Über sexuelle Übergriffe sprechen und das Tabu brechen

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Autor/in
Martika Baumert
Porträt Martika Baumert

Kim aus Stuttgart erlebt oft sexuelle Belästigung. Deshalb hat sie mit Lise aus Pforzheim ein Projekt gestartet, mit dem sie sichtbar machen wollen, wie häufig sexualisierte Gewalt ist. Sie haben eine Homepage veröffentlicht, auf der Menschen ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen teilen können. Das Ziel: Aufmerksamkeit für das Thema und eine mögliche Gesetzesänderung. 

Podcasterinnen Kim und Luise

Wenn mich ein Typ an der Straße anbaggert, dann geh’ ich einfach weg. Aber mich wühlt das auf. Es muss aufhören, dass Menschen andere übergriffig anbaggern. 

Ein Projekt für Frauen und Männer 

Zusammen mit Lise aus Pforzheim hat Kim „The Sirens Collective” gegründet. Auf der dazu gelaunchten Website können Menschen ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung veröffentlichen, auch anonym. Kim erklärt: „Das ist kein Projekt nur für Frauen. Ich wünsche mir, dass auch Männer laut sind.“ 

Es tat echt gut, meine eigenen Erfahrungen dort aufzuschreiben. Es ist wie eine Befreiung. Man trägt es wie einen dicken schweren Rucksack mit sich rum und weiß es nicht mal.

Verzicht auf Sex 

Bisher sind fast 4000 sexuelle Übergriffe auf ihrer Homepage eingegangen. Die beiden wollen damit zeigen, wie häufig es dazu kommt. Denn Kim meint: „Man wundert sich gar nicht mehr, wenn man wieder ungefragt ein Dickpic geschickt bekommt. Das ist schon so normal geworden. Aber es sollte nicht normal werden.” Einige wüssten auch gar nicht, dass das, was passiert, ein Übergriff ist. „Man hat mit Männern Sex, die gar nicht wissen, wie man Sex hat. Ich habe ein Bild dafür: Frauen sind der Supermarkt, Männer gehen in den Supermarkt und holen sich, was sie brauchen. Nachdem mir das bewusst wurde, habe ich aufgehört, Sex zu haben.” 

Man denkt: Ich bin jetzt schuld, dass ich sexuell belästigt wurde und traut sich nicht darüber zu sprechen. Das wollen wir ändern.

Auch wenn sich Kim durch ihr Projekt viel mit sexueller Belästigung beschäftigt, glaubt sie, dass sie selbst in der Situation eines Übergriffs überfordert ist. „Man ist in dem Moment im Schock. Da fällt es mir noch schwer, etwas zu sagen. Aber wenn ich Übergriffe beobachte, kann ich gut etwas sagen. Ich habe letztens einen Mann richtig doll angeschrien.” 

1 Jahr Arbeit für „The Sirens Collective”

Seit fast einem Jahr arbeiten Kim und Lise an ihrem Projekt. „Ich bin ganz schön stolz auf uns, dass wir das hinbekommen haben”, sagt die Stuttgarterin. Auch die Rückmeldungen sind positiv. „Viele schreiben uns: ‚Danke, dass es das gibt. Mich hat das empowert, mir das von der Seele schreiben zu können.‘ Was mich aber schockt: Dass viele schreiben, dass sie das noch nie erzählt hatten. Das Projekt zeigt: Ich bin nicht allein. Und es ist nicht meine Schuld, dass ich belästigt wurde. Und ich hoffe, das löst es auch bei den anderen Leuten aus. Und unser großes Ziel ist es auch, dass es kein Tabu mehr ist, über sexuelle Belästigung zu sprechen.” 

Dieses ganze Projekt hat ganz viel mit Empathie zu tun. Es geht auf keinen Fall um Mitleid. Das finde ich super wichtig. Wir wollen Empathie, sonst ändert sich nichts.

Außerdem sei ein Ziel den Grundsatz im Sexualstrafrecht zu ändern. „Von ‚Nein heißt nein.‘ in ‚Ja heißt Ja‘. Da gibt es schon eine Petition, die wollen wir nochmal aufwärmen.” Außerdem wollen sie eine oder mehrere Ausstellungen und Performances aus dem Projekt machen. In Hamburg sei schon etwas in der Mache.