Hoher Besuch hat sich angekündigt im kleinen Andernach. Die Sportgemeinschaft bekommt es in der zweiten Runde des DFB-Pokals der Frauen mit Bundesligist SC Freiburg zu tun. Auf dem Papier seien die Vereine gar nicht so weit voneinander entfernt, sagt SG-Trainer Florian Stein. Beide trennt nur eine Liga. Die SG, der einzige Zweitligist aus Rheinland-Pfalz, konnte in der Vorsaison einen überraschend starken Platz vier erreichen, der Sport-Club war in der ersten Liga Sechster. Doch der Schein trüge, ergänzt Stein. Zwischen den Vereinen lägen "Welten". Wegen der mangelnden Professionalisierung sei die zweite Liga nicht mit der im Männerfußball zu vergleichen. Es sei ein Spiel der Profis gegen Amateure. Also das Spiel des Jahres für die Frauen der SG Andernach?
Andernach gegen den SC Freiburg: Das Spiel des Jahres?
Dazu kommt ein klares Jein vom Sprecher des Medienteams Bodo Heinemann. Eigentlich hätte er sich den VfL Wolfsburg oder den FC Bayern München als Gegner gewünscht. Die Bayern wären es fast geworden. Am Ende lagen nur noch der FCB und der SCF für Andernach im Lostopf. Wäre der FC Bayern gezogen worden, hätte das für Andernach deutliche Mehreinnahmen bedeutet. Wären die Münchnerinnen mitsamt ihren Vizeeuropameisterinnen in den Norden von Rheinland-Pfalz gereist, wäre vermutlich der Zuschauerrekord der SG gefallen. Dieser liegt aktuell bei knapp 1.000 Zuschauern. Im Zuge der EM-Euphorie hätte Heinemann gegen die Bayern mit 2.000 bis 3.000 Zuschauern gerechnet.
Trotzdem könne der Liga-Alltag nicht mit dem Duell gegen den Erstligisten mithalten. Gegen Freiburg erwartet Heinemann, der die Frauenabteilung Andernachs gegründet hat, 400 bis 500 Zuschauer. Zum Vergleich: Im Schnitt kommen 150 bis 200 Menschen zu einem Zweitligaspiel in das Stadion in Andernach, welches über eine Holztribüne verfügt. Der Verein hat vorsorglich sogar 1.000 Tickets drucken lassen. Deswegen legt sich Heinemann doch noch fest: "So ein Pokalspiel ist immer etwas Besonderes. Das wird schon das Spiel der Saison werden. Es sei denn, es folgt ein weiteres."
Andernach vor dem Duell mit dem SC Freiburg: Realistisch bleiben, aber trotzdem hoffen
Die SG rechnet zwar nicht mit dem Weiterkommen, aber glaubt an ihre Chance. Das sei der Vorteil des Loses. Gegen Wolfsburg oder München wäre man chancenlos. "Gegen Freiburg besteht die vorsichtige Hoffnung, dass an einem guten Tag etwas geht", sagt Heinemann. In den Vorsaisons ist der Zweitligist mit 0:1 an den damaligen Erstligisten Jena und Sand gescheitert. Allerdings hat Andernach 2020/2021 nach einigen leichteren Losen im Viertelfinale gegen Eintracht Frankfurt 1:7 verloren. Beim letzten Aufeinandertreffen mit dem SC Freiburg hatte Andernach keine Chance. 0:4 unterlagt das Team 2016 ebenfalls in der zweiten Runde des Pokals.
Angst vor einer Demontage hat Trainer Stein nicht, damit beschäftige er sich gar nicht. "Ich glaube, wir können mithalten mit einem Erstligisten", sagt er. "Es gibt einfachere Aufgaben als Andernach. Der Druck liegt beim SC Freiburg." Für Freiburg beginnt die Saison mit der neuen Trainerin Theresa Merk erst noch. Die SG wiederum ist eingespielt und bereits gut gestartet. Das erste Ligaspiel gewann sie 3:1, passenderweise gegen die zweite Mannschaft des SC Freiburg. "Alles kann, nichts muss", gibt sich Stein hoffnungsvoll.
Andernachs möglicher Weg zur Überraschung
In der Vorbereitung habe er zwar den Gegner analysiert, aber man müsse auch auf seine Stärken vertrauen. Die SG habe weniger herausragende Einzelspielerinnen, aber dafür einen starken Teamspirit. Außerdem sei das Umschaltspiel besonders gut. In der vergangenen Saison waren zudem Standardsituationen eine Stärke.
Für ein Spiel gegen einen hohen Favoriten klingt das nach kollektiver Arbeit gegen den Ball, um dann auf Konter oder einen Standard zu hoffen. Darauf will sich Stein aber nicht allein verlassen. Zum einen könne man körperlich gegen einen guten Gegner nicht 90 Minuten gegen den Ball laufen. Zum anderen will er das auch gar nicht. Er sieht seine Mannschaft inzwischen so gefestigt im Spiel mit dem Ball, dass er selbst gegen Freiburg Ballbesitzphasen sehen möchte. Er hofft, das Spiel so möglichst lange offen gestalten zu können und seine Spielerinnen "in die Box zu kriegen", um vielleicht "irgendwie" in Führung zu gehen.
Mit der Einschätzung steht der Trainer nicht alleine da. Seine Mannschaft, in Person der Kapitänin Lisa Umbach, traut sich Ballbesitz zu und glaubt an ihre Chance: "Grundsätzlich sollte unser Ziel erstmal sein, die Null solange, wie es geht, zu halten, und ich denke nach vorne können wir immer Ausrufezeichen setzen."
Die Protagonistinnen der SG Andernach
Zudem sieht er seinen Kader auf hohem Zweitliga-Niveau, einige Spielerinnen könnten vielleicht sogar in der Bundesliga bestehen. Mögliche Schlüsselspielerinnen für das Umschaltspiel könnten die schnellen Maren Weingarz oder Julia Schermuly sein. Schermuly war in der vergangenen Saison mit 14 Treffern die Toptorjägerin der SG. Danach folgten die ehemaligen U-Nationalspielerinnen Vanessa Zilligen sowie Kathrin Schermuly, die Schwester von Julia. Kathrin Schermuly war U-20-Weltmeisterin und ist gemeinsam mit der Kapitänin Lisa Umbach eine der treibenden Kräfte im Mittelfeld. Umbach ist das Sprachrohr des Teams. Neben dem Platz arbeitet sie im Marketing einer großen Firma und betreut den Instagram-Account des Vereins.
Im Interview schildert Umbach SWR Sport die Stimmung im Team. Ein wenig Aufregung sei schon da. Gerade bei den jungen Spielerinnen, die noch nie gegen einen Erstligisten gespielt haben. Dabei spiele sie als erfahrene Kapitänin eine besondere Rolle: "Ich habe auch schon das eine oder andere Mal gegen einen Erstligisten gespielt und denke, dass ich das auch ganz gut im Spiel einbringen kann, die jungen Spielerinnen mitzunehmen und auf dem Platz voranzugehen."
Weitere wichtige Eckpfeiler sind Laura van der Laan im Tor als "gewohnt sicherer Rückhalt", wie Stein sie beschreibt, und die neue Stürmerin Carolin Schraa. Sie spielte in der Bundesliga für den 1. FC Köln, wo sie nach einem Kreuzbandriss und einer Verjüngung des Teams nicht mehr gebraucht wurde. Ein Glücksfall für die SG Andernach laut Bodo Heinemann: "Einen Königstransfer nennt man das heutzutage." Schraa ist eine klassische Strafraumstürmerin, die gleich im ersten Spiel für Andernach gegen Freiburg II einen Doppelpack schnürte. Vielleicht eine Spielerin, die gegen einen großen Bundesligisten in der "Box" auftauchen und eine der wenigen Chancen verwerten kann.
So geht man bei der SG Andernach mit Respekt, aber nicht demütig in die Partie gegen den SC Freiburg. Von einem Weiterkommen gehen sie nicht aus bei der SG. Aber die kleine Chance, die sich bietet, wollen sie ergreifen. Bodo Heinemann formuliert es so: "Der Sieg wäre eine Überraschung, aber keine Sensation."