in seinen zwei Premiere-Länderspielen ohne Gegentor.
Alexander Nübel wäre das um ein Haar am Dienstagabend gegen die Ungarn gelungen. Erst in der Nachspielzeit, mit der letzten Aktion der Partie, kassierte der bis dahin herausragende VfB-Keeper einen frechen Panenka-Chip von Dominik Szoboszlai. Frustig, ärgerlich, aber sicher nicht entscheidend, was die künftige Ausrichtung im deutschen Tor angeht.
Baumann, der Elfmeter-Spezialist
Apropos Elfmeter: Konkurrent Oliver Baumann gilt als ein begnadeter Elfer-Spezialist, hielt bereits 15 Strafstöße in der Bundesliga. Er steht damit in den Top-Ten der Historie. Baumanns Können im Elferduell könnte gerade bei K.o.-Spielen zum entscheidenden Trumpf bei einem Entscheidungsschießen vom Punkt bei den Finalrunden einer WM werden. Was sonst noch für Baumann spricht? "Oli" glänzt vor allem mit unfassbarer Routine.
Mit bislang 471 Bundesligaspielen hat sich der inzwischen 34-Jährige unter die Top-20 der Vielspieler in der Liga-Geschichte eingeordnet. Und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht, bei der nächsten WM wäre er knapp 36. Für einen Keeper kein Problem, wie die Vergangenheit zeigt. Mit 28 Europapokalspielen in seiner Vita besitzt der frühere Freiburger auch genügend internationale Erfahrung. Und: Der frühere Freiburger ist ein absoluter Führungsspieler, seit Jahren Kapitän im Kraichgau.
Alexander Nübel ist sechs Jahre jünger als Baumann
Für Alexander Nübel spricht vor allem das Alter. Mit seinen 28 Jahren gehört ihm sicherlich die Zukunft, er wäre gleich für mehrere künftige WM- und EM-Turniere eine starke Option. Zudem besitzt die VfB-Leihgabe auch einen Standortvorteil: Nübel gehört dem FC Bayern und soll dort mittelfristig Manuel Neuer beerben. Stetige Champions-League-Beschäftigungen und Duelle auf höchstem Niveau wären ihm an der Isar sicher.
Gut für ihn: Aktuell spielt der frühere Schalker bereits mit Stuttgart in der Königsklasse, Baumann "nur" Europa League. Fußballerisch sticht bei Alexander Nübel vor allem das Aufbauspiel heraus. Der Torspieler ist mit dem Ball am Fuß eine Wucht. Mit bislang 163 Erstligaspielen in Deutschland und Frankreich kann Nübel einem Baumann in Sachen Routine zwar (noch) nicht das Wasser reichen. Ausreichend Erfahrung ist dennoch schon da, um auch im deutschen Gehäuse sein Handwerk hochklassig zu erledigen.
Warum nicht Baumann UND Nübel?
Im neuen Jahr will Julian Nagelsmann das Job-Sharing zwischen den Pfosten beenden. Sich auf eine Nummer eins festlegen. Baumann oder Nübel? Nach wie vor schwierig zu beantworten. Mir stellt sich vielmehr die Frage: Warum nicht Baumann UND Nübel? Warum nicht weiter auf Rotation setzen? Im Eishockey oder im Handball sind starke Torhüter-Gespanne gang und gäbe.
Gerade auch bei großen Turnieren wechseln sich die Keeper oft von Spiel zu Spiel ab, um die Belastungen zu steuern. Unsere beiden aktuellen Nationaltorhüter unterscheiden sich kaum in ihrem Leistungsvermögen. Man könnte Oliver Baumann und Alexander Nübel in diesem Fall je nach Gegner nominieren, beide damit in ihrer Wertschätzung und Wichtigkeit stärken.
Entscheidung im März
Fakt ist: Bis zu den nächsten Länderspielen im März will sich der Bundestrainer erklären. Für den Hoffenheimer oder den Stuttgarter? Bis dahin gibt es für Baumann und Nübel genügend Gelegenheit, sich in der Bundesliga und im Europapokal auszuzeichnen und für sich zu werben.
Und egal, wie's ausgeht, die beiden Torhüter verstehen sich als Tandem im Team prächtig. Ein emotional-belastendes Duell wie einst beispielsweise zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann wird es nicht geben. Und nicht zu vergessen, irgendwann wird auch ein ter Stegen wieder seinen Hut in den DFB-Ring werfen. Es bleibt spannend mit einem großen Fragezeichen.