Wie ist es, als Geflüchtete in Deutschland aufzuwachsen?
Als 6-Jährige flüchtet Hawra mit ihrer Familie aus dem Irak und kommt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Geislingen unter. Ihre Eltern sprechen kein Deutsch und Hawra muss schon früh Verantwortung übernehmen: „Für mich war alles neu! Ich habe mit meinen Deutschkenntnissen aus dem Kindergarten für meine Mutter beim Arzt übersetzt.” Nach der Grundschule erhält Hawra die Hauptschulempfehlung: „Das war für mich als Kind nicht einfach. Ich wurde dafür gemobbt und musste mir Sprüche anhören wie: Bist du dumm? Es tat weh!”
Aber die Sprüche machen Hawra stark: „Ich dachte mir: Ich bin nicht dumm. Ich kann das auch!” Und so entscheidet sie sich, den Realschulabschluss zu machen. Danach bewirbt sie sich für unterschiedliche Ausbildungsberufe, erhält aber keinen Ausbildungsplatz und beschließt, das 3-jährige Berufsgymnasium in Tübingen zu besuchen. Hawra erzählt: „Ich kam ja von der Hauptschule und dann kamen wieder die Vorurteile, wenn ich mal wieder eine schlechte Note geschrieben habe: Du hast nicht die ausreichenden Kompetenzen. Dir fehlt die Basis.” Doch Hawra gibt nicht auf und besteht das Abitur.
Warum trage ich ein Kopftuch?
Mit 9 Jahren entscheidet sich Hawra ein Kopftuch zu tragen. In der Schule wird sie mit Vorurteilen konfrontiert: „Als ich mit dem Kopftuch in die Schule kam, haben mich meine Lehrer gefragt, ob ich dazu gezwungen werde. Viele Lehrer haben sich dagegen ausgesprochen. Ich habe mich als Kind gefragt: Was ist jetzt los? Ich bin doch immer noch die gleiche Hawra.” Rückblickend hätte sich Hawra mehr Akzeptanz gewünscht, denn ihre Intention ist: „Ich wollte einfach sein wie meine Mama. In meiner Familie tragen alle Frauen ein Kopftuch und ich habe mich als Kind darauf gefreut.” Auch passt sie ihre Berufswahl aufgrund ihres Kopftuchs an:
Als Frau im Straßenbau: Bauleiterin im Tiefbauamt
Hawra entscheidet sich für die Universität in Stuttgart: „Ich dachte, ich bin nur mit Männern im Studiengang. Aber tatsächlich waren da sehr viele Frauen. Es war eine sehr schöne Zeit und ich habe viel gelernt.” Ihre Eltern geben Hawra starken Rückhalt bei ihrer Entscheidung, obwohl sie selbst keine Akademiker sind. Heute ist Hawra Projektleiterin im Tiefbauamt und verantwortet die Sanierung der Straßen in Reutlingen. Bei ihrem Job trifft sie hauptsächlich auf Männer. Sie berichtet: „Männer reagieren immer unterschiedlich auf mich. Es gibt überraschte Gesichter, dann gibt es auch Männer, die mich feiern. Und dann gibt es aber auch Männer, die einfach dumm gucken: Hey, was macht die denn hier?” Doch Hawra hat damit gelernt umzugehen. Ihre Vergangenheit hat sie stark gemacht!